Lauterbach macht Tempo
Das deutsche Gesundheitswesen liegt bei der Digitalisierung zurück. Patientenakte und E-rezept sollen nun Pflicht werden.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unternimmt einen neuen Anlauf, die lange verschleppte Digitalisierung voranzubringen. Ziel sei es, bis 2025 insgesamt 80 Prozent der gesetzlich Versicherten mit einer elektronischen Patientenakte (EPA) auszustatten. Zugleich soll das gleichfalls bisher kaum genutzte E-rezept zum 1. Januar 2024 „verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung“werden. „Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück“, betonte er. „Das können wir nicht länger verantworten.“Zwei dafür nötige Gesetze – das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz – seien „weitestgehend fertig“und würden „in den nächsten Wochen vorgelegt“.
Geplant ist, die EPA bis Ende 2024 für alle Versicherten automatisch einzurichten – es sei denn, diese widersprechen ausdrücklich. Ärzte sollen so Befunde oder Verschreibungen einsehen können. Wer als Versicherter
Einblick erhalten möchte, kann das über eine App per Smartphone tun. Dort soll man auch die Möglichkeit haben, den Zugriff auf die eigenen Daten zu steuern, indem man etwa festlegt, welcher behandelnde Arzt was sehen darf. Viele Details sind allerdings noch unklar. Wie genau etwa das Widerspruchsverfahren laufen soll, müsse „noch entwickelt werden“, so Lauterbach. Auch sei noch nicht geklärt, wie ältere Daten aus der Krankengeschichte in die EPA gelangen sollen.
Forschung wandert ab
Lauterbach plant zudem, Forschungseinrichtungen und Industrie Zugang zu anonymisierten Daten zu geben. Dass etwa die Mainzer Firma Biontech, bekannt geworden durch Corona-impfstoffe, Studien für die Krebsforschung nun in Großbritannien durchführe, habe mit den bisher schlechten Rahmenbedingungen bei der Datenanalyse in Deutschland zu tun. Für Jens Baas, Chef der größten deutschen Krankenkasse
TK, muss die digitale Akte „technisch einfach zu bedienen sein und vor allem bei jedem Arztbesuch automatisch befüllt werden, damit sie immer aktuell ist.“Aus Sicht der Verbraucherzentralen profitieren Patienten, wenn sie digital durch das komplizierte Gesundheitswesen navigieren könnten. Es müsse aber einfach festzulegen sein, welcher Arzt auf welche Daten zugreifen dürfe. Ein „Alles oder Nichts“sei der falsche Weg, erklärte Michaela Schröder, Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik. Menschen ohne Smartphones und Computer dürften nicht abgehängt werden. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, erklärte, man dürfe „nicht technisch versierte Menschen“in ihren Rechten nicht beschneiden. Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sprach von „einer Art Zwangsbeglückung für die Versicherten“, deren Einführung 2024 „für jeden erkennbar unrealistisch“sei.