Heidenheimer Zeitung

„Niemand muss den Wandel fürchten“

Es werde auch weiter viele Jobs in der Energiepro­duktion geben, sagt der Bundeskanz­ler. Ein Gespräch über die Zukunft der Braunkohle-reviere, ein Ende des Ukraine-krieges und die Stimmung innerhalb der Ampelkoali­tion.

- Von Ellen Hasenkamp, Oliver Haustein-teßmer und Claus Liesegang

Es schneit in Cottbus. Dennoch haben sich einige Demonstran­ten vor der Stadthalle eingefunde­n, um gegen Inflation, Energiekri­se und den „Krieg gegen Russland“zu protestier­en. Rufe und Pfiffe dringen nach drinnen, wo gerade Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) zum Bürgerdial­og eingetroff­en ist. Vorher hat er aber noch Zeit für ein Interview, in dem er ungewöhnli­ch engagiert vor allem eines vermitteln will: Zuversicht. Die Tasse schwarzen Kaffees vor ihm bleibt unberührt.

Herr Bundeskanz­ler, Sie haben vor kurzem ein neues Leitmotiv für die Arbeit der Koalition ausgegeben: Zuversicht. Aber vielen Menschen fällt das schwer, wenn sie auf die Weltlage schauen und auf Preise, Wohnraum, Energiever­sorgung. Wie wollen Sie da Zuversicht wecken?

Das vergangene Jahr hat uns Deutschen doch gezeigt, wozu wir in der Lage sind. Was war nicht alles befürchtet worden: dass es kalt wird in den Häusern, dass der Strom abgedreht wird, die Energiever­sorgung zusammenbr­icht und die Wirtschaft zugrunde geht. All das ist nicht passiert. Warum? Weil wir die Wirtschaft stabilisie­rt und die hohen Preise abgemilder­t haben. Weil wir alle Energie gespart und zusammenge­halten haben. Und weil wir dafür gesorgt haben, dass unsere Energiever­sorgung unabhängig von Russland funktionie­rt. Alles gute Nachrichte­n, die zuversicht­lich stimmen.

Kommen wir auch gut durch den nächsten Winter, der nach Meinung vieler Experten noch schwierige­r wird?

Davon bin ich überzeugt. Unsere Gasspeiche­r sind jetzt im März noch gut gefüllt. Der Speicherst­and könnte nach diesem Winter bei mehr als 60 Prozent liegen – vor einem Jahr lag er unter 20 Prozent. Gleichzeit­ig bauen wir die Infrastruk­tur für neue Energie-importe aus. Das wird uns im nächsten Winter helfen.

Sie sind selbst Mieter und haben kürzlich gesagt, Sie wüssten erst mit der nächsten Abrechnung, wie hoch Ihre Energiekos­ten derzeit tatsächlic­h sind. Können Sie den Bürgern zusagen, dass die Rechnungen auch im nächsten Jahr bezahlbar sind?

Ja, denn die Energiepre­is-bremsen gelten bis April nächsten Jahres, um die hohen Kosten abzufedern. Parallel dazu beobachten wir, dass die Preise an den internatio­nalen Energiemär­kten sinken, was auch das Verdienst unserer gemeinsame­n Anstrengun­g in Deutschlan­d und Europa ist.

Die Energiewen­de bedeutet für viele den Verlust des Arbeitspla­tzes. In den Tagebaugeb­ieten wie der Lausitz klingen die Veränderun­gen daher eher bedrohlich.

Nun entsteht aber auch Neues. Hier in der Region gibt es mehrere große Investitio­nsprojekte: Das Bahnausbes­serungswer­k in Cottbus mit 1200 zusätzlich­en Arbeitsplä­tzen zum Beispiel oder der Lausitzer Wissenscha­ftspark bringen neue Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten. Und auch für die Lausitz gilt, dass wir in den nächsten Jahrzehnte­n wohl nicht mehr über den großen Mangel an Arbeitsplä­tzen sprechen werden. Im Gegenteil, es wird einen Mangel an Arbeitskrä­ften geben.

Eine Befürchtun­g in dieser Region hängt mit zwei Jahreszahl­en zusammen – nämlich dem Kohleausst­iegsdatum 2030 oder 2038. Wird der Abschied von der Kohle vorgezogen?

Das Ausstiegsg­esetz gilt. Darin ist der Ausstieg nicht abstrakt festgelegt, sondern orientiert sich an dem, was für unsere Energiever­sorgung nötig ist: Bis 2030 werden wir bundesweit wohl 750 Terawattst­unden an Strom brauchen, gegenwärti­g liegen wir bei 600 Terawattst­unden. 80 Prozent dieser Energie sollen aus Windkraft, Solarenerg­ie und Biomasse stammen. Auch in der Lausitz wird es, wie gesagt, viele Arbeitsplä­tze geben, die wie bisher in der Energiepro­duktion liegen. Niemand muss den Wandel fürchten.

Dafür muss aber der Ausbau gelingen – und das schnell.

Deswegen brauchen wir das Deutschlan­d-tempo, das wir voriges Jahr bei der Errichtung der Lng-terminals an den norddeutsc­hen Küsten vorgelegt haben, jetzt überall: für den Ausbau unseres Stromnetze­s, der Speicherka­pazitäten, der Wasserstof­fwirtschaf­t, der Energieerz­eugung, der Industrie und unserer Infrastruk­tur.

Ein Vorziehen des Kohleausst­iegs auf 2030 wie im Rheinische­n Revier wird es in Ostdeutsch­land also nicht geben?

Wie gesagt, erst kommt der Ausbau der Energie-infrastruk­tur und Energie-erzeugung. Zugleich investiere­n wir 40 Milliarden Euro in die Braunkohle­reviere in der Lausitz und in Mitteldeut­schland, damit dort in den nächsten Jahren einiges an Zukunft entsteht.

Das brandenbur­gische Schwedt bekommt die Auswirkung­en der Sanktionen zu spüren: Die Raffinerie dort bekommt seit Jahresbegi­nn kein Öl aus Russland mehr. Aber der Ersatz fließt noch nicht recht, die Auslastung ist noch immer nicht so wie zugesagt.

Schwedt wird eine gute Zukunft haben, auch als Erdöl-verarbeite­nder Standort. Wir haben große Mengen über die Ölpipeline aus Rostock nach Schwedt geleitet. Wir haben sichergest­ellt, dass es Slots gibt für Erdöl, das über den Danziger Hafen anlandet und dann nach Schwedt gepumpt wird. Nun geht es um Erdöl-lieferunge­n aus Kasachstan. Mir ist wichtig, Vertrauen und Verlässlic­hkeit zu schaffen: Die Arbeitsplä­tze in Schwedt sind sicher, dafür stehen wir ein. Gleichzeit­ig werden dort auch neue Technologi­en angesiedel­t werden, damit es in Schwedt eine Produktion­sperspekti­ve für die nächsten 30, 40 Jahre gibt. Das kann, um ein Beispiel zu nennen, auch die Verarbeitu­ng von Wasserstof­fprodukten sein.

Aber die Wasserstof­fzukunft steht, nicht nur in Schwedt, noch ziemlich in den Sternen.

Wasserstof­f ist das Gas der Zukunft, vor allem wenn es sauber aus Wind- oder Solarenerg­ie hergestell­t wird.

Die gewünschte Zuversicht hat es auch deswegen nicht leicht, weil sich Ihre Ampel-koalition so oft streitet. Macht dieser Eindruck die Erfolge zunichte?

Wir haben große Fragen zu entscheide­n, deshalb gibt es auch viel zu bereden. Und nur weil man eine Koalition bildet, heißt es nicht, dass man auf alle Fragen immer aus der gleichen Perspektiv­e blickt. Umso wichtiger ist es, miteinande­r zu diskutiere­n und gute Lösungen zu finden. Mein Eindruck ist: In der Koalition bringen wir vieles voran.

Also alles gut?

Ja, wir haben tiefgreife­nde Entscheidu­ngen getroffen und unser Land heil durch diese schwierige Zeit gebracht. Nun geht es darum, diesen Schwung auch für den Umbau des Landes zu nutzen. Wir müssen Hürden wegräumen, damit in Deutschlan­d schneller geplant, entschiede­n und genehmigt wird. Unser Land steht vor einer guten Zukunft. Wegen der hohen Investitio­nen in den Klimaschut­z wird Deutschlan­d für einige Zeit Wachstumsr­aten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er und 1960er Jahren geschehen.

Wachstum bringt aber auch Probleme mit sich, wie wir schon jetzt sehen: Familien finden keine Wohnung, Bürger keinen Handwerker, die Unternehme­r keine Arbeitskrä­fte.

Welches Problem hätten Sie lieber? Das Problem, dass Arbeitslos­igkeit und Leerstand herrschen, oder dass es so viel Arbeit gibt, dass wir mehr Beschäftig­te und mehr Wohnungen brauchen? Lieber ist mir letzteres, denn diese Aufgabe lässt sich lösen, und genau das machen wir. Zum Beispiel, indem wir die Mittel für den sozialen Wohnungsba­u dramatisch ausweiten, mehr in Bildung und Ausbildung investiere­n und für Fachkräfte werben.

Die größte Sorge vieler Menschen ist nach wie vor der Krieg in der Ukraine.

Natürlich, wie soll es auch anders sein. Umso wichtiger ist das Vertrauen, dass die Regierung das Richtige tut. Deshalb wägen wir jeden Schritt bei der Unterstütz­ung der Ukraine sehr genau, stimmen uns eng mit unseren internatio­nalen Partnern ab und lassen uns nicht treiben.

Die Waffenlief­erungen an die Ukraine für den Kampf gegen Russland stoßen auf viel Kritik, besonders in Ostdeutsch­land. Wie wollen sie verhindern, dass diese Bürgerinne­n und Bürger sich dem linken oder rechten Rand zuwenden?

Die Ukraine ist seit mehr als 30 Jahren ein souveräner Staat. Diese Souveränit­ät spricht ihr Russlands Präsident jetzt ab. Er will die Ukraine mit Gewalt in eine Art Groß-russland einverleib­en. Dafür hat er einen imperialis­tischen Krieg vom Zaun gebrochen. Damit greift er auch die europäisch­e Friedensor­dnung an, die es klar verbietet, gewaltsam Grenzen zu verschiebe­n. Das können wir nicht hinnehmen.

Deutschlan­d wird für einige Zeit Wachstumsr­aten erzielen können wie zuletzt in den 1950er und 1960er Jahren.

Es darf aber keinen Diktatfrie­den geben. Mit der Waffe an der Schläfe kann man nicht verhandeln.

Deshalb unterstütz­en wir die Ukraine, damit sie ihre Freiheit, ihre Integrität und Souveränit­ät verteidige­n kann. Das machen wir politisch, finanziell, humanitär und auch mit der Lieferung von Waffen, gemeinsam mit vielen anderen Staaten. Putin hat es in der Hand. Er kann den Krieg sofort beenden, indem er seine Truppen zurückzieh­t.

Viele Menschen wünschen sich Verhandlun­gen und finden, da werde zu wenig unternomme­n.

Wir werden die Ukraine so lange unterstütz­en wie nötig. Und wir bleiben mit Russland im Gespräch. Ich habe bewusst immer wieder mit Putin telefonier­t. Natürlich werden dabei unsere sehr unterschie­dlichen Sichtweise­n deutlich. Aber es muss der Moment kommen, in dem Putin anerkennt, dass er seine imperialis­tischen Ziele nicht erreicht, dass der Preis zu hoch ist. Die ukrainisch­en Verantwort­lichen haben längst erklärt, dass sie bereit sind für einen Frieden. Es darf aber kein Diktatfrie­den sein. Mit der Waffe an der Schläfe kann man nicht verhandeln.

Ist Putin zu Verhandlun­gen bereit?

Dazu sehe ich im Augenblick leider keine Bereitscha­ft.

Muss Russland die besetzten Territorie­n in der Ukraine räumen – den Donbass und die Krim –, ehe es Frieden geben kann?

Russland hat die Ukraine überfallen und führt dort einen gnadenlose­n Krieg, dem schon Zehntausen­de von Menschen zum Opfer gefallen sind, Millionen befinden sich auf der Flucht. Jetzt geht es darum, die Ukraine bei ihrer Verteidigu­ng zu unterstütz­en. Die Ukraine selbst muss entscheide­n, welche Bedingunge­n sie für einen Frieden zu akzeptiere­n bereit ist.

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 ?? Fotos: Frank Hammerschm­idt ?? „Putin hat es in der Hand. Er kann den Krieg sofort beenden, indem er seine Truppen zurückzieh­t“, sagt Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD).
Fotos: Frank Hammerschm­idt „Putin hat es in der Hand. Er kann den Krieg sofort beenden, indem er seine Truppen zurückzieh­t“, sagt Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD).
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Olaf Scholz mit Ellen Hasenkamp, Claus Liesegang und Oliver Haustein-teßmer.

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