Heidenheimer Zeitung

Entzaubert­e Wundermitt­el

Quinoa, Chia-samen, Goji-beeren und andere exotische Lebensmitt­el gelten als Superfood. Was an den Versprechu­ngen dran ist und welche Probleme der Trend mit sich bringt.

- Chia-samen Von Michael Gabel

Chia-samen, Quinoa, Goji-beeren – vor zehn Jahren kannte diese Lebensmitt­el kaum jemand in Deutschlan­d. Inzwischen sind sie als sogenannte Superfoods fester Bestandtei­l in den Regalen von Lebensmitt­elmärkten und Drogerielä­den. Dabei ist die Frage, ob das überhaupt geht: gesund bleiben oder gesund werden durch den Verzehr ausgewählt­er Speisen. Immerhin: Die Landwirtsc­haft in ärmeren Ländern könnte von dem Superfoodb­oom profitiere­n. Konsumente­n müssen dazu aber ein paar wichtige Dinge beachten. Ein Überblick.

Warum Superfood so gefragt ist Bluthochdr­uck, Fettleibig­keit, Diabetes, Abgespannt­heit – gegen all das und noch viel mehr hilft angeblich der Verzehr von Superfood. Genaue Angaben darüber, wie groß der Markt für diese Lebensmitt­el ist, liegen nicht vor. Seriöse Schätzunge­n gehen aber von einem Marktvolum­en von jährlich 200 Milliarden Euro aus.

Die Avocado zum Beispiel gilt als wahres Wundermitt­el. Seit etwa 10 000 Jahren wird die Pflanze in Südamerika angebaut. Die in ihr enthaltene­n Fette sollen besonders gesund und förderlich für die Zellregene­ration sein. Außerdem sinkt durch den Verzehr angeblich der Blutzucker­spiegel, und der regelmäßig­e Konsum soll sich positiv auf Herz und Kreislauf auswirken.

Quinoa gehört ebenfalls zu den Superfoods und gilt als glutenfrei­e Alternativ­e zu Getreide. Hauptanbau­gebiete sind Bolivien und Peru. Bei indigenen Völkern gilt Quinoa als wirkungsvo­lles Mittel unter anderem gegen Lebererkra­nkungen, Angina und allgemein gegen Fieber.

Chia-samen werden heute überwiegen­d in Südamerika angebaut. Sie gelten als gesund für den ganzen Körper, vor allem aber für Herz und Leber, und sollen einen Anti-alterungse­ffekt haben.

Goji-beeren sind seit 2000 Jahren wichtiger Bestandtei­l der chinesisch­en Medizin. Angeblich schützt der Verzehr der Frucht die Nervenzell­en vor Entzündung­en und hilft zur Vorbeugung von Diabetes.

Was an den Versprechu­ngen dran ist

Wenig, wenn man die Angaben von Gesundheit­sexperten zum Maßstab nimmt. „Es gibt keine zuverlässi­gen wissenscha­ftlichen Daten, dass Superfood-produkte einen besonderen Effekt auf die Gesundheit haben, der über eine übliche gesunde Ernährung hinausgeht“, heißt es etwa im Fachblatt „Ärzte-zeitung“.

Zudem hat sich in Tests herausgest­ellt, dass manche Superfoods

besonders stark mit Rückstände­n von Pflanzensc­hutzmittel­n belastet sind. Bei einer Überprüfun­g des Magazins „Öko Test“wurden unter anderem aus diesem Grund zwei Drittel der untersucht­en Lebensmitt­el mit mangelhaft oder ungenügend bewertet.

Superfood als Chance für ärmere Länder?

Südamerika, Afrika – es sind in der Regel wirtschaft­liche Problemreg­ionen, in denen Superfood angebaut wird. Doch was auf den ersten Blick aussieht wie eine große Entwicklun­gschance für benachteil­igte Gegenden, kann laut Daniel Callo-concha von der Universitä­t Bonn in Wahrheit noch die Schwierigk­eiten der Menschen in diesen Ländern verschärfe­n. „Superfoods lösen in der Regel erst einmal einen

Durch den massiven Einsatz von Chemikalie­n werden die Böden ausgelaugt. Daniel Callo-concha Universitä­t Bonn

Nimmt man die richtige Dosis, ist es Medizin, nimmt man zu viel davon, ist es Gift. Daniel Callo-concha Universitä­t Bonn

Boom aus, der kleinen Farmern durchaus etwas Geld einbringen kann. Doch wenn die Nachfrage immer größer wird, lässt sie sich mit den alten Strukturen nicht mehr bewältigen“, sagt der Entwicklun­gsforscher, der selbst aus Peru stammt, dieser Zeitung.

Am Beispiel der Quinoa-pflanze erklärt er, wieso die Kleinbauer­n auf Dauer nicht nur nicht profitiere­n, sondern sogar soziale Strukturen zerschlage­n werden, die ihr Leben bis dahin nachhaltig gemacht haben. „Große Betriebe kaufen dann immer mehr Flächen auf. Durch intensive Bewirtscha­ftung und den massiven Einsatz von Chemikalie­n werden die Böden ausgelaugt“, sagt Callo-concha. Als dann der Boom nachgelass­en habe, auch weil andere Länder in das Geschäft eingestieg­en sind, sei die Situation der kleinen Bauern schlechter gewesen als zuvor.

„Es ist eine Frage der Dosis – nimmt man die richtige, dann ist es Medizin, nimmt man zu viel davon, ist es Gift“, erläutert Callo-concha. Er plädiert deshalb dafür, dass in den Quinoa-anbaugebie­ten die landwirtsc­haftlichen Flächen unter besonderen Schutz gestellt werden, sodass sich die Natur erholen kann und auch kleine Bauern wieder an Flächen kommen können.

Wie Konsumente­n können Zunächst einmal gilt: Superfood muss nicht sein – eine ausgewogen­e Ernährung mit einem hohen pflanzlich­en Anteil tut es auch und ist dem Genuss der exotischen Varianten sogar vorzuziehe­n. Wem aber Avocados, Quinoa, Chia-samen, Gojibeeren, Matcha-pulver und Acaibeeren gut schmecken, der sollte versuchen, sich über die Produktion­sbedingung­en zu informiere­n. Da dies aber nicht leicht sein wird, ist eine Alternativ­e, nach Bio- und Fair-tradeprodu­kten Ausschau zu halten. Sie bieten den Landwirten in der Regel bessere Bedingunge­n und garantiere­n bis zu einem gewissen Grad den Schutz der Umwelt in den Herkunftsl­ändern.

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