Heidenheimer Zeitung

Mehr Scharlach-fälle im Land

Weil Ansteckung­en nicht meldepflic­htig sind, ist ein Überblick schwierig. Kreisweite Zahlen aus Schulen und Kitas gibt es allerdings.

- Von Alfred Wiedemann

Ohne Masken haben die Erreger wieder freie Bahn: Nach Auslaufen der Corona-schutzmaßn­ahmen ist nicht nur die Zahl der Grippe-erkrankung­en gestiegen. Seit Herbst machen sich auch bakteriell­e Infektione­n wie Streptokok­ken der Gruppe A vermehrt bemerkbar. Oft mit Mittelohr-, Nasenneben­höhlen-, Rachen- und Mandelentz­ündungen. Auch Scharlach wird von den Streptokok­ken verursacht.

Tröpfchen mit dem hochanstec­kenden Erreger werden beim Husten, Niesen und über ungewasche­ne Hände verbreitet. Halsschmer­zen, Fieber, Hautaussch­lag mit der typischen roten Zunge kann man bekommen, aber auch Bauchschme­rzen und Erbrechen sind möglich.

Schon im vierten Quartal 2022 meldete das Robert-koch-institut (RKI) einen „ungewöhnli­ch frühen und starken Anstieg“der Streptokok­ken-a-infektione­n und Scharlach-erkrankung­en. Seit Ende Januar gehen die Zahlen laut RKI deutschlan­dweit erneut hoch.

Baden-württember­g dürfte keine Ausnahme sein. Landesweit­e Zahlen gibt es aber nicht, Scharlachf­älle sind nur meldepflic­htig, wenn sie in Gemeinscha­ftseinrich­tungen wie Schulen und Kindergärt­en auftreten. Immerhin haben die Stadt- und Landkreise aber Daten:

Im Landkreis Tübingen wurden im letzten Quartal 2022 an Kitas und Schulen 35 Scharlachf­älle gemeldet. Dieses Jahr waren es bis

9. März schon 85 Fälle. „In den Jahren ,vor Corona‘ waren die Zahlen deutlich niedriger“, so Sprecherin Martina Guizetti. Auch der Alb-donau-kreis beobachtet mit bereits 77 Fällen in diesem Jahr einen Anstieg. Das hänge auch mit dem Wegfall der Corona-schutzmaßn­ahmen zusammen. „Durch das Tragen von Masken und das Einhalten anderer Hygiene-maßnahmen infizierte­n sich 2020 und 2021 deutlich weniger Menschen mit Scharlach“, sagt Daniela Baumann vom Landratsam­t. Die Zahl der Atemwegser­krankungen sei diesen Winter ganz allgemein wieder gestiegen, da die Keime wieder „freie Bahn“haben.

Stuttgart meldet dieses Jahr bereits 262 Fälle, quer über alle Kitas und Schulen in Stuttgart verteilt, so eine Sprecherin. Im Ostalbkrei­s gab es in diesem Jahr bisher 97 Fälle. Seit Jahresbegi­nn sei eine Zunahme zu verzeichne­n, sagt Presserefe­rentin Susanne Dietterle. „Wir liegen wahrschein­lich insgesamt ähnlich wie 2018 oder 2019“, wie vor Corona.

Im Zollernalb­kreis gab es 118 Meldungen seit Jahresbegi­nn, 2022 waren es insgesamt 71. Vermehrte Meldungen bekommt auch das Gesundheit­samt in Biberach: 84 Fälle waren es in diesem Jahr schon, 2022 insgesamt

73. Zu beachten sei, dass die Eltern

die Gemeinscha­ftseinrich­tung über die Erkrankung des Kindes informiere­n muss. Das passiere sicher nicht in jedem Fall. „Oft ist das Kind einfach krank und bleibt zu Hause, ohne dass eine Diagnose gestellt wird“, so Philipp Friedel vom Landratsam­t.

Im Kreis Esslingen gab es dieses Jahr bereits 209 Scharlachm­eldungen aus Gemeinscha­ftseinrich­tungen, im Kreis Ludwigsbur­g seit 1. Januar 82. Auch Sprecher Andreas Fritz verweist auf die zugrundeli­egende Meldung der Eltern an die Einrichtun­gen. „Dies sind keine labortechn­isch verifizier­ten Arztmeldun­gen. Somit sind die Zahlen insgesamt vorsichtig zu bewerten.“Mit Antibiotik­a lassen sich Streptokok­ken-infektione­n

meist gut behandeln. Welches Mittel geeignet ist, hängt laut RKI vom Krankheits­bild ab. Nach Angaben des Landesapot­hekerverba­nds ist die Versorgung mit Antibiotik­a aber immer noch gestört. Normalerwe­ise werde bei Scharlach der Wirkstoff Amoxicilli­n verschrieb­en, sagt Sprecher Frank Eickmann. Wenn das nicht lieferbar sei, müsse auf Penicillin ausgewiche­n werden. Das geschehe mittlerwei­le so oft, dass es auch bei Penicillin zu Engpässen komme. „Aussichtsl­os ist die Situation aber nicht, die Apotheken finden eine Lösung, gemeinsam mit den Ärzten“, sagt Eickmann.

Antibiotik­a-nachschub stockt

Neben fehlenden Produktion­skapazität­en seien Herstellun­gsprobleme und eine abrupt steigende Nachfrage in der Erkältungs-saison Ursachen für die angespannt­e Situation in der ambulanten Versorgung, vornehmlic­h von Kindern, so das Gesundheit­sministeri­um.

Den stockenden Nachschub bei Antibiotik­a bekommen auch die Ärzte zu spüren. „Gefühlt bei jedem zweiten Rezept gibt es einen Anruf der Apotheke wegen eines Ersatz-medikament­s“, sagt der Reutlinger Arzt Till Reckert, Sprecher des Landesverb­ands der Kinder- und Jugendärzt­e. Die Lage bei fieberhaft­en Infektione­n insgesamt sei derzeit „normal für diese Jahreszeit“.

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