Mehr Scharlach-fälle im Land
Weil Ansteckungen nicht meldepflichtig sind, ist ein Überblick schwierig. Kreisweite Zahlen aus Schulen und Kitas gibt es allerdings.
Ohne Masken haben die Erreger wieder freie Bahn: Nach Auslaufen der Corona-schutzmaßnahmen ist nicht nur die Zahl der Grippe-erkrankungen gestiegen. Seit Herbst machen sich auch bakterielle Infektionen wie Streptokokken der Gruppe A vermehrt bemerkbar. Oft mit Mittelohr-, Nasennebenhöhlen-, Rachen- und Mandelentzündungen. Auch Scharlach wird von den Streptokokken verursacht.
Tröpfchen mit dem hochansteckenden Erreger werden beim Husten, Niesen und über ungewaschene Hände verbreitet. Halsschmerzen, Fieber, Hautausschlag mit der typischen roten Zunge kann man bekommen, aber auch Bauchschmerzen und Erbrechen sind möglich.
Schon im vierten Quartal 2022 meldete das Robert-koch-institut (RKI) einen „ungewöhnlich frühen und starken Anstieg“der Streptokokken-a-infektionen und Scharlach-erkrankungen. Seit Ende Januar gehen die Zahlen laut RKI deutschlandweit erneut hoch.
Baden-württemberg dürfte keine Ausnahme sein. Landesweite Zahlen gibt es aber nicht, Scharlachfälle sind nur meldepflichtig, wenn sie in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen und Kindergärten auftreten. Immerhin haben die Stadt- und Landkreise aber Daten:
Im Landkreis Tübingen wurden im letzten Quartal 2022 an Kitas und Schulen 35 Scharlachfälle gemeldet. Dieses Jahr waren es bis
9. März schon 85 Fälle. „In den Jahren ,vor Corona‘ waren die Zahlen deutlich niedriger“, so Sprecherin Martina Guizetti. Auch der Alb-donau-kreis beobachtet mit bereits 77 Fällen in diesem Jahr einen Anstieg. Das hänge auch mit dem Wegfall der Corona-schutzmaßnahmen zusammen. „Durch das Tragen von Masken und das Einhalten anderer Hygiene-maßnahmen infizierten sich 2020 und 2021 deutlich weniger Menschen mit Scharlach“, sagt Daniela Baumann vom Landratsamt. Die Zahl der Atemwegserkrankungen sei diesen Winter ganz allgemein wieder gestiegen, da die Keime wieder „freie Bahn“haben.
Stuttgart meldet dieses Jahr bereits 262 Fälle, quer über alle Kitas und Schulen in Stuttgart verteilt, so eine Sprecherin. Im Ostalbkreis gab es in diesem Jahr bisher 97 Fälle. Seit Jahresbeginn sei eine Zunahme zu verzeichnen, sagt Pressereferentin Susanne Dietterle. „Wir liegen wahrscheinlich insgesamt ähnlich wie 2018 oder 2019“, wie vor Corona.
Im Zollernalbkreis gab es 118 Meldungen seit Jahresbeginn, 2022 waren es insgesamt 71. Vermehrte Meldungen bekommt auch das Gesundheitsamt in Biberach: 84 Fälle waren es in diesem Jahr schon, 2022 insgesamt
73. Zu beachten sei, dass die Eltern
die Gemeinschaftseinrichtung über die Erkrankung des Kindes informieren muss. Das passiere sicher nicht in jedem Fall. „Oft ist das Kind einfach krank und bleibt zu Hause, ohne dass eine Diagnose gestellt wird“, so Philipp Friedel vom Landratsamt.
Im Kreis Esslingen gab es dieses Jahr bereits 209 Scharlachmeldungen aus Gemeinschaftseinrichtungen, im Kreis Ludwigsburg seit 1. Januar 82. Auch Sprecher Andreas Fritz verweist auf die zugrundeliegende Meldung der Eltern an die Einrichtungen. „Dies sind keine labortechnisch verifizierten Arztmeldungen. Somit sind die Zahlen insgesamt vorsichtig zu bewerten.“Mit Antibiotika lassen sich Streptokokken-infektionen
meist gut behandeln. Welches Mittel geeignet ist, hängt laut RKI vom Krankheitsbild ab. Nach Angaben des Landesapothekerverbands ist die Versorgung mit Antibiotika aber immer noch gestört. Normalerweise werde bei Scharlach der Wirkstoff Amoxicillin verschrieben, sagt Sprecher Frank Eickmann. Wenn das nicht lieferbar sei, müsse auf Penicillin ausgewichen werden. Das geschehe mittlerweile so oft, dass es auch bei Penicillin zu Engpässen komme. „Aussichtslos ist die Situation aber nicht, die Apotheken finden eine Lösung, gemeinsam mit den Ärzten“, sagt Eickmann.
Antibiotika-nachschub stockt
Neben fehlenden Produktionskapazitäten seien Herstellungsprobleme und eine abrupt steigende Nachfrage in der Erkältungs-saison Ursachen für die angespannte Situation in der ambulanten Versorgung, vornehmlich von Kindern, so das Gesundheitsministerium.
Den stockenden Nachschub bei Antibiotika bekommen auch die Ärzte zu spüren. „Gefühlt bei jedem zweiten Rezept gibt es einen Anruf der Apotheke wegen eines Ersatz-medikaments“, sagt der Reutlinger Arzt Till Reckert, Sprecher des Landesverbands der Kinder- und Jugendärzte. Die Lage bei fieberhaften Infektionen insgesamt sei derzeit „normal für diese Jahreszeit“.