Wenn das Kind einfach verschwindet
Die 82-jährige Gudrun Weiß aus Schnaitheim erzählt von ihrer Tochter Sabine Rahn, die genau vor 40 Jahren vergewaltigt und ermordet wurde.
Genau 40 Jahre nach dem gewaltsamen Tod von Sabine Rahn aus Schnaitheim geht die Polizei noch einmal mit einem Zeugenaufruf an die Öffentlichkeit. Die Mutter des damals 18-jährigen Mädchens, Gudrun Weiß, lebt nach wie vor in Schnaitheim. Sie hat sich bereit erklärt, mit Journalisten zu sprechen, um die Polizei zu unterstützen. Noch gibt es das Grab der jungen Frau auf dem Friedhof des Ortes, aber es soll jetzt aufgelöst werden. „Ich kann es nicht mehr pflegen“, sagt Gudrun Weiß. Vor ihr auf dem Tisch liegen Fotos ihrer Tochter, bei der Einschulung, mit der Handballmannschaft, als Teenager.
Sportlich und lustig
Die Augen von Gudrun Weiß sind gerötet, aber ihre Stimme ist fest, wenn sie von dem Abend erzählt, an dem sie ihre Tochter zum letzten Mal lebend gesehen hat. Es war der 11. März 1983.
Die 18-jährige Sabine mit dem dauergewellten, lockigen Haar war laut der Mutter ein kontaktfreudiges, lustiges Mädchen. Sie war sportlich, hat bei der TSG Schnaitheim Handball gespielt. Einige Monate zuvor hatte sie eine Ausbildung zur Schwimmmeistergehilfin im Hallenbad Aquarena in Heidenheim begonnen. Die Woche über sei sie in Mannheim zum Blockunterricht gewesen, erzählt Gudrun Weiß, am Freitagabend wollte sie ausgehen. Sie war in der Stadt mit Freundinnen und ihrer Schwester verabredet, die jungen Menschen wollten in die Diskothek Coupé in der Wilhelmstraße.
Sabine Rahn trug eine grüne Jeans, weiße Turnschuhe von Adidas und ein graues Männersakko, wie es Anfang der 1980erjahre Mode war. Am Revers waren zwei Buttons befestigt, auf einem stand „Nobody is perfect“. Gegen 20.30 Uhr am 11. März 1983 verließ die junge Frau die elterliche
Wohnung in Schnaitheim, am Treffpunkt in der Innenstadt kam sie aber nie an. Bis heute fragt sich Gudrun Weiß, was an diesem Abend geschehen sein könnte.
Das Bett war leer
„Am Samstag bin ich morgens um 7 Uhr in ihr Zimmer gegangen, um sie zu wecken“, erzählt Gudrun Weiß. Sabine sollte früh aufstehen, weil sie zum Handball-stützpunkttraining musste. Aber ihr Bett war leer. „An den Schock erinnere ich mich heute
noch“, sagt die 82-jährige Mutter.
Woran sie sich auch noch erinnert: Dass die Polizei, bei der sie sofort anrief, zunächst gar nicht nach dem Mädchen suchen wollte. Sie sei doch schon volljährig und habe wahrscheinlich einfach bei einer Freundin übernachtet, so der Polizist am Telefon. „Das hätte sie aber nie gemacht, und wenn, dann hätte sie vorher Bescheid gesagt“, ist sich Gudrun Weiß heute noch sicher. „Ich hatte gleich ein ganz schlechtes Gefühl“, so die Mutter.
Kinder entdeckten die Leiche
Die Polizei kam schließlich doch, um den Fall aufzunehmen. Für die Eltern begann das verzweifelte Warten: „Das war die schrecklichste Zeit, die Ungewissheit, was dem Kind passiert ist“, erinnert sich Gudrun Weiß. Sie habe nichts mehr essen können, nahm in kürzester Zeit mehrere Kilo ab. Am Montag ging sie zur Arbeit, sie war als Beamtin im Finanzamt Heidenheim tätig: „Zu Hause habe ich es auch nicht ausgehalten.“Im Büro kam dann der Anruf: Spielende Kinder hatten die Leiche der 18-Jährigen bei Nattheim im Wald gefunden.
Gudrun Weiß musste ihre Tochter identifizieren, die offenbar bereits längere Zeit tot im Wald gelegen hatte. Ein Erlebnis, dass sie heute noch erschaudern lässt. Bereits am Dienstag gab die Polizei die Ergebnisse der Obduktion bekannt: Die junge Frau war vergewaltigt und dann erwürgt oder stranguliert worden.
„Ich hätte mir damals irgendeine Art von Hilfe gewünscht“, sagt Gudrun Weiß heute. Es sei aber niemand gekommen, der sie unterstützt habe, so die 82-Jährige. Erst einige Jahre später habe sie Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe in Aalen gefunden. Die Gespräche mit anderen Eltern, die auch ihre Kinder verloren haben, hätten ihr sehr geholfen, so Gudrun Weiß. Eine Erfahrung hätte sie jedoch mit niemand teilen können: Wie es ist, wenn das eigene Kind ermordet wurde.
Eigentlich, sagt Gudrun Weiß, glaube sie nicht daran, dass der Mörder jetzt noch gefunden werden könne: „Das wäre ein Wunder.“Dann macht sie eine Pause. „Aber wer weiß, manchmal gibt es die ja“, fügt sie hinzu.