Unter die Haut und ins Herz
Doris Kunstmann und Ron Williams brillierten in der Heidenheimer Waldorfschule in einer überzeugenden Inszenierung von „Miss Daisy und ihr Chauffeur“.
Deutliche Worte: „Der liebe Gott hat einer Zitrone mehr Verstand gegeben als Ihnen“, sagt Miss Daisy zu ihrem Chauffeur Hoke. Aber auch: „Hoke, Sie sind mein bester Freund.“Dazwischen liegen knapp zwanzig gemeinsam erlebte Jahre – und für das Publikum in der Waldorfschule am Donnerstagabend rund zwei Stunden Schauspiel der besonderen Art.
Zu Gast war das Tourneetheater Thespiskarren, das das Theaterstück von Alfred Uhry „Miss Daisy und ihr Chauffeur“, einem großen Publikum bekannt geworden durch den oscarprämierten Film, wieder auf die Bühne brachte. Und das mit großen Namen: Doris Kunstmann und Ron Williams konnten für die beiden Titelrollen gewonnen werden.
Egozentrik und Klugheit
Und beide glänzen in der Darstellung der beiden Figuren, zwischen denen Welten liegen: Miss Daisy, wohlhabend, gebildet, egozentrisch, eine echte Südstaatenlady mit Stolz und Sturkopf, und auf der anderen Seite Hoke, arm, warmherzig, besonnen, lebensklug und dunkelhäutig. Und der wird plötzlich an Miss Daisys Seite gestellt, weil sie mit ihren 72 Jahren nicht mehr Auto fahren sollte. Er wird ihr Chauffeur und schließlich eben ihr bester Freund, womit sie selbst sicherlich am allerwenigsten gerechnet hatte. Denn vehement setzt sie sich gegen den ihr von Sohn Boolie ins Nest gesetzten Eindringling zur Wehr. Doch was immer sie dabei auch tut, und sie tut viel, von Zurückweisung über Beleidigung bis hin zur Verdächtigung, Hoke bleibt gelassen, freundlich, zugewandt.
Allein diese Entwicklung zwischen den beiden bietet eine enorme Menge an Tiefgang voller Herzenswärme und auch Humor, denn der Umgang der beiden untereinander hat so einiges an Pointen parat. Darüber hinaus wird in diesem zwischen 1948 und 1976 in Georgia spielenden Stück auch sehr subtil das Thema Rassentrennung behandelt: Da setzen sich nicht nur zwei Menschen auseinander, auch nicht nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer, da prallen auch gesellschaftliche Gegensätze aufeinander.
Vielschichtige Darstellung
Und wie diese Vielschichtigkeit in der Darstellung unter einen Hut gebracht wird, davor möchte man denselben ziehen: Doris Kunstmann, deren Alter mit 78 Jahren hier verraten sei, weil es ihre Leistung noch größer macht, gibt eine hervorragende Miss Daisy ab, elegant und arrogant, spitzzüngig und spöttisch, und sie bleibt auch dann distanziert, wenn sie Nähe offenbart. Doris Kunstmann lässt in ihrer Rolle Ungesagtes hörbar werden und versteht die Kunst der Zwischentöne – ganz abgesehen davon, dass das Gesagte – ihre Stimme ist nach wie vor unverwechselbar und ein Markenzeichen wie eh und je – und Gezeigte in jeder Sekunde auf den Punkt gebracht wird. Sie hat aber auch in Ron Williams einen mindestens ebenbürtigen Partner, der die Rolle des Chauffeurs förmlich lebt und ihr eine ausdauernde Ausgeglichenheit gibt, die letztlich nicht nur Miss Daisys Herz, sondern auch diejenigen der rund 250 Zuschauer erobert. Und an der Stelle auch ein dickes Lob an die Maske: Eine Zeitspanne von rund 20 Jahren darzustellen, ist eine Herausforderung und der
Grat zur unfreiwilligen Komik ist ein schmaler, aber hier ist die Verwandlung geglückt in einer ganz seltenen Mischung aus Dezenz und Deutlichkeit. Dem Spiel von Kunstmann und Williams nimmt man den Alterungsprozess ohnehin zu hundert Prozent ab.
Keinerlei Effekthascherei
Das Bühnenbild ist Südstaatensalon, Büro und Landschaft zugleich, in der Chauffeur und Chauffierte ihre Fahrten unternehmen. Auch hier wird das Bestreben sichtbar, die Geschichte nicht durch Effekthascherei zu stören. Allein das Auto darf hier eine Pointe setzen: Das besteht nämlich aus zwei Sitzbänken und einem Lenkrad, beides von Ron Williams zurechtgerückt, und den passenden Geräuschen aus der Technik. Eine ebenso praktische
wie pfiffige Idee, denn dieses Requisit spielt ja eine zentrale Rolle in der Geschichte.
Viel Raum für Entwicklung
Gerade in den Fahrtszenen, den Szenen der zunächst nicht gesuchten, dann geduldeten und schließlich geschätzten Nähe der beiden Protagonisten, zeigt sich, wie gut Kunstmann und Williams miteinander harmonieren. Beide lassen sowohl der eigenen Rolle als auch der des anderen viel Raum für Entwicklung – es ist eine Freude, diesen beiden zuzusehen. Und schließlich gab es auch die eine Fahrt gegen Ende des Stücks, die direkt unter die Haut ging: Die Szene wurde mit der berühmten „I have a dream“rede von Martin Luther King unterlegt, während im Hintergrund Bilder des Ku-klux-klans liefen.
Das war wohl der bedrückendste Moment der Inszenierung, der im Übrigen vieles gelang: Tiefgang ohne Pathos, Wärme ohne Kitsch, Witz ohne Albernheit.