Die Kunst der Kontinuität
Mit Eintracht Frankfurt und dem VFB Stuttgart stehen sich jetzt zwei Vereine gegenüber, deren Werdegang seit 2016 unterschiedlicher nicht sein könnte.
Auch im Sport gibt es Weggabelungen, die über Wohl und Wehe bestimmen können. Im Falle von Eintracht Frankfurt und dem VFB Stuttgart, die sich am Samstag (15.30 Uhr/sky) gegenüberstehen, markierte das Ende der Spielzeit 2015/16 solch einen Abzweig. Während sich die Eintracht durch ein spätes Tor im Relegationsrückspiel gegen Nürnberg rettete, musste der VFB den Gang in die zweite Liga antreten. Was folgte, war der wundersame Aufstieg des Traditionsklubs aus Hessen, sowie der langsame Verfall am Neckar. Bis heute hat sich der VFB nicht vom Abstieg 2016 erholt. Vor dem 100. Aufeinandertreffen in der Bundesliga ist die aktuell größte Sorge der Eintracht das Verbot seiner Auswärtsfans beim Champions-league-rückspiel in Neapel, während der Tabellen-15. aus Stuttgart finanziell und sportlich ums Überleben kämpft. Mal wieder.
Heribert Bruchhagen kann sich nur wundern, wenn er auf die jüngere Vergangenheit der beiden Klubs blickt, die in der ewigen Tabelle die Ränge vier (VFB) und acht (Frankfurt) einnehmen. „Beide sind sich in der Struktur ähnlich. Sie haben Tradition, einen großen Anhang und kommen aus wirtschaftsstarken Regionen. Mit ihren Voraussetzungen müssten sie eigentlich beide im oberen Bereich stehen“, urteilt der langjährige Fußball-funktionär, der von 2003 bis 2016 der Eintracht vorstand. Doch nur die Frankfurter glänzen. Als Startrampe für den kometenhaften Aufstieg diente das Pokalfinale 2018. Sensationell besiegten die Adler den FC Bayern und spielten sich in die Herzen der Fans. Zugleich verhinderten sie mit dem Pokalsieg eine Europapokalqualifikation des VFB. Die Stuttgarter landeten nach dem Wiederaufstieg dann gar auf Rang sieben (vor der Eintracht), konnten das Niveau aber nicht halten. Es ging runter, hoch – wieder runter. Die Entwicklung der Eintracht kannte nur eine Richtung: nach oben. Mit dem Gewinn der Europa League und rauschenden Festen in der Champions League als Höhepunkt.
Seit Borussia Dortmund in den späten 90ern erfuhr kein Verein mehr einen solchen Hype. Gefragt nach den Gründen für den unterschiedlichen Werdegang, nennt Bruchhagen als erstes „Kontinuität“. Axel Hellmann, der jetzige Vorstandschef, wirkt seit 2001 am Riederwald, Präsident Peter Fischer noch ein Jahr länger. „Beim VFB war das nicht immer gegeben.“Doch auch die Eintracht erlebte Brüche. Man erinnere sich an den Abschied von Sportchef Fredi Bobic und die ebenso wenig störungsfreien Abgänge der beiden Trainer Niko Kovac und Adi Hütter. Der Kader wurde regelmäßig durcheinandergewirbelt. Dennoch hielt die Eintracht Kurs. Anders als der VFB, der zuletzt eine für seine Verhältnisse außergewöhnlich stabile Personalpolitik an den Tag legte. Pellegrino Matarazzo hielt sich fast drei Jahre als Trainer. Und doch steht der VFB wieder dort, wo er 2016 stand: am Abgrund. „Natürlich gehört auch immer ein bisschen Glück dazu“, sagt Bruchhagen, 74. Ihn wundert, dass der VFB so weit unten steht, „denn die spielen eigentlich guten und ansehnlichen Fußball“. Auch von Vorstandschef Alexander Wehrle hat er eine hohe Meinung. Wenngleich er die Inthronisierung des Trios Lahm, Khedira, Gentner am damaligen Sportdirektor Sven Mislintat vorbei für einen Fehler hält: „Ich wäre ins Auto gestiegen und abgefahren.“
Bruchhagens wichtigste Erkenntnis aus seiner langjährigen Laufbahn lautet: „Du musst die Leute im Verein mitnehmen. Du darfst aber auch nichts zulassen.“
Gemeint sind Stör- und Nebengeräusche, wie sie beim VFB mit seinen diversen Gremien in schöner Regelmäßigkeit verbreitet werden. In Frankfurt sei das Phänomen weniger ausgeprägt. Auch wenn stets mächtige Männer wie der Ministerpräsident oder der Flughafenchef Ämter im Verein bekleideten. „Bei mir hat sich mal ein Aufsichtsrat beschwert, Trainer Friedhelm Funkel spiele zu defensiv. Da habe ich geantwortet: Erstens hat der Vertrag – zweitens wird er verlängert.“
Die Champions-league-falle
Ein Machtwort, wie man es in Stuttgart in diesen Wochen selten hört. Weil die Verantwortlichen an allen Fronten zu kämpfen haben. Sportlich, wirtschaftlich, atmosphärisch. Wenn man sieht, welche Begeisterung der jüngste Höhenflug der Eintracht ausgelöst hat – seit 2016 hat sich die Zahl der Mitglieder auf 120 000 verdreifacht – kann man erahnen, was in Stuttgart möglich wäre. Vorausgesetzt, der VFB steigt nicht zum dritten Mal in sieben Jahren ab. „In fünf Jahren“, sagt Bruchhagen, „kann die Welt schon wieder ganz anders aussehen.“Zwischen Platz sechs und 16 könne es immer zu starken Veränderungen kommen, vor denen auch die Eintracht nicht gefeit sei.
Stichwort Champions-leaguefalle. „Die Flut hebt alle Boote“, warnt Bruchhagen vor den Folgen steigender Gehälter und Ablösen. Nach der Meisterschaft 2007 ist der VFB in diese Falle getappt.