Vom Funken zum Dauerfeuer
Die Ausstellung „Auf Empfang“im Mannheimer Technoseum lässt Historie und Entwicklung der Informationstechnik Revue passieren. Und zeigt, wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft davon beeinflusst werden.
Am Anfang stand ein Funke. Dem naturwissenschatflich interessierten Tüftler Guglielmo Marconi (1874 – 1937) gelang 1897 am Bristolkanal mit dem von ihm erfundenen „Knallfunkensender“die erste drahtlose Übertragung einer Nachricht. Die Botschaft „Let it be so“(So soll es sein) wurde zunächst über eine Entfernung von sechs, kurz darauf über 15 Kilometer geschickt – einfach so durch die Luft, ohne Telegrafenmast. Ein Empfänger spuckte die Worte als Morsezeichen aus. Dass Marconi damit die Informationstechnik revolutionierte, dürfte zu jenem Zeitpunkt weder er selbst noch der größte Teil der Öffentlichkeit geahnt haben. Heute kommt an dem Italiener niemand vorbei, der sich mit der Geschichte von Radio und Fernsehen befasst. Besucher der Ausstellung „Auf Empfang“im Mannheimer Technoseum begegnen dem Physik-nobelpreisträger, der weder die Hochschulreife noch einen akademischen Abschluss besaß, denn auch gleich zu Beginn des Rundgangs. „Marconi war der Elon Musk von damals“, sagt Martin Weiss, der Co-kurator der Schau, die auf 800 Quadratmetern rund 300 Exponate zeigt. Sammlungsbestände aus dem Deutschen Rundfunkarchiv und dem SWR haben die Ausstellungsmacher unter Leitung von Anke Keller zusammengeführt und um Leihgaben aus ganz Deutschland ergänzt. Zu besichtigen sind Objekte vom frühen Hörfunkstudio über die erstaunlich kleine Originaluhr der „Tagesschau“bis hin zu legendären Tv-figuren des deutschen Fernsehens wie Käpt‘n Blaubär aus der „Sendung mit der Maus“oder dem Sandmännchen Ost und West. Nicht zu vergessen der Bademantel von „Mutter Beimer“aus der Kultserie „Lindenstraße“.
Analog zur Historie von Sendern und Sendungen erzählt die Ausstellung die Geschichte vom technischen Wandel der Geräte: Volksempfänger aus trüben Nazi-zeiten, voluminöse Radiotruhen ausbuntenwirtschaftswundertagen,klobigeröhrenfernseher, smarte Flachbildschirme sind zu sehen – Letztere auch ohne Abdeckung von der Rückseite mit Einblick ins elektronische Innenleben.
Die Ausstellung schlägt den spannungsreichen Bogen vom Fortschritt der Sendetechnik hin zu den wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Folgen der zunehmenden Informationsverbreitung. Besucher erleben hautnah, wie eng technische Entwicklung, Sozial- und Kulturgeschichte in den vergangenen mehr als 100 Jahren miteinander verflochten waren und sind.
Marconi nutzte für seine Sendetechnik Funken aus elektrischer Spannung, daher der Begriff „Funk“-verbindung. 1901 gelang die erste drahtlose Nachrichtenübertragung zwischen Nordamerika und Europa. Wenig überraschend weckte die Erfindung rasch das Interesse von Politik, Militär und Wirtschaft. In Deutschland ging im Jahre 1903 aus den Elektrokonzernen AEG und Siemens die Telefunken Gmbh hervor, die fortan höchst erfolgreich in der Kommunikationsbranche mitmischte und unter anderem an der
Entwicklung der Radartechnik und des Farbfernsehens maßgeblich beteiligt war. Die Titanic-katastrophe 1912 offenbarte einen wesentlichen Mangel der frühen Funktechnik: Die mit dem Marconi-system übertragenen Nachrichten konnten nur mit Marconi-geräten empfangen werden. „We are sinking, request help immediately“(Wir sinken, brauchen sofort Hilfe), morste der Funker des untergehenden Schiffes in die Nacht – eine Kopie des Telegramms ist im Technoseum ausgestellt. Der Notruf erreichte aber nur Schiffe mit den passenden Geräten. „Es hätten viel mehr Leben gerettet werden können, wenn die Nachricht von allen empfangen worden wäre“, sagt Martin Weiss. Die Lehre daraus: Weitere, mit möglichst vielen Endgeräten kompatible Frequenzen wurden geschaffen.
Die Technik entwickelte sich rasant, nicht zuletzt in Deutschland. 1923 nahm in Berlin der erste deutsche Radiosender den Betrieb auf. Mit den Worten „Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-haus auf Welle 400 Meter“ging die „Funk-stunde AG“auf Sendung, zu empfangen war das Programm zunächst nur von wenigen Eingeweihten per Kopfhörer. Zehn Jahre später konnten die Nationalsozialisten bereits auf ein funktionierendes Rundfunknetz im ganzen Land zugreifen, mit Hilfe des Volksempfängers verbreiteten sie ihre Propaganda flächendeckend.
Aus dieser Erfahrung entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland nicht nur sukzessive voneinander unabhängige Landessender, ihnen wurde auch Staatsferne verordnet. „Aus dem totalen Missbrauch wurde ein Nie Wieder“, sagt Martin Weiss. Der Gegensatz der beiden Ansätze war in Zeiten des Ost-west-konflikts im geteilten Deutschland besonders eindrucksvoll zu beobachten, als die öffentlichrechtlichen Medien (West) mit dem Staatsrundfunk der DDR um die Deutungshoheit über Nachrichten rangen.
Wieviel Staat braucht unser Mediensystem, um eine Grundversorgung an Information zu gewährleisten? Welche Folgen für die Inhalte der Programme hat der privatwirtschaftliche Einfluss, der seit Einführung des Kabel- und Satellitenfernsehens in den 1970er und 80er Jahren stetig zugenommen hat? Nicht zuletzt: Was bedeutet für Informationsströme und gesellschaftlichen Diskurs das Ende der ursprünglichen Aufteilung in „Empfänger“und „Sender“im Zeitalter des Internet? Wo ist das Regulativ zur Verbreitung gezielter Desinformation, die Populisten und Potentaten in aller Welt zu nutzen verstehen? Die Mannheimer Ausstellung wirft viele wichtige Fragen auf. Schließlich ist aus Marconis Funken längst mediales Dauerfeuer geworden.