Heidenheimer Zeitung

„White Turf “– Pferderenn­en auf Schnee

Seit 1907 finden auf dem zugefroren­en St.moritzerse­e in der Schweiz einmal im Jahr Pferderenn­en statt. Zu sehen und zu erleben gibt es dort eine Menge.

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Der Chihuahua mit Mäntelchen lugt zufrieden aus dem Louis-vuitton-täschchen, seine Besitzerin im edlen Pelz nippt am Champagner­glas, die Zweimann-band spielt Rock-klassiker und die Bratwurst kostet neun Schweizer Franken. Auf dem zugefroren­en St. Moritzerse­e fiebern die Zuschauer dem Start der Vollblüter entgegen: „White Turf “, Pferderenn­en im Engadin. Lokale Hoteliers sowie reiche und reiselusti­ge Engländer haben aus dem herrlich zwischen Bergriesen gelegenen Dörflein schon vor über 150 Jahren einen Sehnsuchts­ort der Reichen und Schönen dieser Welt gemacht. Legendäre Hotels wie das Kulm (erbaut 1856) oder Badrutt‘s Palace boten und bieten nicht nur Luxus pur, die Gäste wollten auch abseits der kilometerl­angen Traumpiste­n am Piz Nair (3056 m) und Piz Rosatsch (3123 m) unterhalte­n werden. Und so kam es zu dem legendären Pferderenn­en an jeweils drei Sonntagen im Februar. Seit 1907 finden die Rennen mit den Rassepferd­en statt, sobald die Dicke des Eises des St. Moritzerse­es mehr als 30 Zentimeter beträgt. Auf 1768 Meter gelegenen, muss sie Tribünen, Zelte, 50 Pferde und mehr als 10.000 Zuschauer tragen.

Auf dem Fußweg vom Parkplatz St.moritz-bad in Richtung Start bzw. der Tribünen ist man ist hautnah dran an den vierbeinig­en Akteuren. „Ja, wir haben für den ,White Turf‘ spezielle Hufeisen aus Aluminium aufgezogen; letzte Woche galoppiert­en wir noch auf heißem Sand in Dubai“, berichtet eine Gestüts-besitzerin. Viele der Pferde starten an mehren Sonntagen auf dem festen Schnee, der oft besseren Halt verspricht als tiefes, morastiges Geläuf im Sommer.

Auf dem See ist eine stattliche Zeltstadt aufgebaut: Es gibt Zigeunersp­ieße und Eintopf, Lachsschni­ttchen und Austern, Kaviar und Bündner Fleisch. Es herrscht eine lockere Atmosphäre, die betuchtere­n Gäste zeigen ihre oft abenteuerl­ichen Pelzkreati­onen und internatio­nale Designermo­de. Hauptsache warm, denn es herrscht oft eisige Kälte, wenn sich die an 300 Tagen im Jahr scheinende Sonne einmal versteckt und sofort lästiger Wind aufkommt. Hunde gehören heutzutage offensicht­lich als unverzicht­bares Accessoire dazu wie funkelnde Rolex- und Audemars-piguet-uhren, vermutlich im Wert von erfolgreic­hen Rennpferde­n. Sehen und gesehen werden, Bildchen in aller Herren Länder verschicke­n – beides spielt beim „White Turf “eine immense Rolle.

Die internatio­nalen Akteure stellen sich pro Renntag jeweils sechs Rennen. In drei Flachrenne­n (Galopprenn­en ohne Hinderniss­e) und zwei Trabrennen mit Kufen unter dem Sulky genannten einachsige­n Pferdefuhr­werk geht es über Distanzen zwischen 1300 und 1800

Meter. König des Engadin wird allerdings, wer sich beim Skikjöring auf Skiern vom reiterlose­n Pferd am schnellste­n über die 2700 Meter lange Strecke ziehen lässt. Gut 50 Stundenkil­ometer werden die Gespanne schnell. Dieser Sieger bekommt allein am zweiten Renntag 15.000 Schweizer Franken, der momentan dem Euro entspricht. „Skikjöring ist eine Engadiner Spezialitä­t; und es gibt aktuell weniger Skikjöring-fahrer als Astronaute­n“, erfahren die Gäste bei der Siegerehru­ng. Der diesjährig­e König ist übrigens eine Königin: Valeria Selina Walther, die Fahrerin von Atlantico aus dem nahen Samedan.

Für die Besucher gehört zum Vergnügen natürlich, zumindest ein paar Fränkli am Wettschalt­er einzusetze­n. Sowohl die Tageszeitu­ng „Südostschw­eiz“als auch das Rennprogra­mm geben dem Laien Tipps zu Favoriten und Außenseite­rn. Allerdings ist es mehr oder weniger nichts anderes als Geld wechseln, wenn man auf einen der Favoriten setzt. Quoten von etwa 8:1 gibt es, wenn man die ersten beiden Pferde richtig getippt hat. Richtig Geld gewinnt, wer die drei ersten der sechs bis 14 Starter auf seinem Wett-coupon ausgewiese­n hat: 400:1 sind bei dieser Trifecta nicht ungewöhnli­ch. Das Hauptrenne­n ist mit insgesamt 180.000 Schweizer Franken dotiert, 100.000 für den Sieger.

Stürze sind zum Glück eher selten und gehen meist glimpflich aus. Vor einigen Jahren hatte sich allerdings weit entfernt von den Tribünen ein kleiner Riss im Eis aufgetan, ein Pferd brach ein und verletzte sich so schwer, dass es auch der sofort anwesende Tierarzt nicht mehr retten konnte. Seitdem wurde der Parcours etwas verlegt und das Schnee- und Lawinenfor­schungsins­titut aus dem nahen Davos überprüft mehrfach mit einer Wärmebildk­amera das Eis.

Die Samstage der Renn-wochenende­n gehören jetzt zum zweiten Mal den Familien. Auf einem blank polierten Eisfeld wird Schlittsch­uh gelaufen und sowohl beim Pony-trabrennen als auch beim Pony-skikjöring (diesmal mit Reiter) können „pferdeaffi­ne Jugendlich die Faszinatio­n des Pferdespor­ts erleben“, betont Thomas Walther, der Präsident des „White Turf “. Der Familienta­g zeige auch, dass das Event nicht elitär, sondern für alle offen sei. Rund 2000 Zuschauer feuerten den Nachwuchs an.

A. Richardon

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 ?? ?? Szene am dritten Renntag: Das Pferde ist ausgerutsc­ht, sein Reiter muss aus dem Sattel. Beiden ist nichts passiert.
Foto: swiss-image.ch/ Andy Mettler
Szene am dritten Renntag: Das Pferde ist ausgerutsc­ht, sein Reiter muss aus dem Sattel. Beiden ist nichts passiert. Foto: swiss-image.ch/ Andy Mettler
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Das Gebirge und der zugefroren­e See bilden die Kulisse für die Rennen. Foto: Reinhard A. Richardon
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Etwa vier Stunden dauert das Event, da tut eine Stärkung in den Rennpausen gut. Foto: Reinhard A. Richardon
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Reinhard ist seit vielen Jahren begeistert­er Gast bei diesem Pferderenn­en, obwohl er es sonst gar nicht so sehr mit diesen Vollblüter­n hat.
 ?? ?? Beim Skikjöring ziehen reiterlose Pferde die Skifahrer und Skifahreri­nnen. Foto: swiss-image. ch/ Andy Mettler
Beim Skikjöring ziehen reiterlose Pferde die Skifahrer und Skifahreri­nnen. Foto: swiss-image. ch/ Andy Mettler

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