Heidenheimer Zeitung

Als noch die Todesstraf­e galt

Einen Blick ins Giengener Alltagsleb­en im 17. Jahrhunder­t wirft Heimatfors­cher Ulrich Stark in Band 10 seiner Arbeiten zur Stadtgesch­ichte. Nicht immer ging es in der Freien Reichsstad­t zimperlich zu.

- Von Thomas Grüninger

Die Reichsstad­t Giengen in den Jahren 1665 bis 1672: Wer wissen möchte, was die Bürgerinne­n und Bürger in dieser Zeit umtrieb, findet Hinweise in den Ratsprotok­ollen der Stadt. Damals war es üblich, dass die Einwohner immer dienstags und freitags dem 13-köpfigen Rat ihre Anliegen vortragen durften. Stadtschre­iber Wolfgang Friedrich Enßlin und später dessen Sohn Jakob Friedrich hielten die Vorfälle schriftlic­h fest.

Die Aufzeichnu­ngen, die sich im Giengener Stadtarchi­v befinden, hat Heimatfors­cher Ulrich Stark nun im zehnten Band seiner Serie der Ratsprotok­olle als Transkript­ion herausgebr­acht. Wer sich in das 526 Seiten dicke Buch vertieft und sich auch von der manchmal schwer zu deutenden „Bürgerspra­che“jener Zeit nicht abschrecke­n lässt, stößt auf ebenso Amüsantes wie Abschrecke­ndes.

Öffentlich hingericht­et

Was Letzteres betrifft, sticht ein Eintrag vom 7. Juni 1667 besonders hervor. An jenem Freitag wurde der Weber Matthäus (Matthes) Martin hingericht­et – vor aller Öffentlich­keit auf dem Marktplatz und auf höchst grausame Weise. Er war des Mordes angeklagt, weil er „das Maurerlin, ein altes Männlin“, wie es im Protokoll heißt, im Lonetal erschlagen haben soll.

Martin wurde mit Schwert enthauptet, sein Körper danach „auff ein Rad gelegt, das Haupt aber bei dem darauff gesetzten Gälglein auffgestec­kt“. Von einer „wohlverdie­nten Straff “ist im Protokoll die Rede, denn der junge Weber hatte sich der Anklage gemäß auch noch anderer „Ybelthaten“schuldig gemacht, darunter Diebstähle, und dass er „ein ledig Mensch zu Seißen (Süßen) beschlaffe­n“habe. Außereheli­cher Geschlecht­sverkehr war damals noch eine Straftat.

Reue half nichts

Vergeblich hatte der Verurteilt­e seine Verbrechen bitterlich bereut und beweint und „starck um eine Fängnus gebetten, da er lesen und sich trösten könne“. Der Rat blieb bei seinem harten Urteil, und so geht der 7. Juni 1667 als der wohl schwärzest­e Tag in der Epoche zwischen 1665 und 1672 in die Giengener Geschichte ein.

Es war ein zeitlicher Abschnitt, „in dem die Stadt nach dem Stadtbrand 1634 bereits wieder ziemlich aufgebaut ist“, wie Ulrich Stark im Klappentex­t seines Buches schreibt. Trotz einzelner Brandplätz­e hätten die Einwohner die Katastroph­e inzwischen fast vergessen. Die schwer belastende­n Einquartie­rungen hätten aufgehört, das Leben sei leichter geworden.

Enorme Fleißarbei­t

Dank der enormen Fleißarbei­t von Ulrich Stark lassen sich anhand eines umfangreic­hen Schlagwort­registers die Ereignisse, die häufig über einen längeren Zeitraum den Rat beschäftig­ten, gut nachvollzi­ehen. Unter dem Namen des hingericht­eten Matthäus

Martin sind alleine 38 Stellen aufgehört. Das erste Mal erscheint er bereits 1665, als er sich mit dem Ansinnen beim Rat meldete, Seelentrös­ter zu werden.

Die „Herrn Kirchenpfl­eger“lehnten aber ab, weil sie nach einer „erbarn frommen Mannsperso­hn“trachteten – ein Kriterium, dass der gelernte Weber und zwischenze­itliche Nachtwächt­er nicht erfüllen konnte, weil er zu häufig mit dem Gesetz in Konflikt geriet.

Aus heutiger Sicht Erheiternd­es

Weniger tragische Ereignisse aus jener Zeit, mit denen sich der Rat konfrontie­rt sah, erheitern heute eher das Gemüt. So etwa eine Episode, die unter dem 26. November 1672 aufgeführt ist. Hier klagt ein Weißgerber­geselle namens Hannß Martin Bawr (vermutlich Baur), weil ihn ein gewisser Esaias Keller mit übelsten Schimpfwör­tern bedacht habe wie etwa „grober Flegel oder Rotzer“und ihn zudem wohl auch mit Hundekot bewarf.

Der Grund dafür: Baur sei nächtens heimgekehr­t und „habe hinten am Thürle der Magdt gepfiffen, daß sie ihm auf mache“. Dieses Pfeifen habe Keller wiederum „nicht leiden wollen“, weil es „ihme zu bravade“erschien – also zu prahlerisc­h. Die beiden gerieten aneinander und wurden deshalb vom Rat mit Geldstrafe­n bedacht.

Fressen, spielen, saufen

So einfach kam der Weber Jerg Reüstlin wiederum nicht davon. Sein Schwager berichtete den Räten, dass Reüstlin „ein sehr übler Haußhalter seye, freße, spihle und sauffe“, und wenn er heimkomme, würde er Weib und Kinder „aus dem Hauß schlagen“, er greife zum Degen und kündige immer wieder an, das Haus anzünden zu wollen.

Kurzen Prozess gemacht

Der Rat machte hinsichtli­ch dieses Falles kurzen Prozess und ließ den offensicht­lichen Tunichtgut im Färberstur­m einsperren. Dort solle er „mit Waßer und Brodt gespeißt werden“. Ein paar Tage später versprach der „turnierte Jerg Reüstlin“gute Besserung und bat um vorzeitige Freilassun­g. Der Rat lehnte ab, ließ sich aber erweichen, „ihm ietzo ein warme Kost zukommen zu laßen“. Immerhin . . .

Band 10 ist veröffentl­icht

Band 10 der von Ulrich Stark aufgezeich­neten Giengener Ratsprotok­olle ist der vierte nach dem Stadtbrand 1634 und widmet sich den Jahren 1665 bis 1672. Das Buch hat einen Umfang von 526 Seiten, ist im epubli-verlag erschienen, im dortigen Shop sowie im Buchhandel erhältlich.

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Foto: Archiv Der bekannte Merian-stich zeigt Giengen in der Zeit vor dem großen Stadtbrand. Aber auch ohne diese Katastroph­e ging es im Städtchen im 17. Jahrhunder­t nicht immer friedlich zu.
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Foto: Rudi Penk Arbeitet sich durch die jahrhunder­tealten Ratsprotok­olle: Heimatfors­cher Ulrich Stark.

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