Als noch die Todesstrafe galt
Einen Blick ins Giengener Alltagsleben im 17. Jahrhundert wirft Heimatforscher Ulrich Stark in Band 10 seiner Arbeiten zur Stadtgeschichte. Nicht immer ging es in der Freien Reichsstadt zimperlich zu.
Die Reichsstadt Giengen in den Jahren 1665 bis 1672: Wer wissen möchte, was die Bürgerinnen und Bürger in dieser Zeit umtrieb, findet Hinweise in den Ratsprotokollen der Stadt. Damals war es üblich, dass die Einwohner immer dienstags und freitags dem 13-köpfigen Rat ihre Anliegen vortragen durften. Stadtschreiber Wolfgang Friedrich Enßlin und später dessen Sohn Jakob Friedrich hielten die Vorfälle schriftlich fest.
Die Aufzeichnungen, die sich im Giengener Stadtarchiv befinden, hat Heimatforscher Ulrich Stark nun im zehnten Band seiner Serie der Ratsprotokolle als Transkription herausgebracht. Wer sich in das 526 Seiten dicke Buch vertieft und sich auch von der manchmal schwer zu deutenden „Bürgersprache“jener Zeit nicht abschrecken lässt, stößt auf ebenso Amüsantes wie Abschreckendes.
Öffentlich hingerichtet
Was Letzteres betrifft, sticht ein Eintrag vom 7. Juni 1667 besonders hervor. An jenem Freitag wurde der Weber Matthäus (Matthes) Martin hingerichtet – vor aller Öffentlichkeit auf dem Marktplatz und auf höchst grausame Weise. Er war des Mordes angeklagt, weil er „das Maurerlin, ein altes Männlin“, wie es im Protokoll heißt, im Lonetal erschlagen haben soll.
Martin wurde mit Schwert enthauptet, sein Körper danach „auff ein Rad gelegt, das Haupt aber bei dem darauff gesetzten Gälglein auffgesteckt“. Von einer „wohlverdienten Straff “ist im Protokoll die Rede, denn der junge Weber hatte sich der Anklage gemäß auch noch anderer „Ybelthaten“schuldig gemacht, darunter Diebstähle, und dass er „ein ledig Mensch zu Seißen (Süßen) beschlaffen“habe. Außerehelicher Geschlechtsverkehr war damals noch eine Straftat.
Reue half nichts
Vergeblich hatte der Verurteilte seine Verbrechen bitterlich bereut und beweint und „starck um eine Fängnus gebetten, da er lesen und sich trösten könne“. Der Rat blieb bei seinem harten Urteil, und so geht der 7. Juni 1667 als der wohl schwärzeste Tag in der Epoche zwischen 1665 und 1672 in die Giengener Geschichte ein.
Es war ein zeitlicher Abschnitt, „in dem die Stadt nach dem Stadtbrand 1634 bereits wieder ziemlich aufgebaut ist“, wie Ulrich Stark im Klappentext seines Buches schreibt. Trotz einzelner Brandplätze hätten die Einwohner die Katastrophe inzwischen fast vergessen. Die schwer belastenden Einquartierungen hätten aufgehört, das Leben sei leichter geworden.
Enorme Fleißarbeit
Dank der enormen Fleißarbeit von Ulrich Stark lassen sich anhand eines umfangreichen Schlagwortregisters die Ereignisse, die häufig über einen längeren Zeitraum den Rat beschäftigten, gut nachvollziehen. Unter dem Namen des hingerichteten Matthäus
Martin sind alleine 38 Stellen aufgehört. Das erste Mal erscheint er bereits 1665, als er sich mit dem Ansinnen beim Rat meldete, Seelentröster zu werden.
Die „Herrn Kirchenpfleger“lehnten aber ab, weil sie nach einer „erbarn frommen Mannspersohn“trachteten – ein Kriterium, dass der gelernte Weber und zwischenzeitliche Nachtwächter nicht erfüllen konnte, weil er zu häufig mit dem Gesetz in Konflikt geriet.
Aus heutiger Sicht Erheiterndes
Weniger tragische Ereignisse aus jener Zeit, mit denen sich der Rat konfrontiert sah, erheitern heute eher das Gemüt. So etwa eine Episode, die unter dem 26. November 1672 aufgeführt ist. Hier klagt ein Weißgerbergeselle namens Hannß Martin Bawr (vermutlich Baur), weil ihn ein gewisser Esaias Keller mit übelsten Schimpfwörtern bedacht habe wie etwa „grober Flegel oder Rotzer“und ihn zudem wohl auch mit Hundekot bewarf.
Der Grund dafür: Baur sei nächtens heimgekehrt und „habe hinten am Thürle der Magdt gepfiffen, daß sie ihm auf mache“. Dieses Pfeifen habe Keller wiederum „nicht leiden wollen“, weil es „ihme zu bravade“erschien – also zu prahlerisch. Die beiden gerieten aneinander und wurden deshalb vom Rat mit Geldstrafen bedacht.
Fressen, spielen, saufen
So einfach kam der Weber Jerg Reüstlin wiederum nicht davon. Sein Schwager berichtete den Räten, dass Reüstlin „ein sehr übler Haußhalter seye, freße, spihle und sauffe“, und wenn er heimkomme, würde er Weib und Kinder „aus dem Hauß schlagen“, er greife zum Degen und kündige immer wieder an, das Haus anzünden zu wollen.
Kurzen Prozess gemacht
Der Rat machte hinsichtlich dieses Falles kurzen Prozess und ließ den offensichtlichen Tunichtgut im Färbersturm einsperren. Dort solle er „mit Waßer und Brodt gespeißt werden“. Ein paar Tage später versprach der „turnierte Jerg Reüstlin“gute Besserung und bat um vorzeitige Freilassung. Der Rat lehnte ab, ließ sich aber erweichen, „ihm ietzo ein warme Kost zukommen zu laßen“. Immerhin . . .
Band 10 ist veröffentlicht
Band 10 der von Ulrich Stark aufgezeichneten Giengener Ratsprotokolle ist der vierte nach dem Stadtbrand 1634 und widmet sich den Jahren 1665 bis 1672. Das Buch hat einen Umfang von 526 Seiten, ist im epubli-verlag erschienen, im dortigen Shop sowie im Buchhandel erhältlich.