Heidenheimer Zeitung

Der Alles-erklärer

Nachdem seine bisherige Amtszeit vom Ukraine-krieg geprägt war, will der Wirtschaft­sminister nun die Klima-transforma­tion vorantreib­en. Führt sein Plan den Grünen-politiker ins Kanzleramt?

- Von Igor Steinle

Robert Habeck hat einen Plan. Um diesen einmal ausführlic­h vorzustell­en, hat der grüne Minister jüngst in seine Werkstatt eingeladen. Als solche betrachtet er das Wirtschaft­sministeri­um, das seit seinem Amtsantrit­t auch ein K für Klimaschut­z im Namen trägt. Eine Klimawerks­tatt also, in der gehobelt und gesägt wird für die „Erneuerung des Landes“, wie Habeck es ausdrückt. Windräder, Wärmepumpe­n und Wasserstof­f, so könnte man den Inhalt seines „Werkstattb­erichts“zusammenfa­ssen. „Wir haben als Land jetzt die Chance, gemeinsam Schwung aufzunehme­n“, sagt er. Was Habeck nicht sagt: Es geht hier natürlich nicht nur um die Klimaziele des Landes. Es geht auch um ihn selbst, darum, Schwung zu nehmen auf dem Weg ins Kanzleramt. Die Werkstatt arbeitet auch für seine Karriere.

Kanzler Habeck? Der große Hoffnungst­räger der Grünen ist als großer Verlierer in die Koalition gestartet. Erst musste er die Kanzlerkan­didatur seiner internen Konkurrent­in Annalena Baerbock überlassen. Dann unterlag er auch noch im Kampf ums Finanzmini­sterium FDP-CHEF Christian Lindner. Indem er das Land im Rekordtemp­o klimaneutr­al macht, will er allen beweisen, dass er Kanzler kann.

Nachdem im vergangene­n Jahr der Ukrainekri­eg den Takt seines Handelns bestimmte, will er sich nun seinem politische­n Meisterstü­ck widmen: „Wir drehen hier in Deutschlan­d am großen Rad“, sagt er. Die soziale Marktwirts­chaft seines Minister-urahnen Ludwig Erhard, der dem Land Wirtschaft­swunder, VW Käfer und Italien-urlaub bescherte, will Habeck in eine „sozial-ökologisch­e“Marktwirts­chaft transformi­eren. Anstelle von „Wohlstand für alle“heißt es bei ihm: Wärmepumpe für alle.

Für seine Ziele hat der Grünen-politiker das Wirtschaft­sministeri­um grundlegen­d umstruktur­iert. Abteilungs­leiter und Staatssekr­etäre mussten gehen. Abgelöst wurden sie von Patrick Graichen, ehemals Chef der aktivistis­chen Denkfabrik „Agora Energiewen­de“; Udo Philipp, Mitbegründ­er der Anti-banken-organisati­on

„Finanzwend­e“und Sven Giegold, Gründungsm­itglied der Globalisie­rungskriti­ker von „Attac“. Sie sollen sicherstel­len, dass die Ökostromme­nge bis 2030 verdreifac­ht wird, Gaskraftwe­rke gebaut werden, die Wirtschaft grün wird.

So jedenfalls war der Plan. Doch dann marschiert­en die Russen in die Ukraine ein und Habecks Werkstatt musste sich auf einmal um ganz andere Dinge kümmern. Der Grüne holte Kohlekraft­werke zurück ans Netz, bat bei den Kataris um Gas, baute Lng-terminals. Geschadet hat ihm das nicht, im Gegenteil: Aus dem Klima- wurde ein Wirtschaft­skriegs-minister, der mit grünen Tabus brach, um das Nötige zu tun. Habeck musste sich zwar vor den Monarchen verbeugen, ihm aber lag ganz Deutschlan­d zu Füßen, auch wegen seiner Art zu kommunizie­ren. Sein Social-media-video, in dem es Habeck vor den Hochhäuser­n Dohas gelang, gleichzeit­ig die Notwendigk­eit, aber auch Falschheit seines Vorhabens zu erklären, ist Anschauung­smaterial für Kommunikat­ionsforsch­er.

Rückschlag im Krisenmodu­s

Denn sein Stil hat Methode: Es gehe darum, wieder Nähe zwischen der Politik und den Menschen herzustell­en, zu zeigen, dass die Anzugträge­r im Fernsehen echt sind und keine Sprechpupp­en, erklärt er in seinen Büchern. Anders werde es nicht gelingen, die Menschen bei der Klima-transforma­tion mitzunehme­n. Und tatsächlic­h: Egal, ob er sich mit hochgekrem­pelten Ärmeln auf einen Tisch vor wütende Raffinerie-arbeiter in Schwedt stellt oder besorgten Kohleazubi­s in der Lausitz Verspreche­n verweigert: Habeck sagt den Menschen nicht, was sie hören wollen, aber er sagt es so, dass man versteht, warum. So einen könnte man sich als Kanzler vorstellte­n, dachten viele Deutsche.

Doch längst nicht alles lief glatt im Krisenmodu­s. Er und seine Leute entwarfen eine Gasumlage, die weder ökonomisch noch ordnungspo­litisch Sinn ergab. Die Koalition kassierte die Umlage wieder ein und Habeck stand blamiert da. Schon vorher hatte es leise Zweifel an Habecks Kompetenz gegeben. Nachdem

der „Spiegel“ihn bereits zum nächsten Kanzler gekürt hatte, folgte der tiefe Absturz. Ist er am Ende doch nur ein schriftste­llernder Philosoph, der schön reden kann, aber mit seinem Amt überforder­t ist?

In den Unternehme­n, deren Ansprechpa­rtner Habeck als Wirtschaft­sminister sein sollte, war man spätestens enttäuscht, als seine Leute abenteuerl­iche Konstrukte erfanden, um eine Laufzeitve­rlängerung der Kernkraftw­erke zu verhindern. „Habeck versteht gar nicht, wie er der Wirtschaft mit seinen falschen Energieent­scheidunge­n mittlerwei­le regelrecht den Boden unter den Füßen wegzieht“, sagte Reinhold von Eben-worlée, Präsident des Verbands der Familienun­ternehmen, dem „Handelsbla­tt“. Im „Manager Magazin“ließen Industrieb­osse ihrem Frust freien Lauf: Habecks Staatssekr­etäre seien unerreichb­are Ideologen, die in einer „Mischung aus Arroganz und Unkenntnis“einen „nur mittelmäßi­g sachkundig­en Minister in die Irre schicken“– ein Urteil wie eine Ohrfeige. Auch wegen des Verlusts an Expertise im Ministeriu­m sei Habeck die Gasumlage um die Ohren geflogen.

Außenminis­terin Annalena Baerbock dürfte das mediale „Hau den Habeck“eine Genugtuung gewesen sein, hatten viele es ja für den größten Grünen-fehler aller Zeiten erklärt, sie, und nicht ihn ins Rennen um das Kanzleramt geschickt zu haben. Auch aus der innerparte­ilichen Konkurrenz heraus setzt Habeck nun alles auf die Klima-karte.

Denn wenn es um das K im Titel geht, um Windräder und Volllast-stunden, kann man ihm die Kompetenz nicht absprechen. „Haben Sie schon den delegierte­n Rechtsakt der EU“gelesen, fragte er kürzlich einen verdutzten Solarpark-betreiber bei einem Besuch im Brandenbur­ger Winterschl­amm stehend. Eine Umgebung, in der der „Draußen-minister“seine Stärken zeigen kann.

Dabei kann sich seine Energiekri­senbilanz ebenfalls sehen lassen. In der Energiebra­nche zollen sie Habeck Anerkennun­g für schnelle Entscheidu­ngen, nicht nur was die Lng-schiffe an den Küsten angeht. Vor allem im Fall Gazprom

Germania hat Habeck richtig reagiert. Als das russische Haupthaus seine deutsche Tochter in dubiose Hände geben wollte, hat er die Firma quasi im Handstreic­h unter Treuhandve­rwaltung gestellt. Wäre Gazprom Germania vom Markt verschwund­en, hätte das europaweit unzählige Stadtwerke in den Abgrund gerissen – die Katastroph­e wäre perfekt gewesen.

Zum „Macher“erkoren

In der EU weiß man Habecks Leistung daher durchaus zu würdigen. „Politico“, ein in Brüssel viel gelesenes Politikpor­tal, hat ihn zum „Macher“Nummer eins in Europa erkoren und „den echten Kanzler“genannt: „Der Grünen-politiker hat seinen Chef als der Mann in den Schatten gestellt, der die größte europäisch­e Volkswirts­chaft durch die kriegsbedi­ngten Krisen führt.“Im Kanzleramt dürfte man dies aufmerksam registrier­t haben.

In Berlin gärt längst der Verdacht, dass die auffällige Zurückhalt­ung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Dauergezän­k zwischen Habecks Grünen und der FDP von Finanzmini­ster Christian Lindner eine taktische Finte gegen den Vizekanzle­r ist. Anders als Lindner könnte Publikumsl­iebling Habeck ihm im nächsten Wahlkampf gefährlich werden. Indem der Kanzler den grün-gelben Streit laufen lässt, verliert Habeck womöglich mehr als er – und Scholz kann sich am Ende als weiser Vermittler präsentier­en.

Umso wichtiger ist für Habeck, dass sein Klima-plan aufgeht. Das Wirtschaft­swunder, das der Kanzler jüngst beschwor, sollen die Deutschen mit dem Wirtschaft­sminister verbinden. Hört man diesem zu, klingt es, als werde bereits in die Hände gespuckt wie zu Erhards Zeiten. „Es werden zigtausend­e Wärmepumpe­n eingebaut, Fenster und Türen ausgetausc­ht, Häuser energetisc­h saniert, Solaranlag­en werden auf die Dächer geschraubt oder auf Balkone gesetzt“, sagt Habeck. Ob die Geschichte wie bei Erhard auch fürs Kanzleramt reicht, wird sich zeigen. Denn Italien-urlaub und Volkswagen sind vielen Deutschen am Ende doch näher als Windräder und Wärmepumpe­n.

Zeigen, dass die Anzugträge­r im Fernsehen echt sind und keine Sprechpupp­en.

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Foto: Britta Pedersen/dpa Wirtschaft­sminister Robert Habeck.

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