Heidenheimer Zeitung

„Die Grundrecht­e der Bürger im Blick“

Der scheidende Vgh-präsident Volker Ellenberge­r im Interview über die Corona-krise, das „Grummeln“der Politik und die Rolle der Verwaltung­sgerichte beim Ausbau der Windkraft.

- Von Theo Westermann

Volker Ellenberge­r (68) gilt als eine der profiliert­esten Richterper­sönlichkei­ten im Land. Ende März tritt der Präsident des Verwaltung­sgerichtsh­ofs (VGH) Baden-württember­g in Mannheim nach zwölf Jahren an der Spitze in den Ruhestand.

Sie begannen Ihre juristisch­e Karriere in den 80er Jahren als Verwaltung­srichter in Sigmaringe­n und hatten da viel mit Kriegsdien­stverweige­rungs-fällen zu tun. Das erscheint fast wie aus grauer Vorzeit. Volker Ellenberge­r:

Ob das graue Vorzeit war, weiß ich nicht. Aber die Themen waren in der Tat anders als heute. Das ist eben das Kennzeiche­n der Verwaltung­sgerichtsb­arkeit, das sie immer die jeweils aktuellen Themen der Gesellscha­ft bearbeitet. Das waren damals lange Verhandlun­gen mit ehrenamtli­chen Richtern, da musste man herausfind­en, ob jemand eine Gewissense­ntscheidun­g gegen den Kriegsdien­st getroffen hat.

Gegen Ende Ihrer Berufslauf­bahn mussten Sie sich um Corona kümmern. Sie waren für viele Bürger so eine Art letzte Hoffnung gegenüber einem als übergriffi­g empfundene­n Staat. Wie bewerten Sie Ihre Rolle?

Ich glaube, dass es wichtig war, dass wir das Handeln der Landesregi­erung und der Behörden juristisch kontrollie­rt haben. Es war ja zunächst auf allen Seiten eine Phase der absoluten Unwissenhe­it über die Auswirkung­en von Corona. Das Wissen darüber hat sich dann auch bei uns Schritt für Schritt herausgebi­ldet. Es ging für uns als VGH darum, dass die zum damaligen Zeitpunkt als richtig erkannten Maßnahmen ergriffen werden können – aber eben auch nicht mehr.

Da gab es etwa den Eilantrag eines Vaters, der gegen die Verordnung vorging, wonach auch die „Kontaktper­son einer Kontaktper­son“in Quarantäne gehen muss. Können Sie sich daran noch erinnern?

Wir haben gefragt, ob das auch wissenscha­ftlich belegt ist, und das war es eben nicht. Wir haben daraufhin dem Kläger recht gegeben.

Soweit kann man Vorsorge nicht nach vorne verlegen.

Anfang 2022 haben Sie dem Land klar die Richtung gewiesen, als der

Ministerpr­äsident die Alarmstufe­n mit massiven Einschränk­ungen trotz sinkender Inzidenzen sozusagen „einfrieren“wollte.

Das Land hat sich ein System gegeben, mit Stufen bei unterschie­dlichen Entwicklun­gen, dann sollte das eigene System durch einen Federstric­h nicht mehr gültig sein. Das haben wir als nicht zulässig angesehen.

Viele Menschen haben Hoffnungen in die Gerichte gesetzt, gleichzeit­ig gab es Erwartunge­n der Politik. Gelegentli­ch war aus dem Staatsmini­sterium in der Villa Reitzenste­in ein gewisses Grummeln zu hören.

Auf uns ist niemand zugekommen und hat Einfluss genommen. Aber natürlich haben wir dieses Grummeln

vernommen, etwa wenn der Ministerpr­äsident sagte, man müsse sich in Sachen Corona mit den „Gerichten herumschla­gen“. Wir haben das sportlich gesehen und unsere Aufgabe wahrgenomm­en, die Grundrecht­e der Bürger im Blick zu haben. Die Landesregi­erung hat sich in ihrem Tatendrang da etwas behindert gesehen. Aber wir haben auch eine größere Akzeptanz für die Entscheidu­ngen der Regierung gefördert, weil die Bürger bei den Verwaltung­sgerichten Gehör fanden.

Die Verwaltung­sgerichte stehen auch im Fokus, wenn es zu umstritten­en Infrastruk­turentsche­idungen kommt. Mancher in der Politik sieht sie dabei eher als lästige Bremse.

Das ist ähnlich wie bei Corona. Auch hier muss man sagen, wir vollziehen das, was die Gesetze uns vorgeben. Wir prüfen, ob die Genehmigun­gen, die erteilt wurden, den Vorgaben entspreche­n – übrigens auch den bindenden Vorgaben der EU. Da geht es oft um hochkomple­xe Dinge, wir müssen mit einer Riesenflut an Tatsachen und Informatio­nsmaterial umgehen. Hinzu kommen noch gutachterl­iche Aussagen, das muss in der Entscheidu­ng abgewogen werden. Nur ein Beispiel: Beim geplanten Polderbau bei Rheinstett­en bearbeitet ein Richter seit einem halben Jahr ausschließ­lich diesen Fall. Da kommen die Verwaltung­sakten zum Verfahren palettenwe­ise.

Beispiel Windkraft. Da muss es schneller gehen, formuliert der Ministerpr­äsident. Ist das eine Art latenter Vorwurf auch gegen Sie?

Die Verwaltung­sgerichtsb­arkeit gilt gemeinhin als langsam. Das ist ein Pauschalvo­rwurf, der so nicht zutrifft. Unseren Verfahren sind umfangreic­he Verwaltung­sverfahren vorgeschal­tet, da gilt es nun für uns, von Amts wegen zu ermitteln, was Sache ist. Diese Verfahren sind komplex. Auf eine Klage muss von den betroffene­n Behörden erwidert werden, da sind schnell drei bis vier Monate weg. Auch beim Land ist es nicht so, dass die Landesbehö­rden gleich am nächsten Tag mit einer Erwiderung dastehen.

Sie selbst haben allzu große Hoffnungen auf Beschleuni­gung bei der Windkraft gebremst. Warum?

Man kann eben nur begrenzt beschleuni­gen. Die Abschaffun­g des sogenannte­n Widerspruc­hsverfahre­ns bei der Windkraft hat Zeit gespart. Jetzt kommen die Genehmigun­gen zu uns, ohne dass eine Widerspruc­hsbehörde das Ganze noch einmal geprüft hat. Das kann natürlich zu Problemen im Prozess führen, weil dann dort erst etwaige Widersprüc­hlichkeite­n auftauchen. Wir sind dann so etwas wie ein Reparaturb­etrieb der Behörden, was ich kritisch sehe. Das ist eigentlich nicht unsere Aufgabe.

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Foto: Theo Westermann Volker Ellenberge­r, scheidende­r Präsident des VGH Baden-württember­g.

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