Willkommen, bienvenue, welcome im „Cabaret“
Von wegen nur rührseliger Hochglanz-kitsch: Calixto Bieito inszeniert das Erfolgsmusical mit rauen Brüchen und lauernden Abgründen.
Soviel vorweg: Es könnte der neue Spielplankracher werden. Dabei war es durchaus riskant, ein Musical wie „Cabaret“(1966) zu stemmen und sich auch gegen die ikonische Verfilmung (1972) behaupten zu wollen. Dennoch, das Musical, dessen Plot Ende 1929 einsetzt, brummt derzeit, läuft landauf, landab. Was wohl am Zeitgefühl liegt, an jener diffusen Ahnung, dass die 20er Jahre damals und heute ähnliche Umbrüche mit sich bringen – die Welt am Rande einer Katastrophe. Nun wagt sich auch das Schauspiel Stuttgart an das Erfolgsstück – in prominenter Regie von Calixto Bieito. Am Samstag war Premiere im Schauspielhaus.
Klar, Stars wie Liza Minnelli, Judi Dench oder Ute Lemper haben die „Cabaret“-geschichte geprägt. Doch Bieito holt auch so Einiges an Stimmtalenten aus dem Stuttgarter Ensemble heraus. Bereits Elias Krischke – als zwielichtiger Conférencier – zieht das Publikum mit einem dick aufgetragenen „Willkommen, bienvenue,
Es wird lasziv gezüngelt und schnöde gerammelt.
welcome“-intro in die Geschichte hinein. Genauer gesagt, in jenen berüchtigten Berliner Kit-kat-club, in dem bei Bieito nun verruchte Transgender-figuren wie „Lola Banana“und „Priscilla Queen of L’anguilla“zu den Attraktionen zählen. Nein, ein weichgespülter „Cabaret“-abend wird das nicht, in Stuttgart darf zwischendurch lasziv gezüngelt und schnöde gerammelt werden.
Schmissig synkopierte Musik
Rotlicht überall. Und vor dem roten Vorhang ist viel los. Turbulente Choreografien zu schmissig synkopierter Musik und knappe Sprechtheater-dialoge wechseln sich ab. Das Orchester schwebt über dem Geschehen und präsentiert unter Nicholas Kok jene typische „Cabaret“-melange aus Jazz, Ragtime, Brecht-weillscher Schärfe und fülligen Melodien der Rubrik „ganz große Gefühle“.
Der Kernplot? Zwei Fremde in Berlin, die britische Sängerin Sally Bowles und der mittellose Usromancier Cliff Bradshaw, verlieben sich ineinander. Drumherum schafft es Bieito, Songrevue und Historie zusammenzubringen. Auch ohne Nazi-optik gelingt es, die Zeitgeschichte – das Ende der Weimarer Demokratie, den aufkommenden Ns-faschismus – in latenter Präsenz anklingen zu lassen. Hollywood-sentiment? Nein. Der 1963 geborene Bieito kratzt diese Oberfläche auf, lässt Konflikte aufeinanderprallen, spart auch die Trostlosigkeit hinter der Glitzerfassade nicht aus.
Die Regie zeigt, wie zwei Paare, besagtes junges und ein älteres,
vor dem Hintergrund der anbrechenden Ns-zeit scheitern, wie ihre Liebe zerbricht. Wenn Michael Stiller als skrupulöser jüdischer Gemüsehändler Schultz und Anke Schuberts großherziges Fräulein Schneider füreinander zart entflammen, gehört diese scheue Zuneigung zu den intensiv tragikomischen Momenten des Abends.
„Maybe This Time“ist grandios
Auch die andere, eher glamouröse Lovestory zwischen Gábor Biedermanns nüchternem Cliff und Paula Skorupas herber Sally entwickelt bei Bieito eine gewisse Magie – bis zur quälenden Trennung. Zu den Glanzlichtern zählt der „Cabaret“-hit „Maybe This Time“, ein bombastisch sich hochschraubender Pompsong, den Skorupa vor dem Kulminationspunkt abbricht und in leiser,
zager Verzweiflung ausklingen lässt: eine grandiose Performance.
Abgesehen von verzichtbaren Animierspielchen mit dem Publikum hat Bieitos „Cabaret“-version durchaus Charme und Härte zugleich. Manchmal stoppt die Musik, und es wird ganz still, wenn Fräulein Schneider unter dem wachsenden Druck des Rassenwahns ihre Verlobung mit Schultz löst. Und zuweilen sehen wir, wie die Clubgäste trotz des aufkeimenden Terrors nur glotzen und schweigen – gespenstisch.
Alles in allem: ein auch ohne Profistimmen gut sortiertes Ensemble und eine zupackende Regie. Kein rundum geglättetes Teflon-musical. Sondern Musiktheater mit starken Auftritten, rauen Brüchen und lauernden Abgründen.