Kritik an größerem Kanzleramt
Finanzminister Lindner setzt Erweiterung in Talkshow auf Streichliste. Auch die Union will das Projekt beerdigen.
Der Wirbel um die Wahlrechtsreform hat auch den Ärger über ein zumindest indirekt verwandtes Thema angefacht. Während der Bundestag sich nämlich nun verkleinert, wächst die Zahl der Stellen in der Bundesregierung: Erstmals wird die Marke von 30000 überschritten. Verbunden damit ist eine rege Bautätigkeit in der Hauptstadt. Im Fokus steht dabei besonders der geplante Erweiterungsbau des Kanzleramts: Entstehen sollen 400 neue Büros, eine Sporthalle, eine Kita sowie ein in die Höhe verlagerter Hubschrauberlandeplatz. Das schon bislang nicht gerade kleine Kanzleramt verdoppelt sich – für geplante knapp 800 Millionen Euro.
Die Union im Bundestag fordert Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf, das Projekt zu beerdigen. „Es passt einfach angesichts immer höherer Schuldenberge nicht mehr in die Zeit“, sagt ihr haushaltspolitischer Sprecher Christian Haase (CDU) dieser Zeitung. „Während die Bürger mittlerweile den Euro zweimal umdrehen müssen, agiert der Bundeskanzler abgehoben und unsensibel.“
Zuletzt ins Spiel gebracht hatte einen Baustopp allerdings nicht die Opposition, sondern Scholz’ Finanzminister Christian Lindner (FDP). In einer Fernsehtalkshow setzte er das Vorhaben auf die Streichliste: „Ich glaube, dass in Zeiten von mehr Homeoffice und ortsflexiblem Arbeiten ein mindestens 800 Millionen teurer Neubau neben dem Kanzleramt entbehrlich ist“, sagte Lindner.
Beschlossen unter Merkel
Im Kanzleramt will man von einem Verzicht bislang nichts wissen. Die notwendigen Mittel seien im Haushaltsplan eingestellt, erste vorbereitende Baumaßnahmen hätten bereits begonnen. Zudem sei auch ein Stopp des Erweiterungsbaus oder dessen Verschiebung nicht zum Nulltarif zu haben. Selbst wenn jetzt alles gekündigt werde, würden voraussichtlich über 100 Millionen Euro Kosten anfallen, sagte eine Sprecherin.
Haushaltspolitiker Haase beeindruckt das nicht: Schließlich sei das, gemessen an der Gesamtsumme, immer noch eine Einsparung von rund 700 Millionen Euro.
Die Vorsitzende des Bauausschusses im Bundestag und Fdpkollegin von Lindner, Sandra Weeser, schlug derweil vor, das Kanzleramt könnte, statt neu zu bauen, jene Büroräume nutzen, die nach der nächsten Wahl durch die Verkleinerung des Bundestags frei würden. Aber auch wenn sich diese Flächen nur rund 700 Meter von der Regierungszentrale entfernt befinden, wird der Vorschlag im Kanzleramt kaum Unterstützer finden. Denn Ziel der Baumaßnahme soll es ja gerade sein, die derzeit auf mehrere Standorte in Berlin verteilten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Haus zu vereinen. Beschlossen worden war dies noch von der Vorgängerregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU).