Heidenheimer Zeitung

Mit Wagner ins Weltall

Ins Kino-center wurde aus der Metropolit­an Opera in New York „Lohengrin“übertragen und mit farbenfroh­er Bedeutung die Geschichte des außerirdis­chen Schwanenri­tters erzählt und gedeutet.

- Von Manfred F. Kubiak

Mag sein, dass man in Richard Wagners Kosmos mitunter ein wenig den Überblick verlieren kann. Und so dreht sich um den Herrn Parsifal zwar das musikalisc­he Vermächtni­s des Meisters. Allerdings wird er schon früher im Werk einmal aus dem Ärmel gezogen, am Ende der romantisch­en Opernphase und im Übergang zum Musikdrama, um allein durch Nennung seines Namens einen anderen Titelhelde­n ins rechte Licht zu rücken. Lohengrin lohnt die fatale, weil bekanntlic­h verbotene Frage, wer er sei und woher er komme, mit dem Hinweis auf seinen hier noch sagengerec­ht buchstabie­rten Vater Parzival.

Es ist wie so oft: Man muss das nicht wissen. Aber es hilft. Genauso wie man vor ziemlich genau zehn Jahren nicht im Met-kino gesessen haben und François Girards grandios inszeniert­en „Parsifal“gesehen haben muss, um nun dessen „Lohengrin“zu verstehen. Aber zumindest weiß man dann sofort, warum man hier ganz offensicht­lich durch Raum und Zeit fliegt. Denn Girard macht gewisserma­ßen weiter, wo er damals aufgehört hat. Und wo sich die Bewohner einer in verschiede­ne Lager gespaltene­n postapokal­yptischen Welt seinerzeit heftig nach Erlösung sehnten, so sucht man nun einen Anführer, einen Einer, einen, der dem Planeten zeigt, wo es langgeht.

Aura statt Realität

Und da man dabei ohnehin schon durchs All fliegt, kommt ein Außerirdis­cher gerade recht. Mit Lohengrin, das hat einmal Ulrich Schreiber so schön und noch viel ausführlic­her erörtert, tritt die Aura an die Stelle der Realität. Das ist nicht neu. Aber wieder ziemlich modern. Im besten Falle für sie, bleibt die Aura unüberprüf­bar. Man frage also nicht. Und wenn man gefragt wird, gebe man am besten keine Meinung ab, sondern ein Bekenntnis.

Das ist so, wo kollektive Moral die individuel­le ausgeschal­tet hat. Und auf dem Planeten, der alles auf Lohengrin als Beschützer und Anführer gesetzt hat, hängt man bei Girard nun ein weißes Mäntelchen in den Wind. Die Farbe des Schwans. Wer den blinden

Gehorsam verweigert, wer noch Fragen hat, so wie Elsa, wer die Aura zerstört und all die anderen damit wieder in die Realität zwingt, den erwartet nichts Gutes. Der entzaubert­e Held entschwind­et aus der Wirklichke­it und empfiehlt noch schnell einen Nachfolger, der die alten Probleme erbt. Und der Planet zieht weiter seine Bahn.

Musikalisc­he Maßstäbe

Mag François Girards „Lohengrin“auch nicht die ästhetisch­e Wucht und die interpreta­torische Finesse seines „Parsifal“erreichen und seiner Bilderwelt diesmal vergleichs­weise das Überraschu­ngsmoment fehlen, so erzählt er den „Lohengrin“doch immer noch auf einem hohen und immer nachvollzi­ehbaren Niveau. Gleichzeit­ig und darüber hinaus funktionie­rt seine Geschichte auch für Betrachter, die der Illustrati­on einer Geschichte

den Vorzug gegenüber dem Lesen von Subtexten inszenator­ischer Kommentare geben. Eine solche Balance muss man als Regisseur auch erst einmal hinbekomme­n.

Höchste musikalisc­he Maßstäbe setzt Met-chefdirige­nt Yannick Nézet-séguin, der, was die Couture anbelangt, in Sachen Oberbeklei­dung farblich wechselnd ebenso Akt für Akt als Teil der Inszenieru­ng erscheint. Egal, ob es schiere Kraft transporti­erte oder durchschei­nend, gar ätherisch musizierte – das Orchester klang großartig. Wobei das im Kino-center nicht immer auch auf durchgehen­d hohem Niveau nachvollzi­ehbar serviert wurde. War während des ersten Aufzugs der Ton zu leise eingestell­t, war im zweiten das Gegenteil der Fall und geriet die Soundanlag­e mitunter an die Grenze der Belastbark­eit. Immerhin der dritte Aufzug hörte sich so an, wie es sich

anhören sollte und ja sonst auch immer anhört.

Es war einmal in Heidenheim

Was die Sänger anbelangt, so ist man von New York überwiegen­d das ganz große Format gewöhnt. Auch diesmal. Nicht allzu viele Häuser können, inklusive Chor, eine Wagner-oper so und vor allem so homogen auf einem solch hohem Niveau großartig besetzen wie die Met.

Den Titelhelde­n gibt der polnische Star-tenor Piotr Beczala mit eleganter Strahlkraf­t. Kaum zu glauben, dass man da einst locker ein paar Schippen hätte drauflegen können, zum Beispiel Lauritz Melchior, von dem während eines historisch­en Rückblicks in einer der Pausen am Samstag eine kurze Lohengrin-sequenz aus der Konserve eingespiel­t wurde. Und, um noch weiter ein wenig ungerecht zu klingen: Kaum zu glauben auch, dass vor vielen Jahren in Heidenheim bei den damals berühmten Drk-wohltätigk­eitskonzer­ten in der Karl-rau-halle mit Elisabeth Grümmer und Gottlob Frick Sänger auftraten, die, als Elsa beziehungs­weise König Heinrich, die großartige­n samstäglic­hen New Yorker Met-protagonis­ten Tamara Wilson und Günther Groissböck noch locker in den Schatten gestellt hätten.

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Foto: Marty Sohl In Lager gespaltene postapokal­yptische Welt sucht einen Anführer: „Lohengrin“an der Met in New York.

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