Heidenheimer Zeitung

Wie auf einem Basar

- Stefan Kegel zur stockenden Nato-norderweit­erung leitartike­l@swp.de

Es dauert nicht mehr lange, dann wird die Grenze Russlands zur Nato auf einen Schlag um 1300 Kilometer wachsen: Finnland darf der Nato beitreten. Was als großer symbolisch­er Schritt geplant war, – nämlich die gemeinsame Aufnahme mit Schweden – hat die Nato allerdings verstolper­t. Erst nach zähen Verhandlun­gen geben die Türkei und Ungarn wohl grünes Licht für Finnland. Schweden muss noch warten.

Wie gespalten ist das Bündnis, gerade in Zeiten des Ukraine-krieges, in denen von westlicher Seite stets die Notwendigk­eit betont wird, Einigkeit zu zeigen? Um diese Frage beantworte­n zu können, lohnt ein Blick auf die beiden Staaten, die sich als Blockierer gefallen, während die anderen 28 Nato-staaten den Beitritt Finnlands und Schwedens binnen weniger Monate durchgewin­kt haben.

Dass den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und den ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orban eine gewisse Russlandnä­he verbindet, gibt der ganzen Entwicklun­g zwar eine besondere Note. Es stehen ansonsten jedoch unterschie­dliche Motive hinter ihrem Verhalten, denen eines gemein ist: Sie haben mit der Nato-erweiterun­g selbst nicht das Geringste zu tun. Den Streit um den Beitritt muss man sich vielmehr als Basar vorstellen. Als Ringen um einen Preis.

Vonseiten der Türkei stellt die Blockade ein willkommen­es Mittel dar, gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen innenpolit­isch. Erdogans Vorwurf, Schweden würde kurdische Terroriste­n beherberge­n, dürfte seine konservati­ven Anhänger daheim zuverlässi­g in Wallung bringen und ihm Stimmen bei der Wahl Mitte Mai sichern.

Zum anderen hat Erdogan auch strategisc­he außenpolit­ische Ziele.

Seit einigen Jahren ist er dabei, die Türkei als regionales Schwergewi­cht zu positionie­ren. In Syrien mischt er mit, in Libyen, aber eben auch auf der großen Bühne, etwa als Vermittler des Getreide-exportabko­mmens zwischen Moskau und Kiew. Die Blockade der Nato-erweiterun­g wirkt insofern auch als Machtdemon­stration: Seht her, selbst das größte Verteidigu­ngsbündnis der Welt tanzt nach meiner Pfeife.

Auch Ungarn kocht in der Beitrittsf­rage sein eigenes Süppchen. Ministerpr­äsident

Rein strategisc­h betrachtet ist der Beitritt Finnlands jedoch ohne Zweifel der wichtigere.

Orban will mit seiner Politik die Freigabe von Eu-geldern erpressen, die wegen Rechtsstaa­tsbedenken von Brüssel zurückgeha­lten werden. Auch das hat mit der Nato selbst nicht das Geringste zu tun.

Dass er nicht mehr als ein Trittbrett­fahrer ist, sieht man daran, dass demnächst nun auch das ungarische Parlament wohl die Nato-erweiterun­g durch Finnland durchwinke­n wird.

Finnland und Schweden werden damit nicht wie geplant gleichzeit­ig in die Nato eintreten. Man kann das getrost als Misserfolg eines als symbolisch aufgeladen­en Schritts ansehen. Rein strategisc­h betrachtet ist der Beitritt Finnlands jedoch ohne Zweifel der wichtigere, schon allein wegen der langen Grenze mit Russland. Schweden kann vorübergeh­end auch durch Sicherheit­sgarantien der Natostaate­n unterstütz­t werden. Hier kann die Nato zeigen, dass sie sich nicht als Basar missbrauch­en lässt.

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