„Ganz klar Rassismus“
Der Roman „Tauben im Gras“ist Abi-pflichtstoff an Beruflichen Gymnasien. Trotz der drastischen Sprache hält Kultusministerin Theresa Schopper daran fest.
Mit ihrer Weigerung, den Roman „Tauben im Gras“von Wolfgang Koeppen im Deutsch-unterricht zu behandeln, hat die Ulmer Lehrerin Jasmin Blunt eine Rassismus-debatte angestoßen. Baden-württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) hält an dem Buch als Abi-pflichtlektüre an Beruflichen Gymnasien fest. Sie findet, das 1951 erschienene Werk sei geeignet, um im Unterricht über die Themen Rassismus und Diskriminierung ins Gespräch zu kommen.
Eine Lehrerin kritisiert, dass Wolfgang Koeppens Roman „Tauben im Gras“kommendes Jahr Abi-pflichtlektüre an beruflichen Gymnasien wird und prangert die rassistische Sprache des Romans an. Wie reagieren Sie auf die Kritik? Theresa Schopper:
Die Sprache in Koeppens Werk ist drastisch und aus heutiger Sicht rassistisch. Der Autor hat das Buch geschrieben, um den Rassismus in der damaligen Zeit darzustellen. Natürlich hat sich die Sprache zum Glück positiv verändert. Trotzdem ist es wichtig, Rassismus zu thematisieren – auch in der Vorbereitung zum Abitur.
Hundertfach werden in dem betreffenden Buch dunkelhäutige Menschen mit „N-wörtern“bezeichnet. Warum sollen Jugendliche das lesen?
Es geht darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt: damals in den 50er Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute. Das zu behandeln, finde ich sehr wichtig. Der verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich-ranicki hat diesen Roman als Weltliteratur gewürdigt und die Süddeutsche Zeitung hat ihn in ihre Bibliothek aufgenommen.
Was ist das Lernziel im Unterricht?
Einerseits geht es darum, anhand des Buches zu vergleichen, wie sich Gesellschaften in schwierigen Umbruchssituationen verändern. Andererseits soll deutlich werden, wie Rassismus auch über die Sprache in der Gesellschaft existiert. Deswegen unterstützen wir die Lehrkräfte auch mit vielen Fortbildungen und Materialien. Es ist zwingend notwendig, bevor dieses Buch im Unterricht gelesen und behandelt wird, sehr genau über die Sprache des Textes zu reden. Denn in dieser Sprache wird ganz klar Rassismus transportiert.
Wer hat das Buch als Abi-stoff ausgewählt?
Das hat eine unabhängige Kommission entschieden. In dieser Abiturkommission saßen eine Vertreterin des Kultusministeriums und weitere erfahrene Experten, sogenannte Fachberater. Seitdem liefen Fortbildungen für rund 500 Lehrkräfte, die das Werk im Unterricht behandeln. Es gibt verschiedene Angebote, beispielsweise einen sehr umfangreichen Reader mit Begleitmaterial.
Haben Sie erwogen, das Buch als Pflichtlektüre zurückzuziehen?
Selbst wenn wir wollten, ginge das so kurzfristig gar nicht. Der entsprechende Abiturzyklus hat ja schon begonnen, rund 7500 Schülerinnen und Schüler belegen diese Deutsch-kurse an beruflichen Gymnasien. Manche Kurse behandeln das Buch bereits.
Alltagsrassismus ist in Deutschland allgegenwärtig. Wieso gehen Sie das Thema im Jahr 2023 ausgerechnet mit einem Text aus den 1950er Jahren an?
Um deutlich zu machen, wie Rassismus sich zwar verändert, aber in unserer Gesellschaft weiterhin vorhanden ist. Wie gehen wir mit People of Colour um? Wie werden sie hier gesehen? Wie fühlen sie sich beheimatet? Die „Black Lives Matter“-bewegung protestiert ja nicht ohne Grund auch bei uns. Der Anlass für deren Entstehung waren vielleicht Morde an Afroamerikanern in den USA durch Polizisten, aber auch bei uns wurden dadurch wichtige Diskussionen angestoßen: Wie äußert sich Rassismus in Deutschland? Wie gehen wir dagegen vor? Haben wir strukturellen Rassismus in Institutionen?
Sie selbst sind Jahrgang 1961. Spielten „N-wörter“in der Sprache Ihrer Kindheit und Jugend im Allgäu eine Rolle?
Natürlich. Das hat niemand hinterfragt, ich damals auch nicht. Und ich weiß auch gar nicht mehr, ob mir damals als Kind im Allgäu überhaupt jemand mit anderer Hautfarbe begegnet ist.
Die Lehrerin, die die Debatte losgetreten hat, ist nun auf eigenen Wunsch beurlaubt. Wie finden Sie das?
Ich bedauere sehr, dass sie diese Konsequenz gezogen hat. Man hat ihr ein Angebot gemacht, dass sie den Roman nicht behandeln muss. Aber das hat sie abgelehnt und sich beurlauben lassen. Ich finde es schade, dass sie den Schuldienst verlässt. Denn nach allem, was ich weiß, ist sie eine beliebte und engagierte Lehrkraft.