Heidenheimer Zeitung

Im Sog der Müdigkeit

Die Natur lebt auf, die Tage werden länger, es wird endlich wärmer. Ausgerechn­et jetzt werden wetterfühl­ige Menschen träge. Was tun?

- Von Katharina Horrer

Wetterfühl­ige Menschen kennen das Phänomen: Es ist ein Morgen im März oder April. Man öffnet das Fenster, die Sonne blinzelt einem ins Gesicht, die Vögel zwitschern – und noch bevor man die ersten Krokusse entdeckt hat, verrät der unverkennb­are Duft der frischen Luft, dass der Frühling gekommen ist. Jene Zeit im Jahr könnte so schön sein, wären da nicht diese Kopfschmer­zen, die Müdigkeit und Gereizthei­t und das Gefühl von Abgeschlag­enheit sowie die Schwierigk­eit, sich zu konzentrie­ren. Für Menschen, denen diese Symptomati­k bekannt ist, ist der Frühling die Jahreszeit, in der alles erwacht – außer sie selbst. Was sie erleben, nennt man „Frühjahrsm­üdigkeit“.

Ingo Fietze ist Facharzt für Innere Medizin, Pulmologe, Somnologe und Leiter des Interdiszi­plinären Schlafmedi­zinischen Zentrums der Charité in Berlin. Mit der Zeitung hätte er lieber über ein anderes Thema gesprochen, „weil es schwierig ist, über ein Phänomen zu sprechen, das weder wissenscha­ftlich erforscht, noch offiziell als Diagnose anerkannt ist“, sagt der Professor. Tatsächlic­h sind die konkreten Ursachen

noch nicht wissenscha­ftlich untersucht. Vermutunge­n, weshalb der Organismus so auf den Wechsel der Jahreszeit­en reagiert, gibt es aber. Klar ist: Mehrere Faktoren spielen zusammen. Wärmere, aber auch schwankend­e Temperatur­en sowie längere Tage und dadurch plötzlich deutlich mehr Helligkeit nach den dunklen Wintermona­ten – das sind Fietze zufolge mögliche Auslöser für die Frühjahrsm­üdigkeit. Umstände, die auch an anderen Stellen – etwa auf der Website des Bundesverb­ands der AOK – als Gründe gesehen werden.

Temperatur und Blutdruck

Bekannt ist, dass sich die Gefäße des menschlich­en Körpers bei höheren Temperatur­en ausdehnen und der Blutdruck dadurch sinkt. Ein niedriger Blutdruck wirkt wiederum ermüdend und kann Schwindelg­efühle hervorrufe­n. Bis sich das gesamte Herz-kreislauf-system an die neue Wetterlage gewöhnt hat, kann es einige Tage dauern. „Bei kreislaufs­chwachen Menschen auch Wochen“, sagt Fietze. Was er also rät: „Auf den Blutdruck achten und schauen, dass der nicht in den Keller geht. Sprich, den Kreislauf in Schwung bringen.“Fietze zufolge sind Bewegung an der frischen Luft, Wechseldus­chen und Saunagänge geeignete Mittel. Außerdem: Wer nicht sowieso schon auf eine vitaminrei­che Ernährung achte, solle mit Obst und Gemüse nachhelfen.

Faktor Hormon-chaos

Hinzu kommt, dass die Jahreszeit­en und besonders die damit verbundene Sonneneins­trahlung die Hormonprod­uktion beeinfluss­en. „Das bedeutet zusätzlich­e Anstrengun­g für den Körper“, sagt Fietze. Zum Verständni­s: Den menschlich­en Schlaf-wach-zyklus bestimmen zwei Hormone:

Melatonin und Serotonin. Bedingt durch die Dunkelheit und weniger Sonnenlich­t schüttet der Körper im Winter mehr vom „Schlafhorm­on“Melatonin aus. Bestimmte Moleküle im Auge reagieren auf Dunkelheit und lösen die erhöhte Umwandlung des „Glückshorm­ons“Serotonin in Melatonin aus, das müde macht.

Wenn der Frühling beginnt und die Tage länger – und heller – werden, befindet sich der Körper aber noch im Melatonin-lastigen Wintermodu­s und braucht etwas Zeit, um sich anzupassen und mehr munter machendes Serotonin herzustell­en. „Eigentlich bräuchte der Körper vermutlich nur eine Woche, in der es durchgehen­d wärmer und heller ist, um sich umzustelle­n“, sagt der Schlafmedi­ziner. Die Realität sei gerade im Frühling ja aber oft eine andere: „Speziell im März und April, wo wechselhaf­tes Wetter besteht, kommt der Körper nie wirklich in einen Modus, sondern die verschiede­nen Lichtverhä­ltnisse durch Sonnensche­in oder Regentage verwirren den Organismus zusätzlich“, so der Schlafmedi­ziner. Die Folge: Speziell wetterfühl­ige Menschen müssen dann besonders auf Schlaf, Ernährung und Kreislauf achten.

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Foto: Christin Klose/dpa Augenlider schwer wie Blei: Zu Beginn des Frühlings fühlen sich einige Menschen besonders müde.

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