„Ich halte ihn für einen Life-coach“
Der gebürtige Stuttgarter Regisseur Robert Schwentke über sein satirisches Philosophie-drama „Seneca“, John Malkovichs Qualitäten – und was der Film mit unserer Gegenwart zu tun hat.
Nach dem Kriegsverbrecherdrama „Der Hauptmann“widmet sich Regisseur Robert Schwentke in seinem neuen Film „Seneca“den letzten Tagen des römischen Philosophen und Lehrers von Nero, der zum Selbstmord gezwungen wird. Die Hauptrolle in der tiefschwarzen Satire übernahm erneut John Malkovich.
Herr Schwentke, Sie brachen einst in Tübingen Ihr Philosophie-studium ab. Ist „Seneca“die späte Rehabilitierung? Robert Schwentke:
Mein Interesse an Philosophie hat nie abgenommen. Ich habe allerdings damals realisiert, dass mein eigentliches Interesse dem Filmemachen gilt, weswegen ich das Studium gewechselt habe. Vielleicht ist „Seneca“die Kombination meiner beiden Leidenschaften (lacht).
Was hat Sie am Stoff interessiert?
Seneca ist eine Parabel über die Gefahr maßloser Macht und totalitärer Systeme. Und das Psychogramm eines Kollaborateurs und Opportunisten, der dem Tyrannen Nero zu Legitimität verhilft, im Austausch gegen unermesslichen Reichtum. Es geht darum, was passiert, wenn die intellektuellsten und feinfühligsten Menschen der Welt gegen echte Barbaren antreten, denen es einzig und allein darum geht, zu gewinnen. Um jeden Preis.
„Nicht schon wieder etwas Politisches!“, stöhnt eine Zuschauerin in Ihrem Film, Nero trägt eine „Mum“tätowierung auf dem Arm – man fühlt sich fast wie bei Monty Python…
Monty Python ist immer ein Kompliment. Ich würde aber vor allem Ken Russell mit seinen Anachronismen als Vorbild anführen. Auch seine historischen Filme waren immer Filme über seine Zeit. Seneca erinnert an Tschechows Platonow, der selbstmörderisch von einer Klippe springt und in einem Tümpel landet. Zugleich sind wir auf Buñuels Dinnerparty, die niemals endet. Der Ton des Films ist überhöht und tragisch-komisch.
Sie waren mit Popcorn-kino in Hollywood enorm erfolgreich. Sind Sie auf politische Filme wie „Der Hauptmann“oder „Seneca“mehr stolz als auf die Blockbuster?
Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass bei einem großen Hollywood-film viele Leute mitsprechen. Im Studiosystem wird der Film als Ware betrachtet und muss für das breitest mögliche Publikum zugänglich sein. Unter Umständen trifft man Entscheidungen, die man selbst anzweifelt. Bei „Der Hauptmann“oder „Seneca“ist der Entscheidungsprozess einfach ein anderer. Gleichwohl machen mir Arthaus und Popcorn-kino gleichermaßen Spaß.
Auch im Arthaus setzen Sie auf Stars: Neben John Malkovich spielen Geraldine Chaplin, Julian Sands, Louis Hofmann oder Mary-louise Parker. Wie wichtig sind prominente Namen für solch einen Film?
Stars helfen sicher für die Aufmerksamkeit beim Publikum. Bei
John war das für mich allerdings nicht der ausschlaggebende Punkt. Mit ihm hatte ich bereits bei „R.E.D.“zusammen gearbeitet und mit ihm im Kopf schrieb ich „Seneca“. Zwei Tage, nachdem ich ihm das Drehbuch gab, rief er mich an und sagte zu. Hätte Malkovich abgelehnt, hätte ich den Film nicht gedreht.
Was macht die Qualität von John Malkovich aus?
Die Figur Seneca ist ja ein Paradoxon. Als stoischer Philosoph steht er dem Reichtum gleichgültig gegenüber. Trotzdem gehört er zu den reichsten Männern von Rom. Obwohl er als Moralphilosoph bekannt ist, dient er einem der berüchtigtsten Tyrannen der Geschichte. Das bietet eine Vielschichtigkeit und Ambivalenz, die John liebt. Er bringt jene Furchtlosigkeit mit, die es braucht, um solch eine Figur zu spielen. Zudem ist Malkovich auch ein Komödiant, was für diese Rolle ganz wichtig war.
Wie halten Sie es selbst mit Seneca?
Die Philosophie von Seneca interessiert mich nicht so sehr. Ich halte ihn eher für einen LifeCoach: Das ist mehr Gebruzzel als ein Steak! Großen Respekt habe ich hingegen für seine Theaterstücke. Für mich sind seine Tragödien ein versteckter Ausbruch moralischer Abscheu, die er nicht mehr unterdrücken konnte.
„Sind wir von allen Generationen diejenige, die den Ruin der Erde verdient haben?“heißt es im Film. Welche Rolle spielen aktuelle Bezüge?
In der Zeit von Seneca wurde viel über das Ende der Welt nachgedacht. Seneca warnte, dass die Erde aus ihrer Achse geworfen würde. Genau das haben wir ja nun geschafft. Da gibt es also Überschneidungen, die mich sehr interessieren. Seneca hat viele kluge Dinge gesagt, das darf man ihm nicht nehmen!
Welche Reaktionen wünschen Sie sich auf Ihren „Seneca“?
Ich habe eine Sehnsucht, im Kino mit Filmen konfrontiert zu werden, die nachbrennen. Und die mich nach dem Abspann weiter beschäftigen. Meine Hoffnung ist, dass es eine Diskussion über „Seneca“geben wird – und was der Film mit unserer Gegenwart zu tun hat. Wir haben es auch heute mit Tyrannei zu tun und mit Opportunisten, die einen kulturellen Unterbau liefern.