Drei Wege aus dem Krieg
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Konflikte enden. Auch für einen Frieden in der Ukraine werden unterschiedliche Szenarien diskutiert.
Kriege enden unterschiedlich – das haben Konflikte in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Friedensforscher unterscheiden im Wesentlichen drei Fälle: Demnach enden Kriege entweder mit dem Sieg einer Kriegspartei, mit Friedensverhandlungen oder ohne Lösung als eingefrorener Konflikt. Wie der Ukraine-krieg ausgehen wird, gilt als offen. Mehrere Friedensforscher wagen eine Einordnung. 1
Militärischer Sieg Dass entweder Russland oder die Ukraine vollständig triumphiert, gilt als mögliches, aber unwahrscheinliches Szenario. „Einen militärischen Sieg Russlands halte ich für ausgeschlossen“, sagt Thorsten Bonacker, Professor für Friedensund Konfliktforschung an der Universität Marburg. Verblüffenderweise scheine das Land dazu schlicht nicht in der Lage zu sein. „Bei einer militärisch hochgerüsteten Armee wie dieser ist das, was sie bisher erreicht hat, ziemlich dürftig.“Das Vorhaben der russischen Streitkräfte sei am unerwartet starken militärischen Widerstand der Ukrainer gescheitert, an der Unterstützung des Westens und auch an den operativen Mängeln und logistischen Problemen der russischen Streitkräfte, sagt Ines-jacqueline Werkner, Leiterin des Arbeitsbereichs Frieden an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg.
Doch auch für die angegriffenen Ukrainer sieht es nicht nach einem Sieg aus. Zwar habe Präsident
einer Konfliktpartei
Wolodymyr Selenskyj erklärt, das Ziel der Ukraine sei, alle von Russland besetzten Gebiete zurückerobern zu wollen – inklusive der Region Donbass und der seit 2014 annektierten Halbinsel Krim. Das gilt aber trotz der Unterstützung westlicher Nato-staaten als unwahrscheinlich. „Die militärischen Mittel, die dafür notwendig wären, sind momentan nicht vorhanden“, sagt Alexander Graef, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Ein ukrainischer Sieg erforderte zudem „einen enormen Blutzoll“, sagt Graef – unklar ist, ob die ukrainische Regierung dazu bereit ist. Und: Gewinnt die Ukraine mehr Gebiete, besteht immer noch die Drohung einer nuklearen Eskalation seitens Russland.
2 Verhandlungsfrieden
Beide Konfliktparteien an einem Tisch – am Ende wird ein Friedensabkommen unterzeichnet. Das Problem dieses Szenarios: Wer einen Verhandlungsfrieden will, braucht einen Waffenstillstand. „Und der ist momentan schon eine große Hürde, von der noch keiner weiß, wie man sie nehmen soll“, sagt Graef. Konfliktforscher Bonacker: „Es kann auch damit begonnen werden, für eine bestimmte Region einen Waffenstillstand zu vereinbaren.“Denn ein gesamter Waffenstillstand für die rund 1200 Kilometer lange Front sei unrealistisch. Was darüber hinaus Friedensverhandlungen verunmöglicht: „Solange die mit einer Weiterführung des Krieges möglichen Gewinne höher gewichtet werden als die zu erwartenden Kosten, sind Verhandlungen eher unwahrscheinlich“, sagt Werkner. Das sei aktuell in der Ukraine der Fall. Verhandlungen erforderten die Einsicht, dass auf dem Schlachtfeld Interessen nicht mehr durchgesetzt werden können.
Damit Verhandlungen möglich werden, brauche es ein „Gleichgewicht der Kräfte“, sagt Werkner. „In diesem Sinne könnten die westlichen Waffenlieferungen nicht nur dem Ziel dienen, dass die Ukraine gewinnen muss, sondern auch dazu beitragen, die Kräftekonstellation so zu beeinflussen, dass Russlands Macht minimiert und die Position der Ukraine gestärkt wird.“
Erschwerend hinzu kommt, dass für Verhandlungen aktuell auch das Vertrauen in die russische Seite fehlt, meinen die Forscher. „Das ist eine Fehlannahme derjenigen, die jetzt immer nach Verhandlungen rufen“, sagt Bonacker. „Man fängt nicht mit Verhandlungen, sondern mit einzelnen Gesprächen an. Ob diese dann zu echten Verhandlungen führen, hängt davon ab, dass die angreifende Seite deutliche Signale sendet, dass sie diesen Krieg beenden will.“
Geht die Kosten-nutzen-abwägung zugunsten der Kriegsführung aus, hilft laut Bonacker auch keine Vermittlung durch eine Drittpartei. „Eine Drittpartei ist immer so stark, wie die beiden Konfliktparteien sie haben wollen“, sagt Bonacker. Ist keine Vermittlung gewollt, ist sie so auch nicht möglich. Wenn sich die Kosten-nutzen-abwägung aber zugunsten von Verhandlungen verändert, dann müsse es eine vermittelnde Partei geben, sagt Graef. Diese könne Vertrauen schaffen.
3 Eingefrorener Konflikt
„In Ermangelung einer Lösung könnte der Krieg in einen Konflikt niedrigerer Intensität, in einen sogenannten ‚eingefrorenen Konflikt‘, transformiert werden“, sagt Werkner. Russland würde dann die im Krieg eingenommenen Gebiete weiter besetzt halten. Formal wären die Regionen im Osten und im Süden aber weiter ukrainisches Staatsgebiet. Aber auch wenn die Kämpfe gestoppt werden, gebe es darüber hinaus keine Friedensvereinbarung, der Konflikt bliebe ungelöst, so Bonacker. Denn eine Lösung müsse nach derzeitigem Stand auch beinhalten, dass sich die russische Seite vom ukrainischen Territorium zurückziehe.
Bei einem eingefrorenen Konflikt ist das Eskalationsrisiko hoch – Gewalt kann immer wieder aufflammen. Transnistrien in Moldau oder die zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittene Region Bergkarabach sind Beispiele für das Einfrieren von Konflikten – und für die trotzdem andauernden Spannungen.
Aktuell sei es allerdings für die Ukraine unwahrscheinlich, dass der Krieg in einen eingefrorenen Konflikt verwandelt werde. Denn eingefrorene Konflikte setzten einen Waffenstillstand voraus, und die Parteien müssen den Status quo so erst einmal akzeptieren, so Graef. Weder die Ukraine noch Russland seien dazu bereit. „Kriege sind ja ein ernstes Geschäft“, sagt Graef. „Dass die Parteien von heute auf morgen feststellen, wir haben uns geirrt, passiert nicht.“Für eine derart veränderte Einstellung brauche es daher Gründe: So könnte die Bevölkerung beispielsweise den Krieg nicht mehr mittragen, weil zu viele Soldaten und Zivilisten sterben.
„Es ist keine gute Lösung, den Konflikt einzufrieren“, sagt Werkner. Damit ließe sich zwar bei einem – wenn auch fragilen – Waffenstillstand die Konfliktlösung zeitlich verschieben, und so neue Spielräume für einen Kompromiss eröffnen. „Dazu bedarf es aber auch Sicherheitsgarantien für die Ukraine“, sagt Werkner. Es bestehe ansonsten das Risiko, dass „Russland sich diese Situation zunutze machen könnte, um den Westen zu demobilisieren“, sagt Werkner. Werde weniger gekämpft, führe das zu einem „Mangel an Aufmerksamkeit“. „Das könnte die Geschlossenheit des Westens aufweichen und den Willen zur Unterstützung der Ukraine stagnieren lassen, wenn nicht sogar deutlich reduzieren“, befürchtet Werkner.
Bonacker könnte sich eine über den „eingefrorenen Konflikt“hinausgehende Lösung vorstellen: „Ein Waffenstillstand und ein Rückzug der russischen Truppen müsste erst einmal überwacht werden.“Hier kämem dann unter Umständen die Vereinten Nationen mit ihrem Instrument der Blauhelmmission zur Waffenstillstandsüberwachung ins Spiel. Hätte dieser Zustand über einen längeren Zeitraum bestand, dann wäre zumindest ein negativer Frieden im Sinne der Abwesenheit von Gewalt ein realistisches Ziel in der Ukraine.