Unfair oder großer Wurf?
Die Wahlkreisabgeordneten Roderich Kiesewetter und Leni Breymaier bewerten die Wahlrechtsreform unterschiedlich. Ausgewirkt hätte sich die Änderung bei der Wahl 2017 vor Ort.
Der Bundestag ist mit 736 Abgeordneten zu einem Xxl-parlament angewachsen und so groß wie noch nie. Nach dem Beschluss der Ampelkoalition soll die Zahl der Sitze künftig auf maximal 630 begrenzt werden. Das heißt aber auch: Einige der aktuellen Bundestagsabgeordneten wären nicht im Parlament, hätte die Reform bereits bei der Wahl im Jahr 2021 gegolten. Andere müssen fürchten, bei der nächsten Wahl leer auszugehen, auch wenn sie ein ähnliches Ergebnis wie zuletzt erzielen könnten.
Wäre der Wahlkreis betroffen?
Was bedeutet das für die Menschen im Wahlkreis Aalen-heidenheim? Aktuell werden sie von Roderich Kiesewetter sowie Leni Breymaier in Berlin vertreten. Kiesewetter erhielt die meisten Stimmen aller Cdu-kandidaten im Land und zog als direkt gewählter Abgeordneter in den Bundestag ein. Leni Breymaier erhielt ihr Mandat aufgrund ihres siebten Platzes auf der badenwürttembergischen Spd-landesliste. Wäre ihr Mandat bei einer ähnlichen Konstellation bei der nächsten Wahl sicher?
Die Antwort: Ja, sowohl Kiesewetter als auch Breymaier wären von der Reform nicht tangiert. Sie hatten weder ein Überhang- noch ein Ausgleichsmandat, das es künftig nicht mehr geben wird.
Ausgleichsmandat für Stumpp
Anders hätte das jedoch bei der Wahl davor ausgesehen, als es 2017 drei Abgeordnete aus dem Wahlkreis Aalen-heidenheim in den Bundestag schafften. Margit Stumpp (Grüne) erhielt ihr Mandat über ein sogenanntes Ausgleichsmandat. Diese wurden bislang
vergeben, um das Kräfteverhältnis, wie es dem Ergebnis der Zweitstimme entsprach, wieder zurechtzurücken.
Kiesewetter und Breymaier haben zur Reform kontroverse Meinungen, wenn sie auch beide eine Verkleinerung des Parlaments für notwendig erachten. Kiesewetter sagt zwar, es sei richtig, den aufgeblähten Bundestag zu verkleinern und handlungsfähiger zu machen, hat aber dennoch gegen die Reform gestimmt. „Die Wahlrechtsreform zielt auf eine Entwertung
der Erststimme“, sagt er. Denn Wahlkreissieger erhielten kein Mandat, wenn sie unter die Kappungsgrenze fallen. „Die repräsentative Demokratie wird somit geschwächt, das kann die Wahlverdrossenheit befeuern.“Ebenso kritisch sieht er den Wegfall der sogenannten Grundmandatsklausel, wonach die Linke nicht im Bundestag vertreten wäre und der CSU Gleiches drohen kann.
Kiesewetter übt Kritik
Kiesewetter sieht insgesamt den Einfluss der Wählerinnen und Wähler auf das Wahlergebnis geschwächt, da die parteiintern vorgefertigten Listenmandate an Bedeutung gewinnen. Für Kiesewetter selbst kommt ein Platz auf der Landesliste nicht infrage, er setzt auf sein Direktmandat (siehe extra Beitrag).
Das Wahlrecht sei besonders für umkämpfte Wahlkreise bitter. Es könne schwieriger werden, engagierte Kandidatinnen und Kandidaten in diesen Wahlkreisen zu finden. Denn sie müssten damit rechnen, dass ihr Mandat selbst bei einer Direktwahl einfach gekappt wird. „Die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger fallen dann einfach weg, die Erststimme wird quasi entwertet.“
Breymaier: alle Parteien betroffen
Leni Breymaier bewertet die Reform anders: „Das ist aus meiner Sicht etwas richtig Großes.“Die beschlossene Wahlrechtsreform sei gut, weil es das Parlament
nach zehn Jahren Debatte und vielen verworfenen Vorschlägen und nicht umgesetzten Kompromissen
tatsächlich geschafft habe, sich selbst dauerhaft zu verkleinern und die Zahl der Wahlkreise auf 299 zu begrenzen. Anders
als Kiesewetter sieht sie bei der Verkleinerung alle Parteien gleichermaßen betroffen.
Breymaier erinnert an die in der vergangenen Legislaturperiode vorgeschlagene Reduzierung auf 280 Wahlkreise. Damit wären ziemlich sicher mehr als 630 Abgeordnete im nächsten Bundestag. Und auch die Auswirkungen vor Ort führt sie an: „Heidenheim würde statt mit Aalen mit Göppingen einen Wahlkreis bilden. Den Gedanken fand ich ziemlich komisch.“
Stumpp: Reform überfällig
Margit Stumpp, die von der bisherigen Regelung profitiert hatte, stimmt den Reformplänen zu und bezeichnet sie als „überfällig“. Und das, obwohl sie Nutznießerin des bestehenden Wahlrechts war. Dennoch: Zu lange sei ein Beschluss verschleppt worden.
Sie geht davon aus, dass sich eine Regelung finden lassen wird, dass jeder Wahlkreis mit einem Abgeordneten oder einer Abgeordneter vertreten sein wird. „Und wenn es nicht der oder die mit den meisten Stimmen sein wird.“