Abhängig – von wem?
Einer der etwas leichtfertig verwendeten Begriffe dieser Tage lautet „Abhängigkeit“. Über Jahrzehnte hinweg hatte Deutschland sich mit russischem Gas versorgt und damit die lukrative Basis seiner Industrie geschaffen. Nach der russischen Invasion in der Ukraine erwies sich das Geschäftsmodell als nicht mehr tragfähig – Russland stellte die Lieferung selbst ein und kam damit einem Boykott seitens des Westens zuvor. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt reifte hierzulande bei sehr vielen Politikern und Journalisten die spontane Erkenntnis, wie falsch die russischen Gasgeschäfte doch waren und wie diese nun entdeckte Abhängigkeit von russischem Gas die wirtschaftliche Existenz der Bundesrepublik bedrohte.
Niemals wieder, so die Schlussfolgerung, sollte sich die deutsche Gesellschaft so abhängig von einem einzigen Land machen. Womit das Augenmerk sofort auch auf China fiel. Die Vereinigten Staaten bereiten sich schließlich schon seit Jahren auf einen anscheinend unvermeidlichen Systemwettbewerb mit dem wirtschaftlichen Superstar der vergangenen Jahrzehnte vor, zumal auch die Großmachtambitionen Chinas ebenso schnell stiegen wie das Bruttoinlandsprodukt. Genau wie Russland wird China von einem autokratischen Führer beherrscht und Taiwan, so lautet die nicht unplausible Furcht, könne dem Machthunger des Nachbarn zum Opfer fallen.
China ist wie Russland, lautet seitdem die etwas plattfüßige Schlussfolgerung. Tatsächlich liegen die Dinge aber anders. Denn Deutschland ist nicht so sehr abhängig von China, weil es von dort Produkte oder Rohstoffe erhält, auf die sich die hiesige Wirtschaft und die Verbraucher verlassen. Viele in China hergestellte
Produkte sind leicht zu ersetzen oder an anderer Stelle in der Welt einzukaufen. Das gilt für Seltene Erden genauso wie für die viel beschworene Solartechnik.
Es ist jedoch deutlich teurer, die Waren aus anderen Ländern zu beziehen oder sie etwa selbst herzustellen. Der Handel mit China, die sogenannte Abhängigkeit, hält also unsere Inflationsrate in Schach. Wer ohne China wirtschaften will, kann das nur zu höheren Kosten tun. Doch das ist noch
Viele Produkte, die aus China kommen, lassen sich ersetzen – allerdings zu höheren Preisen.
keine Abhängigkeit, obschon eine Abkehr von China die Verbraucher in Deutschland im Geldbeutel treffen würde.
Eine Abhängigkeit besteht vielmehr umgekehrt. China ist als Abnehmer deutscher Produkte enorm bedeutsam. Jedes dritte deutsche Auto wird nach China verkauft. Die größte deutsche Industrie erzielt ihre Gewinne also vor allem dort.
Betrachtet man hingegen den gesamten Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland, relativiert sich die Rolle der chinesischen Kunden deutlich. Er liegt gerade mal bei zehn Prozent. Umgekehrt kauft China immer noch in hohem Maß Halbleiter im westlichen Ausland ein (vor allem, wenn man auch Taiwan dazuzählt), ebenso Eisenerze, Kohlenwasserstoffe, Maschinen und diverse andere Produkte. Wenn eine Abhängigkeit besteht, könnte man sie gegenseitig nennen.