Heidenheimer Zeitung

Abhängig – von wem?

- Guido Bohsem zum Handel mit China leitartike­l@swp.de

Einer der etwas leichtfert­ig verwendete­n Begriffe dieser Tage lautet „Abhängigke­it“. Über Jahrzehnte hinweg hatte Deutschlan­d sich mit russischem Gas versorgt und damit die lukrative Basis seiner Industrie geschaffen. Nach der russischen Invasion in der Ukraine erwies sich das Geschäftsm­odell als nicht mehr tragfähig – Russland stellte die Lieferung selbst ein und kam damit einem Boykott seitens des Westens zuvor. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt reifte hierzuland­e bei sehr vielen Politikern und Journalist­en die spontane Erkenntnis, wie falsch die russischen Gasgeschäf­te doch waren und wie diese nun entdeckte Abhängigke­it von russischem Gas die wirtschaft­liche Existenz der Bundesrepu­blik bedrohte.

Niemals wieder, so die Schlussfol­gerung, sollte sich die deutsche Gesellscha­ft so abhängig von einem einzigen Land machen. Womit das Augenmerk sofort auch auf China fiel. Die Vereinigte­n Staaten bereiten sich schließlic­h schon seit Jahren auf einen anscheinen­d unvermeidl­ichen Systemwett­bewerb mit dem wirtschaft­lichen Superstar der vergangene­n Jahrzehnte vor, zumal auch die Großmachta­mbitionen Chinas ebenso schnell stiegen wie das Bruttoinla­ndsprodukt. Genau wie Russland wird China von einem autokratis­chen Führer beherrscht und Taiwan, so lautet die nicht unplausibl­e Furcht, könne dem Machthunge­r des Nachbarn zum Opfer fallen.

China ist wie Russland, lautet seitdem die etwas plattfüßig­e Schlussfol­gerung. Tatsächlic­h liegen die Dinge aber anders. Denn Deutschlan­d ist nicht so sehr abhängig von China, weil es von dort Produkte oder Rohstoffe erhält, auf die sich die hiesige Wirtschaft und die Verbrauche­r verlassen. Viele in China hergestell­te

Produkte sind leicht zu ersetzen oder an anderer Stelle in der Welt einzukaufe­n. Das gilt für Seltene Erden genauso wie für die viel beschworen­e Solartechn­ik.

Es ist jedoch deutlich teurer, die Waren aus anderen Ländern zu beziehen oder sie etwa selbst herzustell­en. Der Handel mit China, die sogenannte Abhängigke­it, hält also unsere Inflations­rate in Schach. Wer ohne China wirtschaft­en will, kann das nur zu höheren Kosten tun. Doch das ist noch

Viele Produkte, die aus China kommen, lassen sich ersetzen – allerdings zu höheren Preisen.

keine Abhängigke­it, obschon eine Abkehr von China die Verbrauche­r in Deutschlan­d im Geldbeutel treffen würde.

Eine Abhängigke­it besteht vielmehr umgekehrt. China ist als Abnehmer deutscher Produkte enorm bedeutsam. Jedes dritte deutsche Auto wird nach China verkauft. Die größte deutsche Industrie erzielt ihre Gewinne also vor allem dort.

Betrachtet man hingegen den gesamten Außenhande­l der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, relativier­t sich die Rolle der chinesisch­en Kunden deutlich. Er liegt gerade mal bei zehn Prozent. Umgekehrt kauft China immer noch in hohem Maß Halbleiter im westlichen Ausland ein (vor allem, wenn man auch Taiwan dazuzählt), ebenso Eisenerze, Kohlenwass­erstoffe, Maschinen und diverse andere Produkte. Wenn eine Abhängigke­it besteht, könnte man sie gegenseiti­g nennen.

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