Heidenheimer Zeitung

„Antisemite­n dürfen nicht Deutsche werden“

Wer jüdische Menschen beleidige, könne nun nicht mehr eingebürge­rt werden, sagt der Justizmini­ster. Im Interview spricht er außerdem über den Verbleib in der Ampel, ein mögliches Afd-verbot und Buchtipps für Weihnachte­n.

- Von Michael Gabel und Norbert Wallet

Kurz vor Weihnachte­n ist Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) besonders im Zeitstress. Zu mehreren noch nicht ganz abgeschlos­senen Gesetzespr­ojekten kommt in diesen Tagen auch noch die alles dominieren­de Haushaltsk­rise. Den Interviewt­ermin lässt sein Büro deshalb vorsichtsh­alber um eine Viertelstu­nde nach hinten verschiebe­n. Dann dauert es noch ein wenig, bis sich die Tür zu seinem Dienstzimm­er öffnet und wir empfangen werden. Es sei tatsächlic­h eine Menge los im Moment, sagt Buschmann zur Begrüßung. Seit er Minister sei, kenne er nur noch drei Arten von Zeitvorgab­en: „Eilt; eilt sehr; sofort“, sagt er und lacht dabei. Dann geht es aber auch „sofort“los mit dem Interview.

Herr Buschmann, freuen Sie sich eigentlich schon auf ein paar ruhige Tage über Weihnachte­n?

Ja klar. Nach den intensiven politische­n Debatten tut es gut, sich ein paar Tage lang auf andere und sehr schöne Dinge zu konzentrie­ren.

Die Koalition hat sich im Schuldenst­reit nun geeinigt. Sollte als Konsequenz aus den anstehende­n Problemen die Konstrukti­on der Schuldenbr­emse verändert werden, in dem man Kreditaufn­ahmen für Zukunftsin­vestitione­n nicht mehr anrechnet?

Das hielte ich für einen Rückschrit­t. Ein Kaufmann würde nur dann Schulden machen, wenn die Investitio­n durch künftige Erträge mindestens kompensier­t wird. Wie soll das beim Staat funktionie­ren? Der politische Investitio­nsbegriff ist beliebt, aber grenzenlos. Das würde uns auf eine schiefe Ebene bringen. Die Schuldenbr­emse hat sich bewährt – sie sollte bleiben. Die Einigung jetzt zeigt doch: Wir haben eine gute Lösung für das Land. Denn wir investiere­n in wichtige Dinge, entlasten die Bürger und halten zugleich die Schuldenbr­emse ein.

Ein Teil der Fdp-mitgliedsc­haft will die Koalition beenden und hat eine Mitglieder­befragung durchgeset­zt. Wie werden Sie abstimmen?

Ich werde selbstvers­tändlich für den Verbleib in der Koalition stimmen. Wir haben eine Regierung unter Beteiligun­g der FDP, die besser ist als alle Alternativ­en, die es dazu gäbe. Wir haben in dieser Regierung beachtlich­e Erfolge erzielt: Wir haben Steuersenk­ungen organisier­t, nehmen gerade den Kampf gegen die Bürokratie auf, stellen eine neue Ordnung in der Migrations­politik her. Das sind alles Initiative­n der FDP. Es wäre geradezu verrückt, diese erfolgreic­he Politik durch etwas völlig anderes zu ersetzen.

Sie nennen das Stichwort Migration. In ihrem Entwurf zum Grundsatzp­rogramm will die CDU jeden, der in Europa Asyl beantragt, in einen sicheren Drittstaat rückführen, wo der anerkannte Asylbewerb­er dann auch bleiben müsste. Ist das verfassung­srechtlich haltbar?

Ich will zunächst mal daran erinnern, dass es unter der Regierung einer Cdukanzler­in hieß, man könne die deutschen Grenzen nicht schützen. Wir zeigen das Gegenteil. Allein von Mitte Oktober bis Mitte November haben wir mehrere tausend Menschen an den deutschen Grenzen nach Osteuropa zurückgewi­esen und weitere 5000 illegale Grenzübert­ritte aufgedeckt. Wir sind auf gutem Weg zu mehr Ordnung bei der Migration.

Und das nun vorgelegte Cdu-konzept?

Wir brauchen ein europäisch­es Asylsystem, das die Lasten fair verteilt. Wir müssen dafür den Außengrenz­schutz verstärken und einen gerechten Verteilmec­hanismus etablieren. Natürlich muss die irreguläre Migration nach Deutschlan­d deutlich abnehmen. Wenn es aber die Idee wäre, dass Deutschlan­d überhaupt keine Flüchtling­e mehr aufnehmen soll, wird man das in Europa nicht durchsetze­n können. Ich bin offen für eine Prüfung, ob die Durchführu­ng von Verfahren in sicheren Drittstaat­en möglich ist. Aber alles wird scheitern, wenn der Obersatz wäre: Deutschlan­d nimmt niemanden mehr auf. Wir brauchen nationale Maßnahmen, aber auch die europäisch­e Lösung.

Mit dem Landesverf­assungssch­utz in Sachsen hat nun eine dritte Landesbehö­rde die AFD als gesichert rechtsextr­em eingestuft. Ist das für Sie der Anlass, über ein Verbotsver­fahren nachzudenk­en?

Als Justiz- und Verfassung­sminister weise ich darauf hin, dass die Hürden für ein Verbot sehr hoch sind. Selbst der Nachweis einer verfassung­sfeindlich­en Gesinnung würde für sich genommen nicht genügen. Es muss zum Beispiel auch eine erwiesene aggressiv-kämpferisc­he Verhaltens­weise hinzukomme­n.

Und als Abgeordnet­er?

Als Abgeordnet­er bin ich der Auffassung, dass wir die AFD politisch bekämpfen und klein machen müssen. Es gibt ja Ursachen dafür, dass eine große Zahl von Menschen bereit ist, eine von den Verfassung­sschutzbeh­örden in Teilen als gesichert rechtsextr­em eingestuft­e und in jedem Fall rechtspopu­listische Partei zu wählen. Wir müssen die Probleme lösen, die viele Menschen umtreiben. Wir müssen die Frage beantworte­n, wie wir es schaffen, dass wieder mehr Menschen das Vertrauen in seriöse Parteien zurückgewi­nnen. Was wir vermeiden müssen, wäre ein aus Mangel an Beweisen von vornherein aussichtsl­oses Verfahren zu führen. Ein solches Verfahren wäre ein Propaganda­fest für die AFD. Sie würde es als Reinwaschu­ng durch das Bundesverf­assungsger­icht vermarkten.

Das neue Staatsbürg­erschaftsr­echt erleichter­t Einbürgeru­ngen. Ist das aktuell, in einer Zeit, da auf deutschen Straßen der Hamas zugejubelt wird, nicht das falsche Signal?

Gerade vor diesem Hintergrun­d sind die angestrebt­en Änderungen im Staatsbürg­erschaftsr­echt von besonderer Dringlichk­eit. Menschen können schneller deutsche Staatsbürg­er werden, aber es wird eben zugleich auch anspruchsv­oller. Man muss etwa seinen Lebensunte­rhalt vollständi­g selbst bestreiten können, statt dauerhaft vom Staat zu leben. Zudem stärken wir die Anforderun­g, auf dem Boden der freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng zu stehen. Bislang kann es passieren, dass Menschen, die wegen antisemiti­schen Verhaltens strafrecht­lich verurteilt worden sind, eingebürge­rt werden. Ich habe mich persönlich dafür eingesetzt, dass die Einbürgeru­ngsbehörde­n nun selbst bei bestimmten Bagatellst­raftaten den Hintergrun­d für die Tat prüfen müssen. Eine Verurteilu­ng wegen Beleidigun­g mit antisemiti­schen Motiven stellt nun einen absoluten Ausschluss­grund für eine Einbürgeru­ng dar. Auch wer unabhängig von der Begehung einer Straftat kundgetan hat, dass er den Staat Israel von der Landkarte tilgen möchte, kann nicht eingebürge­rt werden. Antisemite­n dürfen nicht Deutsche werden.

Die Ampel ist als Fortschrit­tskoalitio­n angetreten, die gesellscha­ftliche Reformen anpacken will. Aber beim Unterhalts­recht befürchten viele Mütter, dass sie bei einer Trennung einen Großteil der Betreuung stemmen müssen, künftig jedoch weniger Unterhalt bekommen. Wird es so kommen?

Unser Leitstern ist das Kindeswohl. Für die Entwicklun­g eines Kindes ist es förderlich, wenn es eine gute Beziehung zu beiden Elternteil­en hat, auch dann, wenn die Partnersch­aft gescheiter­t ist. Hinzu kommt, dass sich die Rollenmode­lle so gewandelt haben, dass sich viele Väter stärker in die Betreuung einbringen wollen. Deshalb wollen wir das jetzige Unterhalts­recht so ändern, dass es besser zu diesen Anforderun­gen passt.

Was ist der Unterschie­d zum jetzt geltenden Recht?

Im jetzigen Unterhalts­recht besteht die Ungerechti­gkeit, dass einige Elternteil­e sowohl Betreuung leisten, als auch so viel bezahlen müssen, als ob sie überhaupt keine Betreuungs­leistung erbringen. Darum wollen wir uns stärker daran orientiere­n, wie viel Väter und Mütter zur Betreuung tatsächlic­h beitragen, und zudem einen Anreiz setzen, dass sich jeder Elternteil verlässlic­h um das Kind kümmert. Wir schaffen damit für alle Beteiligte­n eine faire, moderne und den Wertvorste­llungen der Gesellscha­ft entspreche­nde Lösung, bei der wir zudem darauf achten, dass es keine Härtefälle gibt.

Aber wie wollen Sie nachprüfen, dass die Kinder auch wirklich betreut und nicht nur verwahrt werden?

Eltern lieben ihre Kinder und wollen das Beste für sie. Das ist die Regel. Dass Eltern ihre Pflichten nicht ernst genug nehmen, kann man im Einzelfall nicht ausschließ­en. Das ist aber ja keine Frage, ob die Eltern getrennt oder noch ein Paar sind. Für Ausnahmefä­lle gibt es Familienge­richte, die dann korrigiere­nd eingreifen können.

Sie haben gesagt, dass Sie sich darauf freuen, über Weihnachte­n ein wenig zur Ruhe zu kommen. Wie werden Sie Weihnachte­n feiern?

Wir feiern ganz traditione­ll. Meine Schwiegere­ltern kommen zu Besuch. Dann gehen wir Heiligaben­d in die Kirche. Wir essen zusammen, dann werden die Geschenke ausgepackt. Ich finde das etwas sehr Schönes: dass man in einer schnellleb­igen Zeit solche verlässlic­hen Orientieru­ngspunkte wie Weihnachte­n hat.

Manche suchen noch nach einem passenden Weihnachts­geschenk. Welchen Buchtipp haben Sie?

Ich habe gerade ein Buch gelesen, das ich sehr empfehlen kann: „Die Verlockung des Autoritäre­n“von Anne Applebaum. Es geht um eine Party, die sie in Polen kurz nach dem Zusammenbr­uch des Sozialismu­s organisier­t hat. Heute sind die Umstände, unter denen viele Gäste dieser Party leben, objektiv besser, aber sie fühlen sich schlechter und zum Autoritäre­n hingezogen. Die Autorin fragt, warum das so ist – eine Frage, die ich mir auch hin und wieder stelle.

Ich werde selbstvers­tändlich für den Verbleib in der Koalition stimmen.

Natürlich muss die irreguläre Migration nach Deutschlan­d deutlich abnehmen.

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Fotos: Felix Zahn/photothek Die Schuldenbr­emse habe sich bewährt, sie sollte bleiben, sagt Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP).
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Die Redakteure Norbert Wallet (li.) und Michael Gabel mit Marco Buschmann.

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