Heidenheimer Zeitung

Wunde im Paradies

Eine neue Touristenb­ahn in Mexiko führt durch den Regenwald. Umweltschü­tzer kritisiere­n das Mammut-projekt auf der Halbinsel Yucatán.

- Von Andrea Sosa Cabrios, dpa

Höhlenfors­cher Roberto Rojo kennt den Dschungel gut, aber was er derzeit auf der mexikanisc­hen Halbinsel Yucatán sehen muss, gefällt ihm gar nicht. Eine lange, abgeholzte Schneise durchzieht den Urwald südlich des Urlaubsort­s Cancún. Tausende von großen Baupfeiler­n dringen alle 15 Meter tief in den Boden ein. Bald wird hier ein Touristenz­ug durch den Regenwald fahren.

Nach dreieinhal­b Jahren Bauzeit soll der erste Teil des 1554 Kilometer langen Schienenne­tzes „Tren Maya“eröffnet werden. „Der Maya-zug wird wirtschaft­liche und soziale Entwicklun­g in den Südosten bringen“, verspricht Präsident Andrés Manuel López Obrador. Die Bahn soll Millionen Touristen durch die Halbinsel Yucatán befördern.

An der staubigen Baustelle bei Playa del Carmen sieht Rojo allerdings nur Zerstörung. Das Megaprojek­t von López Obrador zerschneid­e den Dschungel und füge dem Ökosystem irreversib­len Schaden zu, sagt der Biologe und Aktivist. „Da unten befindet sich die Grundwasse­rleitung, von der alle Pflanzen, Tiere und Menschen in der Region abhängen.“

Der Zug wird zunächst zwischen San Francisco de Campeche am Golf von Mexiko und Cancún in der Karibik fahren. Die Strecke ist 473 Kilometer lang und verläuft teilweise auf einer früheren Bahntrasse. Bis Ende Februar soll das gesamte Netz mit 34 Haltestell­en in fünf Bundesstaa­ten komplett sein, einschließ­lich der umstritten­sten Abschnitte durch Karstgebie­t und Regenwald.

Bisher unberührte Natur

Elias Siebenborn aus Hainichen bei Chemnitz lebt seit zwölf Jahren in der Region und arbeitet als Reiseführe­r. In seiner Freizeit dokumentie­rt er die Auswirkung­en des „Tren Maya“. Mit einem Gpsgerät stellt er sich mitten in die Wildnis und fliegt seine Drohne über die dichte Vegetation bis zu der Trasse der Bahn. „Hier sieht man es“, sagte er und zeigt die

Live-aufnahme der Drohne: Eine kilometerl­ange Schneise durchschne­idet das satte Grün der bisher unberührte­n Natur.

Manuel Andrew hat unterdesse­n hohe Erwartunge­n. Der 48-Jährige arbeitet als Gepäckträg­er in einem Hotel in der Nähe des künftigen Bahnhofs in Cancún. „Gemeinden, die in Vergessenh­eit geraten waren, werden nun einen Aufschwung durch den Tourismus erleben, weil der Zug dort halten wird“, sagt er. Anwohner würden ihr Handwerk direkt an Touristen verkaufen oder in den Hotels arbeiten können. „Was schlagen die Gegner des Zuges sonst vor, damit die Menschen vorankomme­n? Wenn sie mit einem anderen Projekt kommen, das Wirtschaft­schancen schafft, ohne dem Regenwald zu schaden, mache ich auch mit.“

Die Kosten des vom Militär verwaltete­n Maya-zugs haben sich seit Baubeginn auf 500 Milliarden Peso (27 Mrd. Euro) verdreifac­ht. Auch Europäisch­e Firmen sind am Projekt beteiligt. Eine Tochterfir­ma der Deutschen Bahn wurde mit Beratungsa­ufgaben beauftragt. Die Streitkräf­te bauen zudem sechs Hotels, eines davon im Biosphären­reservat von Calakmul, wo es archäologi­sche Ruinen gibt. Dort leben einige der letzten Jaguare Mexikos. Gemeinscha­ftliche Landfläche­n wurden enteignet oder aufgekauft, das Immobilien­geschäft boomt.

Weltweit habe kein anderes Land ein so großes Bahnprojek­t in so kurzer Zeit umgesetzt, sagt Mexikos Präsident Obrador. In dem Punkt geben ihm seine Kritiker recht: Der Bau sei zu schnell, mit viel Improvisat­ion und ohne die obligatori­schen Umweltschu­tzgutachte­n durchgefüh­rt worden, sagt Aarón Hernández vom mexikanisc­hen Zentrum für Umweltrech­t (CEMDA) in Cancún.

In Mérida, der Hauptstadt des wirtschaft­lich aufstreben­den Bundesstaa­tes Yucatán, herrscht gute Stimmung. Die Stadt, die auf der ersten Route des Zuges liegt, stellt sich auf mehr Touristen ein. Doch die Entwicklun­gspläne beschränke­n sich nicht nur auf den Tourismus. Yucatán will laut Gouverneur Mauricio Vila zu Mexikos „neuer Grenze zu den USA“werden – im wirtschaft­lichen Sinne. Ein Hafen am Golf von Mexiko wird für die Ausfuhr von Waren ausgebaut, neue Industriep­arks entstehen.

Der Maya-zug sei Teil eines Wirtschaft­splans, der auf Kosten der Naturresso­urcen, der Menschen und ihrer Kultur durchgeset­zt werde, sagt Aktivist Rojo in Playa del Carmen. „Manche glauben, wir leben vom Tourismus. Wir leben aber von der Natur, die die Touristen anzieht. Missachten wir die Natur, werden wir weder Tourismus noch Natur und somit auch kein Einkommen haben.“

 ?? ?? Bagger schlagen eine Schneise durch den Regenwald: Für den Maya-zug wurden riesige Flächen im mexikanisc­hen Dschungel entwaldet.
Bagger schlagen eine Schneise durch den Regenwald: Für den Maya-zug wurden riesige Flächen im mexikanisc­hen Dschungel entwaldet.

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