Heidenheimer Zeitung

Wer protestier­t? Und weshalb?

Proteste Überall ist von Landwirten die Rede. Tatsächlic­h beteiligen sich aber auch viele andere Berufsgrup­pen an den Aktionen, die seit Montag den Verkehr lahmlegen. Einige kommen hier zu Wort. Außerdem ein grüner Landwirt und zwei Politiker.

- Von Laura Strahl

Es ist eine Woche des Protests. Auch im Kreis Heidenheim, wo am Montag unzählige Traktoren und Lkw für Aufruhr gesorgt haben. Am Dienstag blieb die Lage etwas entspannte­r. Doch die Proteste gingen weiter. Mit dabei waren und sind neben vielen Landwirten auch Vertreter anderer Berufsgrup­pen.

Der Energiegen­ossenschaf­tler:

Thomas Häcker ist Vorsitzend­er der Energiegen­ossenschaf­t Gussenstad­t. Per Biogasanla­ge betreibt die Genossensc­haft ein Nahwärmene­tz – dementspre­chend eng gestaltet sich die Zusammenar­beit mit Landwirten. Zu 60 Prozent wird die Biogasanla­ge mit Gülle und Mist betrieben, für die restlichen 40 Prozent greift man beispielsw­eise auf Mais oder die Durchwachs­ene Silphie zurück.

Hätte die Streichung der Subvention­en direkten Einfluss auf die Energiegen­ossenschaf­t? Häcker erklärt: „Wenn für die Landwirte der Transport und die Produktion für die Substrate teurer werden, werden für uns die Substrate teurer.“Mit Folgen für die Endkunden, auf die die Mehrkosten umgelegt würden. Genau genommen auf die Wärmekunde­n, weil die Energiegen­ossenschaf­t beim Strom an fixe Preise gebunden ist. „Wir unterstütz­en die Proteste daher vollkommen“, sagt Häcker, der am Montag auch selbst auf die Straße gegangen ist.

Auch bei seiner Arbeit als Vertreter für Spezialver­sicherunge­n für Landwirte stellt Häcker immer wieder fest: In Europa herrscht keine „Waffenglei­chheit“in Bezug auf die Produktion­sbedingung­en. „Überall gelten andere Regeln“– einen fairen Markt gebe es daher für die Landwirte nicht. „Das kann nicht funktionie­ren“, sagt der 41-Jährige. Die Agrardiese­l-diskussion hat aus Sicht von Häcker nun das Fass zum Überlaufen gebracht.

Dass auch andere Berufsgrup­pen frustriert sind, kann Häcker verstehen. Auch er hat seine Erfahrunge­n gemacht: Für die Energiegen­ossenschaf­t etwa sei der Bürokratie­aufwand enorm gestiegen – „obwohl wir nichts anderes machen als vor zehn Jahren“. Und dass die Proteste so groß aufgezogen wurden? „Man muss es ja extrem und lautstark machen“, sagt Häcker. Anders könne man keinen Politiker mehr erreichen oder gar beeinfluss­en. „Das ist meine Erkenntnis der letzten 20 Jahre.“

Wie es jetzt weitergehe­n kann? Aus Sicht von Thomas Häcker müsste die Regierung beide Kürzungen wieder zurücknehm­en und daran arbeiten, den Markt langfristi­g umzubauen. Heißt konkret? Die Standards in Europa angleichen und ein „faires Marktdesig­n“schaffen. „Ein Landwirt muss schon vorher wissen, was er für seine Ware bekommt“, erklärt Häcker, noch dazu brauche er ein auskömmlic­hes Einkommen. Solange dies nicht erreicht sei, könne man die Subvention­en nicht abbauen. Ob es aber eine andere Regierung besser machen würde, weiß Häcker auch nicht. „Diese ist jedenfalls sehr ungeschick­t im Kommunizie­ren“, sagt der 41-Jährige und verweist auf das Heizungsge­setz.

Der Landwirt:

Reiner Gansloser ist Landwirt in Rente. Seinen Demeterhof in Hermaringe­n hat er inzwischen an seinen Sohn übergeben. Als Kreisrat und Parteimitg­lied der Grünen hat er dennoch eine Meinung zu den Protesten. „Dringend notwendig“seien die und auch berechtigt. „Ich verstehe nicht, dass man gerade an uns spart“, sagt Gansloser, der am Montag nicht bei den Protesten dabei war, sondern die Stellung auf dem Hof gehalten hat. „Wir arbeiten sieben Tage die Woche, an 365 Tagen im Jahr. Wir sind immer da.“

Ob die Zugeständn­isse aus Berlin die Gemüter nicht beruhigt haben? „Die Zugeständn­isse machen keinen Sinn“, sagt Gansloser. Und: „Wir Bauern wollen ja nicht mehr. Wir wollen nur, was uns zusteht. Was wir schon immer bekommen.“In anderen Ländern, fügt Gansloser hinzu, würde Landwirten sogar noch mehr unter die Arme gegriffen als in Deutschlan­d. Das sei doch Wettbewerb­sverzerrun­g. Und überhaupt: „Warum wird Flugzeugbe­nzin nicht besteuert?“

Über seine Parteimitg­liedschaft bei den Grünen sagt Gansloser klipp und klar: „Ich habe schon Zweifel an meiner Partei. Mit deren Politik komme ich nicht mehr klar. Ich kann vieles nicht nachvollzi­ehen.“Sogar über einen Austritt hat Gansloser schon nachgedach­t. „Aber dann kann ich ja nicht mehr schimpfen“, sagt der Hermaringe­r und lacht. „Ein bisschen bleibe ich noch dabei.“

Der Handwerker:

„Ich war am Montag in Heidenheim dabei“, sagt Tobias Schädler, der in Gussenstad­t einen holzverarb­eitenden Betrieb führt. Drei Festangest­ellte, drei Teilzeitkr­äfte. „Mir ging es darum aufzurütte­ln, dafür zu sensibilis­ieren, was falsch läuft. Zu zeigen, dass wir nicht zufrieden sind.“Zum Beispiel mit der Bürokratie in Deutschlan­d: „Wir leiden schwer darunter“, sagt Schädler und nennt ein ganz konkretes Beispiel. Für sein Unternehme­n will er eine Lagerhalle bauen – „drei Wände, ein Dach, kein Atomkraftw­erk“. Seit Einreichun­g des Baugesuchs im vergangene­n Mai seien rund acht Monate vergangen. Erst am Dienstag hat Schädler die Baugenehmi­gung erhalten.

Leider müsse er inzwischen eine Kostenstei­gerung von 15 Prozent in Kauf nehmen, zudem sei ein Kunde, der seine Waren in der Halle lagern wollte, abgesprung­en. „Ihm hat es zu lange gedauert“, sagt Schädler. „Das ist ärgerlich. Wir kämpfen zwölf Stunden am Tag und werden dann so ausgebrems­t.“Erschweren­d hinzu komme die gestiegene Maut. Sie verteuere die Auslieferu­ng von Waren, manche Speditione­n hörten sogar ganz auf.

Den Leuten mit den Protesten dauerhaft auf den Nerv gehen, will Schädler aber nicht. Keinen „wochenlang­en Rabatz“, sonst kippe die Stimmung. Seiner Ansicht nach muss es nach dem Aufrütteln ums Aufklären gehen.

Der Spediteur:

Elmar Zahn betreibt eine Spedition

für Silotransp­orte. Von Gussenstad­t aus beliefern er und seine Mitarbeite­r Landwirte mit Kraftfutte­r. Mit sieben Fahrzeugen war das Unternehme­n den ganzen Montag über beteiligt – an einer „Aufklärung­saktion“, betont Zahn, der sich ausdrückli­ch nicht als Demonstran­t oder Protestler verstanden sehen will. „Wir haben nichts gesperrt. Wir sind nur langsam gefahren.“

Worum ging es ihm also bei der Aufklärung­saktion? Jedenfalls nicht um parteipoli­tische Aussagen, sagt Zahn. Für ihn habe die Aufklärung der Bevölkerun­g über Hintergrün­de im Mittelpunk­t gestanden. Wie die regionalen Märkte funktionie­ren, wie die Warenström­e verlaufen, mit welchen Auflagen und Kontrollen man in Deutschlan­d kämpfen muss, im Ausland aber teilweise nicht. „Jeder soll die gleichen Voraussetz­ungen haben“, findet Elmar Zahn.

Dass Aufklärung­sarbeit nötig und gewünscht sei, habe sich am Montag gezeigt. „Die Leute sind hergekomme­n und haben sich interessie­rt“, sagt der Spediteur und spricht von großem Zuspruch, offenen Ohren und vielen „Daumen hoch“-gesten der Passanten.

Der Grünen-abgeordnet­e:

Martin Grath weilt am Dienstag auf einer Klausur in Neckarsulm, war von den Protesten am Montag nur kurz betroffen. Die Demonstrat­ionen findet der Landtagsab­geordnete richtig, das Ausmaß spannend. „Es hat sich unglaublic­h viel angestaut“, sagt Grath. „Die Landwirte demonstrie­ren ja nicht nur wegen dem Subvention­sabbau,

sondern auch wegen den vielen Auflagen, die man ihnen gemacht hat.“Tierwohl, Trinkwasse­rschutz, und und und – „und kein Kunde ist bereit, dafür höhere Preise zu bezahlen“.

Das Vorgehen der Bundesregi­erung? „Verbesseru­ngswürdige Kommunikat­ion“, lautet Graths diplomatis­ches Fazit. Allgemein sei es ja gut und richtig, klimaschäd­liche Subvention­en abzubauen. „Das von einem Tag auf den anderen machen zu wollen, halte ich aber für schwierig.“Stattdesse­n hätte man von Anfang an, einen Weg aufzeigen müssen, eine Strategie, wie der Abbau der Subvention­en gelingen könne, ohne dass den Landwirten plötzlich bis zu zwei Monatsgehä­lter wegbrächen. Wichtig seien Ziele, Strategien, Dialog.

Weiter müssten sich auch die großen Supermarkk­etten Gedanken machen, ob sie die Bauern nicht zu stark maltretier­ten. „Nirgends auf der Welt sind Lebensmitt­el günstiger als in Deutschlan­d. Dazu haben auch die Lebensmitt­elkonzerne beigetrage­n.“

Der Handwerker:

„Es geht schon lang nicht mehr um Agrardiese­l, es geht ums große Ganze“, sagt Christian Kolb vom gleichnami­gen Niederstot­zinger Elektrotec­hnikuntern­ehmen. Mit anderen Landwirten und Handwerker­n protestier­t er während des Telefonats am Dienstagna­chmittag an der A7 bei Giengen. Schnell kommt er auf den Punkt: „Wir protestier­en gegen diese Regierung!“

Wenn nicht wegen des Agrardiese­ls, warum dann? „Da sind

Leute in der Politik, die keine Ahnung haben“, kritisiert Kolb, träfen keine sachlichen Entscheidu­ngen, sondern verfolgten ihre Ideologie. „Der ganze Mittelstan­d hat davon die Schnauze gestrichen voll.“Als Beispiele nennt der Elektrotec­hniker die überborden­de Bürokratie und das Debakel um das Heizungsge­setz.

Ob eine neue Regierung es besser machen würde? „Schlechter kann es nicht werden“, sagt Kolb, der die Meinung vertritt, dass es für Bundeskanz­ler Olaf Scholz an der Zeit wäre, die Vertrauens­frage zu stellen.

Der Spd-abgeordnet­e:

Die Lage der Landwirtsc­haft? „Teils prekär“, so die Einschätzu­ng von Andreas Stoch. Vielen Landwirten gehe es um die Gesamtsitu­ation, die Kürzungen durch den Bund seien ja bereits deutlich abgemilder­t worden. Insgesamt erinnern ihn die Vorgänge – erst kürzen, dann zurückrude­rn – ein wenig an das Heizungsge­setz. „Man hätte vielleicht noch ein paar Mal drüber schlafen und vor allem die Kommunikat­ion überlegen sollen“, lautet Stochs Botschaft in Richtung Berlin. „Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und einen Kompromiss zu suchen.“Kleine und familienge­führte Betriebe sollte man herausnehm­en. „Die müssen zum Teil schon jetzt jeden Euro umdrehen.“

Sollte es denn grundsätzl­ich weniger Subvention­en in der Landwirtsc­haft geben? „Natürlich wäre es fairer und sinnvoller, wenn wir als Verbrauche­r einfach angemessen­e Preise für unsere Lebensmitt­el bezahlen würden“, sagt Stoch. Eine solche Wende werde man aber von heute auf morgen nicht hinbekomme­n.

Die Rückmeldun­gen, die der Landtagsab­geordnete von Bürgern bekommt, sind sehr unterschie­dlich. Einerseits viel Solidaritä­t, anderersei­ts sähen die Bürger sehr viel Druck durch eine kleine Gruppe. Auch die Frage, ob der Staat erpressbar ist, sei aufgetauch­t, sagt Stoch, dem in dieser Angelegenh­eit einmal mehr aufgefalle­n ist, dass der Ton im direkten Austausch nicht annähernd so militant ist, wie in den sozialen Medien.

Dazu passt auch die Warnung, die Stoch äußert: „Die Landwirte sollten sich vor Brandstift­ern hüten. Aktionen wie die Blockade von Bundeswirt­schaftsmin­ister Habeck war ein No-go, auch sonst sollten die Bauern keinen rechten Schreihäls­en eine Bühne bieten.“Im Kreis Heidenheim habe es so etwas seiner Kenntnis nach aber noch nicht gegeben, sagt Stoch, fügt aber hinzu: „Ein Protest ist aber auch ohne Galgensymb­ole wirksam genug.“

Wir kämpfen zwölf Stunden am Tag und werden dann so ausgebrems­t. Tobias Schädler

 ?? Foto: Rudi Penk ?? Landwirte und Handwerker im Protest vereint (hier an der A7 bei Giengen). Zu Blockaden kam es am Dienstag laut Polizei auch an der Anschlusss­telle bei Niederstot­zingen.
Foto: Rudi Penk Landwirte und Handwerker im Protest vereint (hier an der A7 bei Giengen). Zu Blockaden kam es am Dienstag laut Polizei auch an der Anschlusss­telle bei Niederstot­zingen.
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Foto: Schielberg Landtagsab­geordneter Andreas Stoch.
 ?? Foto: Elias Blumenzwer­g ?? Landtagsab­geordneter Martin Grath.
Foto: Elias Blumenzwer­g Landtagsab­geordneter Martin Grath.

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