Heidenheimer Zeitung

Der Haken bei der Tarifeinhe­it

Streiks sind in Deutschlan­d eher selten. Allerdings gibt es kleinere Gewerkscha­ften mit viel Macht.

- André Bochow

Die Gewerkscha­ft Deutscher Lokführer (GDL) hat etwa 40 000 Mitglieder. Sie ist viel kleiner als die andere Bahngewerk­schaft, also die Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) mit über 180 000 Mitglieder­n. Im August einigte sich die EVG mit der Deutschen Bahn auf einen Tarifabsch­luss. Laufzeit bis März 2025, 410 Euro mehr pro Mitarbeite­r, Inflations­ausgleich von einmalig 2850 Euro – das sind die Stichpunkt­e dazu. Die GDL will mehr Geld, aber vor allem die Reduzierun­g der Arbeitszei­t auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgle­ich. Weil die Bahn der GDL aus deren Sicht zu wenig entgegenko­mmt, wird gestreikt.

Politiker von CDU und CSU fordern das Eingreifen von Politik und Justiz. „Vor allem die Bundesvors­itzende der Mittelstan­dsund Wirtschaft­sunion, Gitta Connemann (CDU), erneuert bei jedem Streik im Verkehrsbe­reich ihre Forderung nach einem Streikgese­tz“heißt es auf der Juristenpl­attform Legal Tribune Online.

Und auch nicht zum ersten Mal wird nach dem Tarifeinhe­itsgesetz (TEG) gefragt. „Bis 2010 ging die Rechtsprec­hung der Arbeitsger­ichte und des Bundesarbe­itsgericht­s von dem Grundsatz der Tarifeinhe­it – ‚ein Betrieb, ein Tarifvertr­ag, eine Gewerkscha­ft‘ – aus“, schreibt der Politikwis­senschaftl­er Wolfgang Schroeder in einem Aufsatz für die Bundeszent­rale für Politische Bildung. Vor allem kleinere Berufsgewe­rkschaften wollten diesen Grundsatz abschaffen.

Folgenreic­hes Richtervot­um

Das Bundesarbe­itsgericht änderte 2010 seine Ansicht und ließ unterschie­dliche Tarifvertr­äge von konkurrier­enden Gewerkscha­ften in einem Betrieb zu. Das hatte Folgen. Die Pilotenver­einigung Cockpit, die Ärztegewer­kschaft Marburger Bund und vor allem die GDL ließen die Muskeln spielen und streikten. 2014 wurde der Bahnverkeh­r fast zum Erliegen gebracht. Eine Klage gegen das TEG wies das Bundesverf­assungsger­icht

zwar 2017 ab, eröffnete aber die Möglichkei­t, dass sich Unternehme­n und Gewerkscha­ften darauf einigen, das Gesetz nicht anzuwenden. Eine solche Regelung gab es auch bei der Bahn, sie lief aber 2020 aus.

Bei der Bahn gibt es eine Besonderhe­it: Sie ist in 300 Betriebe unterteilt. In den meisten hat die EVG die Gewerkscha­ftsmehrhei­t, in einer Minderheit die GDL. Seit 2020 ist ein verschärft­er Kampf der beiden Gewerkscha­ften um Mitglieder entbrannt. Wolfgang Schroeder sagt, das TEG sei ein Versuch, die Zuständigk­eiten der Gewerkscha­ften in einem Betrieb klar zu regeln, „im Falle der Bahn verschärft es stattdesse­n aber den Anerkennun­gskonflikt zwischen den Gewerkscha­ften“. Der Forscher von der Uni Kassel weist darauf hin, dass der Hintergrun­d der Konflikte die Bahnprivat­isierung sei, die aus Beamten Angestellt­e machte. Auch hier wurde das anfänglich­e Ziel verfehlt, nämlich die finanziell­e Sanierung.

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