Der Haken bei der Tarifeinheit
Streiks sind in Deutschland eher selten. Allerdings gibt es kleinere Gewerkschaften mit viel Macht.
Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) hat etwa 40 000 Mitglieder. Sie ist viel kleiner als die andere Bahngewerkschaft, also die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit über 180 000 Mitgliedern. Im August einigte sich die EVG mit der Deutschen Bahn auf einen Tarifabschluss. Laufzeit bis März 2025, 410 Euro mehr pro Mitarbeiter, Inflationsausgleich von einmalig 2850 Euro – das sind die Stichpunkte dazu. Die GDL will mehr Geld, aber vor allem die Reduzierung der Arbeitszeit auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Weil die Bahn der GDL aus deren Sicht zu wenig entgegenkommt, wird gestreikt.
Politiker von CDU und CSU fordern das Eingreifen von Politik und Justiz. „Vor allem die Bundesvorsitzende der Mittelstandsund Wirtschaftsunion, Gitta Connemann (CDU), erneuert bei jedem Streik im Verkehrsbereich ihre Forderung nach einem Streikgesetz“heißt es auf der Juristenplattform Legal Tribune Online.
Und auch nicht zum ersten Mal wird nach dem Tarifeinheitsgesetz (TEG) gefragt. „Bis 2010 ging die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und des Bundesarbeitsgerichts von dem Grundsatz der Tarifeinheit – ‚ein Betrieb, ein Tarifvertrag, eine Gewerkschaft‘ – aus“, schreibt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder in einem Aufsatz für die Bundeszentrale für Politische Bildung. Vor allem kleinere Berufsgewerkschaften wollten diesen Grundsatz abschaffen.
Folgenreiches Richtervotum
Das Bundesarbeitsgericht änderte 2010 seine Ansicht und ließ unterschiedliche Tarifverträge von konkurrierenden Gewerkschaften in einem Betrieb zu. Das hatte Folgen. Die Pilotenvereinigung Cockpit, die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und vor allem die GDL ließen die Muskeln spielen und streikten. 2014 wurde der Bahnverkehr fast zum Erliegen gebracht. Eine Klage gegen das TEG wies das Bundesverfassungsgericht
zwar 2017 ab, eröffnete aber die Möglichkeit, dass sich Unternehmen und Gewerkschaften darauf einigen, das Gesetz nicht anzuwenden. Eine solche Regelung gab es auch bei der Bahn, sie lief aber 2020 aus.
Bei der Bahn gibt es eine Besonderheit: Sie ist in 300 Betriebe unterteilt. In den meisten hat die EVG die Gewerkschaftsmehrheit, in einer Minderheit die GDL. Seit 2020 ist ein verschärfter Kampf der beiden Gewerkschaften um Mitglieder entbrannt. Wolfgang Schroeder sagt, das TEG sei ein Versuch, die Zuständigkeiten der Gewerkschaften in einem Betrieb klar zu regeln, „im Falle der Bahn verschärft es stattdessen aber den Anerkennungskonflikt zwischen den Gewerkschaften“. Der Forscher von der Uni Kassel weist darauf hin, dass der Hintergrund der Konflikte die Bahnprivatisierung sei, die aus Beamten Angestellte machte. Auch hier wurde das anfängliche Ziel verfehlt, nämlich die finanzielle Sanierung.