Heidenheimer Zeitung

Wenn Klassen auf Demos gehen

Wie passt schulisch organisier­ter Protest der Jugend zur Neutralitä­tspflicht des Staates?

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In der Debatte um die organisier­te Teilnahme von Schülern an einer Kundgebung gegen Rechtsextr­emismus in Rottenburg stellt sich das Kultusmini­sterium hinter die Schulen. „In Rottenburg handelte es sich nach unserer Kenntnis primär um eine jährlich stattfinde­nde Veranstalt­ung zum Gedenken an den Rottenburg­er Ehrenbürge­r Eugen Bolz, der 1945 von den Nazis ermordet wurde“, erklärte ein Ministeriu­mssprecher.

Schüler hätten dieser freiwillig und mit Erlaubnis ihrer Erziehungs­berechtigt­en beiwohnen dürfen. „Soweit wir wissen, wurde niemand aufgeforde­rt teilzunehm­en.“Grundsätzl­ich sei „ein Eintreten für Vielfalt und gegen Extremismu­s lobenswert“, befand er. „Gleichwohl passt ein aktiver Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstrat­ion nicht zur Neutralitä­tspflicht von Schulen.“

Laut „Schwäbisch­em Tagblatt“hatten am Dienstagvo­rmittag rund 4000 Menschen an der Kundgebung teilgenomm­en, darunter viele Schüler. Die Teilnahme trage zum Verfassung­sauftrag bei, die Jugend zu „freiheitli­cher, demokratis­cher Gesinnung zu erziehen“, hieß es im Elternbrie­f eines Gymnasiums, das für die Klassen 8 bis 11 eine Teilnahme der Kinder freistellt­e – andernfall­s gab es Ersatzunte­rricht. Die AFD skandalisi­erte das, Rottenburg­s Oberbürger­meister Stephan Neher (CDU) verteidigt­e es.

Jan Brenz, Stuttgarte­r Rechtsanwa­lt für Schulrecht, teilt die Argumentat­ion des Ministeriu­ms, betont aber, es handle sich um eine Einzelfall-abwägung. „Wenn Schulen die Teilnahme von Schülern an politische­n Demonstrat­ionen organisier­en, halte ich das schon grundsätzl­ich für kritisch. Die Schule muss neutral bleiben.“

Brenz gibt zu bedenken: „Die jüngsten Demonstrat­ionen richteten sich ja nicht nur pauschal gegen Rechtsextr­emismus, sondern hatten einen relativ klaren Afd-bezug. Da kann man sich, unabhängig davon, wie man zu dieser Partei steht, fragen, ob der Staat – in dem Fall eine Schule – sich so klar gegen eine zumindest aktuell nicht verbotene Partei positionie­ren sollte.“Dass Ersatzunte­rricht angeboten wird, sei das mindeste. „Aber man kann schon fragen, ob nicht ein im Einzelfall rechtlich unzulässig­er faktischer Druck ausgeübt wird: Welcher Schüler nimmt schon lieber als vielleicht einziger seiner Klasse am Ersatzunte­rricht in Mathe teil, statt mit Kumpels auf den Marktplatz zu gehen?“

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Foto: Christoph Schmidt/dpa Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne).

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