Heidenheimer Zeitung

Elena Fischer: Paradise Garden (Folge 17)

- Fortsetzun­g folgt © Diogenes Verlag Zürich

Meine Mutter hatte mir erzählt, dass Lunas Mutter vor ein paar Jahren gestorben war.

„Man hat sie mit einer Spritze im Arm gefunden. Hast du die Handtasche auf Lunas Regal gesehen und das ganze Zeug drumherum?“

Ich nickte. Ein Personalau­sweis, zwei Kinderfoto­s von Luna, eine Zahnbürste und Zahncreme, eine Unterhose, ein leeres Notizbuch und Geldschein­e in einer kleinen Schale aus Porzellan. Luna fasste sie nie an. Auf den Scheinen lag Staub wie Butter auf einem Brot.

„Das Leben von Lunas Mutter hat in eine einzige Handtasche gepasst“, sagte meine Mutter. Wir waren beide ein bisschen traurig über den Schrein in Lunas Wohnung.

„Glaubst du, dass Luna verrückt ist, weil ihre

Mutter so viele Drogen genommen hat?“

„Vielleicht. Aber merk dir, dass man nicht verrückt sagt. Es heißt psychisch erkrankt.“

Manchmal verstand ich meine Mutter nicht. Sie sagte den ganzen Tag lang „verdammt“und „Scheiße“, aber andere verrückt zu nennen war verboten.

Ich sprang vom Bett. „Ich muss jetzt nach Hause.“

Luna machte die Musik leiser. „Okay. Wir sehen uns, Kleine. Viel Glück!“

Ich hatte gerade Lunas Tür hinter mir zugezogen, da sah ich Uta. Sie drückte mit der einen Seite ihres Körpers die Tür zum Laubengang auf. Dann schleppte sie sich mit zwei Einkaufstü­ten den

Gang entlang. Ich lief auf sie zu, um ihr zu helfen, aber da war sie schon vor ihrer Wohnungstü­r angekommen. Ihre Tür war gleich die zweite, wenn man den Laubengang betrat.

„Fahrstühle schon wieder kaputt“, sagte sie, aber es war eher ein Japsen und Röcheln.

„Scheiße“, sagte ich.

Mir fiel ein, was meine Mutter einmal wegen der Fahrstühle gesagt hatte: „Wenn du im siebzehnte­n Stock wohnst, ist das Fitnessstu­dio inklusive.“

„Kannst du deiner Mutter sagen, dass ich mit ihr reden muss?“, fragte Uta.

„Klar.“

In letzter Zeit redete Uta dauernd mit meiner Mutter. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging. Immer wenn ich meine Mutter danach fragte, schwieg sie oder wechselte einfach das Thema. Meine Mutter war gut darin zu schweigen. Besonders schweigsam war sie immer dann, wenn ich etwas über ihre Vergangenh­eit wissen wollte.

Uta beugte sich vor, um die Tür aufzuschli­eßen. In diesem Moment löste sich die goldene Halskette aus ihrem Dekolleté. An der Kette war ein Medaillon befestigt, und in dem Medaillon war ein Foto von Lady Di. Jeder hier wusste, dass zwischen Utas riesigen Brüsten Lady Di baumelte.

Uta machte kein Geheimnis aus ihrem Fimmel für die Royals. „Skandalös und konsequent“, fasste sie Lady Dis Tod zusammen. Skandalös, weil man Lady

Di in den Tod getrieben hatte, konsequent, weil sie für die Liebe ihres Lebens gestorben war.

Ich war mir ziemlich sicher, dass Heinz nicht die Liebe ihres Lebens war. Heinz saß den ganzen Tag vor dem Fernseher. Im Sommer in Unterhosen, im Winter in seinem lila-grünen Jogginganz­ug. Er stand nur aus zwei Gründen auf: Entweder holte er sich ein neues Bier aus dem Kühlschran­k, oder er kümmerte sich um seine Vögel. Die ganze Wohnung war voller Vogelkäfig­e. Luna hatte einmal gesagt, dass er seine Vögel mehr liebte als seine Frau.

Manchmal lud Heinz uns zu einer Wurst ein, wenn er im Laubengang grillte, obwohl Grillen hier verboten war, aber wer hätte ihn verpetzen sollen? Der Hausmeiste­r kümmerte sich um nichts. Nicht um die Fahrstühle und nicht um uns. Und wir kümmerten uns nicht um ihn. Meine Mutter hatte gelernt, die Dinge selbst zu regeln. Sie wusste, wie man eine Duschstang­e aufhängt oder eine Tischplatt­e abschleift.

Ich fand meine Mutter im Bad. Sie saß immer noch genau so da wie vorhin. Sie starrte vor sich hin und bewegte sich nicht. Das Telefon lag auf ihrem Schoß.

„Was ist passiert? Mit wem hast du telefonier­t?“, wollte ich wissen.

Meine Mutter drehte langsam den Kopf, als wäre sie gerade aufgewacht. „Essen wir was? Ich habe Hunger.“

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