Wie groß ist die Bedrohung?
Frankreich hat nach dem Anschlag bei Moskau die höchste Warnstufe ausgerufen. Das wirft Fragen nach der Sicherheit in Deutschland auf.
Am vergangenen Freitag verübten mehrere Attentäter in Moskau einen brutalen Terroranschlag auf Zuschauer eines Rockkonzerts. Mehr als 130 Menschen starben. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“hat sich zu dem Anschlag bekannt. Verantwortlich ist aller Wahrscheinlichkeit der Ableger „Islamischer Staat Provinz Khorasan“(ISPK). Die Gruppierung ist auch in Deutschland aktiv. Doch nicht nur dieser Fakt wirft Fragen nach der Bedrohungslage hierzulande auf.
Kommt der Terror auch Deutschland? Im Grunde genommen ist er längst da. Es hat in Deutschland islamistische Anschläge gegeben, viele konnten verhindert werden und es sind viele sogenannte Gefährder im Land. Neu ist, dass der extrem radikale ISPK, der ursprünglich aus Afghanistan stammt, aber seine Anhänger auch in anderen Ländern hat, so aggressiv in Erscheinung tritt.
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Wie viele Anschläge gab es? Seit dem Jahr 2000 waren es laut dem Bundeskriminalamt (BKA) „insgesamt elf vollendete islamistisch motivierte“Angriffe oder Anschläge. Darunter war 2012 ein geplanter Sprengstoffanschlag auf den Bonner Hauptbahnhof. Schon 2007 flog die sogenannte Sauerland-gruppe auf, die Terrorakte mit Chemikalien auf Regionalzüge in Hamm und Koblenz plante.
Wie viele Anschläge konnten in Deutschland verhindert werden?
„Seit dem Jahr 2010 wurden 18 Sachverhalte als von Strafverfolgungsbehörden verhinderte islamistisch motivierte Anschläge eingestuft“, teilte das Bundeskriminalamt
im Dezember mit. Seit dem Jahr 2000 waren es, Stand Januar dieses Jahres, „25 verhinderte und fünf technisch gescheiterte Anschläge.“In den vergangenen Monaten wurden immer wieder Personen mit Verbindungen zum ISPK festgenommen. Sieben waren es im Juli 2023, um den Jahreswechsel kam es im Zusammenhang mit Anschlagsplänen gegen den Kölner Dom sowie den Stephansdom in Wien zu Verhaftungen. In der vergangenen Woche wurden zwei Afghanen in Thüringen inhaftiert, die Anschläge in Schweden geplant haben sollen.
Wie schätzen die Sicherheitsbehörden die aktuelle Bedrohungslage ein?
Laut einem Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI) geht hierzulande die größte Bedrohung derzeit vom ISPK aus. Anders als in Frankreich habe sich die Gefährdungseinschätzung der Sicherheitsbehörden aber „bislang nicht verändert“. Ein Grund dafür ist, dass es in Deutschland kein System mit unterschiedlichen Warn- oder Terrorstufen gibt, stattdessen stellt das BKA periodische Einschätzungen zusammen. Dieses System sei geübte Praxis, bisher gebe es keine Motivation, dies zu ändern, so der Sprecher. Besondere Verhaltenshinweise für die Bürgerinnen und Bürger wollte der Sprecher des BMI nicht geben. Dem Ministeriumssprecher zufolge galt die Bedrohungslage schon vor dem Anschlag in Moskau als hoch. „Die Gefährdung bleibt akut“, sagte er. Zum „Personenpotenzial“der Is-anhänger in Deutschland steht im bislang aktuellsten Bundesverfassungsschutzbericht von 2022: „keine gesicherten Zahlen“. Insgesamt zählt der Verfassungsschutz 27 480 Personen zum Potenzial „Islamismus/islamistischer Terrorismus“, dazu gehören zum Beispiel 11 000 Salafisten. Das Bundeskriminalamt geht von derzeit etwa 500 sogenannten Gefährdern aus, also von Personen, die akut verdächtig sind, „politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung“zu verüben.
Welche Auswirkungen sind für die anstehende Fußball-europameisterschaft zu erwarten?
Laut BMI gelten für Großveranstaltungen wie die Fußball-em der Männer im Sommer unabhängig von den Geschehnissen in Moskau erhöhte Sicherheitsmaßnahmen. Die Sicherheitskonzepte umfassten auch islamistische Bedrohungen, erklärte ein Sprecher. „Selbstverständlich“werde die Lage vom Wochenende in die weitere Planung der EM einfließen. Während Großveranstaltungen sei es üblich, für einen gewissen Zeitraum Binnengrenzkontrollen einzuführen. Noch sei aber nichts Konkretes bekannt und bisher sei auch noch nicht die Eu-kommission über die temporäre Wiedereinführung der Grenzkontrollen informiert worden. Schon im Januar hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) auf die „hervorragende“internationale Zusammenarbeit hingewiesen. „Unser Fokus reicht vom Schutz vor Hooligans und vor Kriminalität und extremistischen Bedrohungen bis hin zur Cybersicherheit und der Vorbereitung auf schwere Unwetter oder andere natürliche Ereignisse“, sagte Innenministerin Faeser.
Die Innenministerin warnt vor hybrider Kriegsführung. Was ist gemeint?
„Wir sehen Einflussnahmeversuche durch Lügen, durch massive Desinformation. Aber auch die Spionage ist mindestens so aktiv“, sagte Faeser im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Insbesondere gelte es, die anstehenden Wahlen gegen die Einflussnahme von außen abzusichern. Faeser setzt bei dem Schutz auf den verstärkten Einsatz von Künstlicher Intelligenz gegen Desinformationskampagnen.
Was kann man selbst tun, um sich vor Desinformationskampagnen zu schützen?
Kurz gesagt: Die Quellen hinterfragen. Jeder sollte bei beunruhigenden, verunsichernden Informationen prüfen, von wem sie stammen und sie mit anderen Quellen abgleichen.