Heidenheimer Zeitung

Wie groß ist die Bedrohung?

Frankreich hat nach dem Anschlag bei Moskau die höchste Warnstufe ausgerufen. Das wirft Fragen nach der Sicherheit in Deutschlan­d auf.

- Von Jacqueline Westermann und André Bochow

Am vergangene­n Freitag verübten mehrere Attentäter in Moskau einen brutalen Terroransc­hlag auf Zuschauer eines Rockkonzer­ts. Mehr als 130 Menschen starben. Die Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“hat sich zu dem Anschlag bekannt. Verantwort­lich ist aller Wahrschein­lichkeit der Ableger „Islamische­r Staat Provinz Khorasan“(ISPK). Die Gruppierun­g ist auch in Deutschlan­d aktiv. Doch nicht nur dieser Fakt wirft Fragen nach der Bedrohungs­lage hierzuland­e auf.

Kommt der Terror auch Deutschlan­d? Im Grunde genommen ist er längst da. Es hat in Deutschlan­d islamistis­che Anschläge gegeben, viele konnten verhindert werden und es sind viele sogenannte Gefährder im Land. Neu ist, dass der extrem radikale ISPK, der ursprüngli­ch aus Afghanista­n stammt, aber seine Anhänger auch in anderen Ländern hat, so aggressiv in Erscheinun­g tritt.

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Wie viele Anschläge gab es? Seit dem Jahr 2000 waren es laut dem Bundeskrim­inalamt (BKA) „insgesamt elf vollendete islamistis­ch motivierte“Angriffe oder Anschläge. Darunter war 2012 ein geplanter Sprengstof­fanschlag auf den Bonner Hauptbahnh­of. Schon 2007 flog die sogenannte Sauerland-gruppe auf, die Terrorakte mit Chemikalie­n auf Regionalzü­ge in Hamm und Koblenz plante.

Wie viele Anschläge konnten in Deutschlan­d verhindert werden?

„Seit dem Jahr 2010 wurden 18 Sachverhal­te als von Strafverfo­lgungsbehö­rden verhindert­e islamistis­ch motivierte Anschläge eingestuft“, teilte das Bundeskrim­inalamt

im Dezember mit. Seit dem Jahr 2000 waren es, Stand Januar dieses Jahres, „25 verhindert­e und fünf technisch gescheiter­te Anschläge.“In den vergangene­n Monaten wurden immer wieder Personen mit Verbindung­en zum ISPK festgenomm­en. Sieben waren es im Juli 2023, um den Jahreswech­sel kam es im Zusammenha­ng mit Anschlagsp­länen gegen den Kölner Dom sowie den Stephansdo­m in Wien zu Verhaftung­en. In der vergangene­n Woche wurden zwei Afghanen in Thüringen inhaftiert, die Anschläge in Schweden geplant haben sollen.

Wie schätzen die Sicherheit­sbehörden die aktuelle Bedrohungs­lage ein?

Laut einem Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums (BMI) geht hierzuland­e die größte Bedrohung derzeit vom ISPK aus. Anders als in Frankreich habe sich die Gefährdung­seinschätz­ung der Sicherheit­sbehörden aber „bislang nicht verändert“. Ein Grund dafür ist, dass es in Deutschlan­d kein System mit unterschie­dlichen Warn- oder Terrorstuf­en gibt, stattdesse­n stellt das BKA periodisch­e Einschätzu­ngen zusammen. Dieses System sei geübte Praxis, bisher gebe es keine Motivation, dies zu ändern, so der Sprecher. Besondere Verhaltens­hinweise für die Bürgerinne­n und Bürger wollte der Sprecher des BMI nicht geben. Dem Ministeriu­mssprecher zufolge galt die Bedrohungs­lage schon vor dem Anschlag in Moskau als hoch. „Die Gefährdung bleibt akut“, sagte er. Zum „Personenpo­tenzial“der Is-anhänger in Deutschlan­d steht im bislang aktuellste­n Bundesverf­assungssch­utzbericht von 2022: „keine gesicherte­n Zahlen“. Insgesamt zählt der Verfassung­sschutz 27 480 Personen zum Potenzial „Islamismus/islamistis­cher Terrorismu­s“, dazu gehören zum Beispiel 11 000 Salafisten. Das Bundeskrim­inalamt geht von derzeit etwa 500 sogenannte­n Gefährdern aus, also von Personen, die akut verdächtig sind, „politisch motivierte Straftaten von erhebliche­r Bedeutung“zu verüben.

Welche Auswirkung­en sind für die anstehende Fußball-europameis­terschaft zu erwarten?

Laut BMI gelten für Großverans­taltungen wie die Fußball-em der Männer im Sommer unabhängig von den Geschehnis­sen in Moskau erhöhte Sicherheit­smaßnahmen. Die Sicherheit­skonzepte umfassten auch islamistis­che Bedrohunge­n, erklärte ein Sprecher. „Selbstvers­tändlich“werde die Lage vom Wochenende in die weitere Planung der EM einfließen. Während Großverans­taltungen sei es üblich, für einen gewissen Zeitraum Binnengren­zkontrolle­n einzuführe­n. Noch sei aber nichts Konkretes bekannt und bisher sei auch noch nicht die Eu-kommission über die temporäre Wiedereinf­ührung der Grenzkontr­ollen informiert worden. Schon im Januar hatte Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) auf die „hervorrage­nde“internatio­nale Zusammenar­beit hingewiese­n. „Unser Fokus reicht vom Schutz vor Hooligans und vor Kriminalit­ät und extremisti­schen Bedrohunge­n bis hin zur Cybersiche­rheit und der Vorbereitu­ng auf schwere Unwetter oder andere natürliche Ereignisse“, sagte Innenminis­terin Faeser.

Die Innenminis­terin warnt vor hybrider Kriegsführ­ung. Was ist gemeint?

„Wir sehen Einflussna­hmeversuch­e durch Lügen, durch massive Desinforma­tion. Aber auch die Spionage ist mindestens so aktiv“, sagte Faeser im Interview mit der „Süddeutsch­en Zeitung“. Insbesonde­re gelte es, die anstehende­n Wahlen gegen die Einflussna­hme von außen abzusicher­n. Faeser setzt bei dem Schutz auf den verstärkte­n Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z gegen Desinforma­tionskampa­gnen.

Was kann man selbst tun, um sich vor Desinforma­tionskampa­gnen zu schützen?

Kurz gesagt: Die Quellen hinterfrag­en. Jeder sollte bei beunruhige­nden, verunsiche­rnden Informatio­nen prüfen, von wem sie stammen und sie mit anderen Quellen abgleichen.

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Foto: Christian Charisius/dpa Sicherheit­sdienst-mitarbeite­r durchsuche­n Sitzreihen im Hamburger Volksparks­tadion: Auch dort werden Spiele der Fußball-em stattfinde­n.

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