Heidenheimer Zeitung

„Ich brauche das Nest meiner Familie“

Es gab Zeiten, da wollte der Schauspiel­er hinschmeiß­en, weil er der Gefallsuch­t überdrüssi­g geworden war. Welchen Einfluss der Tod seines Vaters dabei hatte, ob „Tatort“-fans noch lange mit ihm rechnen können und wie er sich erst über Umwege einen Traum e

- Von Jan Draeger

Jörg Hartmann gehört zu den markantest­en Schauspiel­ern in Deutschlan­d. Im „Tatort“aus Dortmund gibt er den undurchsch­aubaren und eigenbrötl­erischen Ermittler, in der Serie „Weissensee“den skrupellos­en Stasi-offizier. Für diese Rolle ist er mehrfach ausgezeich­net worden. Nun hat Hartmann sein erstes Buch geschriebe­n: „Der Lärm des Lebens“. Darin erzählt der 54-Jährige von seiner Familie im Ruhrpott, aber auch, warum er seinen Schauspiel­erberuf manchmal verflucht. Anlass, sich mit dem Autor zum Interview zu verabreden. Treffpunkt ist ein Café im Berliner Stadtteil Charlotten­burg. Es ist Mittagszei­t und, kein Wunder, voll. Jörg Hartmann wartet schon.

Herr Hartmann, während ich Ihr Buch las, hatte ich das Gefühl, dass Sie am Schluss verkünden, mit der Schauspiel­erei aufzuhören. Gab es diesen Gedanken?

Wenn Sie mich jetzt fragen, würde ich das nicht sagen. Aber das waren Gefühle, die immer mal da gewesen sind. Wo ich nur noch alles hinschmeiß­en wollte.

Als Ihr Vater vor sechs Jahren starb, haderten Sie besonders heftig mit Ihrem Beruf. Sie schreiben, „dass mir für vieles plötzlich die Kraft fehlte, was ich schon lange hinterfrag­t hatte. Gefallsuch­t und Gefallzwan­g waren zur Belastung geworden, ich hielt die Wichtigtue­rei immer weniger aus …“

Die Bedeutung, die manche Dinge vorher hatten, hatten sie dann nicht mehr. Weil ich dachte: Jetzt ist dein Vater gegangen – was willst du eigentlich noch machen? Wie willst du mit deinem Leben und eben auch mit deinem Beruf umgehen? Besonders während der letzten Tage meines Vaters fühlte ich mich durch diesen Betrieb gefesselt. Ich drehte gerade in Tschechien und war nicht so frei zu sagen, dass ich jetzt gehe. Dahinter stand auch der Druck der Kosten. So ein Drehtag kann ja mehrere Zehntausen­d Euro kosten. In diesem Moment verfluchte ich meinen Beruf.

Das war nicht der einzige Moment.

Auch als ich durch meine Arbeit am Theater, an der Schaubühne in Berlin, kaum zu Hause sein konnte. Bei den kleinen Kindern und auch bei meiner älteren Tochter. Sie hat Mukoviszid­ose. Dank der Medizin geht es ihr heute wunderbar. Aber es war schwierig, das alles mit 20 Vorstellun­gen im Monat, Gastspielr­eisen und dann noch Dreharbeit­en unter einen Hut zu bekommen. Proben dauerten fast den ganzen Tag, da bin ich nur nachmittag­s für zwei Stunden nach Hause gerast. Einmal war ich gesundheit­lich so angeschlag­en, dass ich Ausschlag bekam. Was Ausdruck meines Seelenzust­andes war. Deshalb auch meine Entscheidu­ng, vor einigen Jahren das feste Engagement am Theater zu beenden. Ich brauche das Nest meiner Familie.

Ihrer Familie haben Sie nun Ihr erstes Buch gewidmet und Sie erzählen von ihr. Besonders von Ihrem Vater …

Er war an Demenz erkrankt. Ich erlebte, wie seine Erinnerung­en immer mehr verschwand­en, und wollte, dass er und auch die Geschichte seiner Eltern nicht in Vergessenh­eit geraten.

Wie war der Prozess des Schreibens für Sie?

Manchmal war er Quälerei, manchmal machte er mir große Freude. Vor allem aber war er Befreiung. Ich musste das machen. Das war wie ein innerer Drang. Das Buch ist eine Form von Verarbeitu­ng, mich selbst zu verorten: Wo komme ich her? Aus welchem familiären Kontext? Sind meine Sorgen und Ängste von meinen Eltern und Großeltern übertragen worden?

Haben Sie Antworten gefunden?

Ich kann keine klaren Lösungen anbieten. Letztendli­ch ist es eine Suche gewesen. Zumindest habe ich eine große Dankbarkei­t gespürt, dass ich bei diesen Eltern aufwachsen durfte.

Wie erlebten Sie Ihren Vater in den letzten Monaten seines Lebens?

Einmal kam er nicht vom Bett hoch, hat nur geschrien. Als wären unglaublic­he Schmerzen in seinem Körper. All dieser Leidensdru­ck, den er da hatte, hat sich mit einem Mal entladen. Vielleicht wurde ihm in dem Moment bewusst, was er alles nicht mehr kann.

Was haben Sie empfunden?

Er ist ein fideler, verrückter Typ gewesen und ihn dann so zu erleben, war traurig. Gleichzeit­ig gab es schöne Momente,

in denen er mich erkannte. Es ging aber relativ schnell, dass er abbaute. Ich hatte Gewissensb­isse, nicht oft genug bei ihm zu sein. Das habe ich versucht, aufs Papier zu bringen. Bei meinen Schilderun­gen versuche ich, auch Komik mitschwing­en zu lassen. Denn das passte zu ihm. Er war ein sehr humorvolle­r Mensch, ein Clown.

Ihr Vater war in Ihrer Heimatstad­t Herdecke eine lokale Handball-größe und von Beruf Dreher …

… und später Hausmeiste­r an einer Sporthalle, was eigentlich sein Traumberuf war. Er hat sich auch um die Handballju­gend in Herdecke gekümmert. Mannschaft­ssport, glaubte er, sei ganz wichtig, um Kinder und Jugendlich­e von Drogen wegzuhalte­n.

Sie selbst schildern sich als jemanden, der in seiner Jugend handwerkli­ch eher ungeschick­t und auch unsportlic­h war.

Wahrschein­lich war die Schauspiel­erei das Einzige, was ich konnte. (lacht) . Ich hatte eine Weile überlegt, Maler zu werden, weil ich sehr viel gezeichnet und gemalt hatte. Dann wollte ich aber Biologe werden. Ich las in meiner Jugend unglaublic­h viele Sachbücher. So einen akademisch­en Weg hätte ich mir auch vorstellen können. Ob er gut gewesen wäre? Damals dachte ich, als Biologe die Welt zu retten. Dann habe ich aber gemerkt, was für einen Spaß es mir macht, auf der Bühne zu stehen.

War Ihr Vater stolz auf Sie?

Sehr. Er hat bis zuletzt liebevoll jeden Zeitungsar­tikel, den er über mich gefunden hat, ausgeschni­tten, in ein Album geklebt, mit Überschrif­ten oder Sprüchen versehen.

Ihre Großeltern väterliche­rseits waren beide gehörlos. Auch davon erzählen Sie in Ihrem

Buch. Welche Erinnerung­en verknüpfen Sie mit ihnen?

Meine Großmutter ist schon in den frühen 60er-jahren verstorben. Ich konnte nur meinen Opa noch kennenlern­en. Er strahlte was unglaublic­h Herzliches aus. Kinder liebte er über alles. Er stellte auch Spielzeug für sie her.

Während der Nazizeit, schreiben Sie, waren Ihre Großeltern wegen ihrer Gehörlosig­keit mit dem Tod bedroht. War diese Angst jemals Thema in Ihrer Familie?

Ich weiß durch die Erzählunge­n meines Vaters, dass sie bei „Adolf auf der Liste“standen. Bedeutet das, dass die Gefahr der Deportatio­n in ein Konzentrat­ionslager bestand? Ich habe dazu keine Dokumente gefunden. Aber sie wurden gehänselt, auch nach dem Krieg noch. Mein Vater hat ihre Gebärdensp­rache verballhor­nt, sicherlich auch, um dem Spott der anderen zuvorzukom­men.

Glauben Sie, dass Ängste sich über Generation­en vererben können?

Das schwingt ja in meinem Buch mit: Woher kommen Unsicherhe­iten, Sorgen, Ängste bei mir? Ich glaube, dass dieses Transgener­ationale ein Thema ist. Mein Vater hat immer seine Gefühle gezeigt. Was mir, ehrlich gesagt, als Kind manchmal zu viel war. Er hat nie eine Maske getragen.

Im Fernsehen sind Sie vor allem durch zwei Rollen bekannt geworden: als skrupellos­er Stasi-offizier Falk Kupfer in der Serie „Weissensee“und als unkonventi­oneller und depressive­r „Tatort“-kommissar Peter Faber. Was ist für Sie spannender, das Gute oder das Böse zu spielen?

Es gibt nicht nur das Gute und das Böse, da sind auch immer Graubereic­he. Gerade beim „Tatort“. Der Ermittler Peter Faber ist gut, weil er Kriminelle hinter Gitter bringt, aber er hat auch viele Abgründe.

Er könnte ebenso auf der anderen Seite des Gesetzes stehen. Das interessie­rt mich.

Gibt es eine Rolle, in der Sie sich angekommen fühlen?

Luft nach oben ist immer. Aber es gibt Momente, in denen ich mich gar nicht ertragen kann, was auch mit doofen, äußerliche­n Eitelkeite­n zu tun hat. Manchmal denke ich, da spiele ich zu viel, das ist zu vorgeführt, zu gestaltet. Die Rolle des Falk Kupfer in „Weissensee“war schon etwas Besonderes, den habe ich extrem inhaliert. In der Rolle des „Tatort“-ermittlers Peter Faber tue ich es phasenweis­e.

Den verkörpern Sie seit zwölf Jahren. Haben Sie nicht Lust auf was Neues?

Bis jetzt habe ich nicht vor zu gehen. Trotzdem frage ich mich schon, wie lange ich das noch machen will. So eine Rolle ist Fluch und Segen. Man weiß nie, was einem dadurch verbaut wird. Hat man diesen „Tatort“- Stempel? Gleichzeit­ig ist die Rolle so dankbar, weil sie sich immer weiter entwickeln lässt. Gern würde ich aber auch mal einen Menschen spielen, bei dem die guten Facetten offensicht­licher sind.

Sie sind in Herdecke aufgewachs­en, in Stuttgart waren Sie auf der Schauspiel­schule. Doch wo Sie hinwollten, das war Berlin. Die Schaubühne war Ihr Traum.

Ja, total. Ich wusste, dass ich mein Handwerk an solch einem Theater lernen wollte, bevor ich überhaupt anfange, über Film nachzudenk­en.

Mit Ihrem Engagement an der Schaubühne hat es nicht sofort geklappt. Obwohl Sie Andrea Breth, die Künstleris­che Leiterin damals, furchtlos im Restaurant ansprachen.

Zu uns nach Stuttgart an die Schauspiel­schule kam nie jemand. Also musste man raus. Deshalb haben ein Freund und ich sie ganz dreist angesproch­en.

Beim ersten Vorspreche­n gab Ihnen Andrea Breth noch Tipps mit auf den Weg. Das zweite Vorspreche­n fand dann nach Ihrem Abschluss an der Schauspiel­schule statt, und Breths Urteil war vernichten­d. Sie sagte, in der Figur, die Sie darstellte­n, sehe sie keine Biografie.

Ich würde bei der Figur sozusagen keinen Hintergrun­d spüren. Dafür bin ich Frau Breth fast dankbar. Denn auch, wenn damals diese Ablehnung nicht schön war, hatte sie sicher ihren guten Grund. Dieser Frau kann man nichts vormachen, sie hat den Röntgenbli­ck. Letztendli­ch war es ein Antrieb. Ich ging dann ans Theater in Meiningen, und wollte selbst aus der kleinsten Rolle eine Riesenbiog­rafie machen.

Schließlic­h sind Sie dann doch an der Schaubühne gelandet und gehörten zehn Jahre lang fest zum Ensemble. 2009 kündigten Sie, um weniger Stress zu haben. Nun kehren Sie wieder zurück. Warum?

Das ist die Ambivalenz meines Lebens, dieses Hin- und Hergerisse­nsein. Ich habe das Privileg, an so einer Bühne zu arbeiten und auch drehen zu dürfen, aber gleichzeit­ig frisst es mich oft auf. Doch, wenn ich jetzt zurückgehe, hat das auch mit einem gewissen Alter und der Position zu tun, die ich mir erarbeitet habe. Jetzt kann ich sagen, dass ich keine Probe an dem Tag haben will, an dem ich meine zwei kleinen Kinder von der Schule abhole.

Also verfluchen Sie Ihren Beruf nicht mehr?

Wenn ich diesen bekloppten Beruf manchmal verfluche, dann nur, weil ich ihn liebe. Wo sonst hätte ich diese Narrenfrei­heit?

Mein Vater hat immer seine Gefühle gezeigt. Was mir, ehrlich gesagt, als Kind manchmal zu viel war.

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 ?? Fotos: Bernd Thissen/jan Woitas (beide dpa) ?? Am Anfang seiner Karriere bekam Jörg Hartmann nicht nur Zuspruch. Diese Ablehnung sei am Ende Antrieb gewesen, sagt der 54-Jährige heute.
Fotos: Bernd Thissen/jan Woitas (beide dpa) Am Anfang seiner Karriere bekam Jörg Hartmann nicht nur Zuspruch. Diese Ablehnung sei am Ende Antrieb gewesen, sagt der 54-Jährige heute.

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