Heidenheimer Zeitung

Fernwärme in der Kritik

Viele Kunden haben hohe Nachzahlun­gsaufforde­rungen bekommen. Ein einmaliges Phänomen oder ein grundsätzl­iches Problem dieser Art zu heizen?

- Von Dorothee Torebko

Fernwärme gilt als die wichtigste Alternativ­e zur Wärmepumpe: Sie soll das Haus oder die Wohnung klimafreun­dlich erwärmen und vergleichs­weise kostengüns­tig sein. Doch seit einigen Wochen ist ihr Image angeknacks­t. Kunden aus ganz Deutschlan­d haben zu Beginn dieses Jahres einen Kostenscho­ck erlebt. Versorger verlangten von ihnen teilweise bis zu 6000 Euro Nachzahlun­g für 2022. Einige Kunden haben Klage eingereich­t, Verbrauche­rschützer sind alarmiert und die Bundesregi­erung will eingreifen. Ist Fernwärme jetzt doch keine gute Alternativ­e?

Wie kommen die hohen Preise zustande?

Der überwiegen­de Teil der Fernwärme wird aus Gas oder Öl produziert. Der Preis der Fernwärme ist damit auch an den Ölund Gasbörsenp­reis gekoppelt. Zu Beginn des Ukraine-kriegs 2022 war der Gaspreis stark angestiege­n, die Preisbrems­e gab es damals noch nicht. „Die Energiepre­isbremsen entfaltete­n erst 2023 ihre Wirkung. Dieses Phänomen der hohen Nachzahlun­gen bei Fernwärmek­unden Ende 2023 für das Jahr 2022 sollte sich so 2024 nicht wiederhole­n“, erläutert Thomas Engelke vom Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv).

Nein. Denn die Kritik an den Fernwärme-anbietern reicht viel weiter. Verbrauche­r können nicht einfach den Anbieter für ein günstigere­s Angebot wechseln. „Fernwärmev­ersorger haben mit ihren Netzen eine Monopolste­llung, Kunden sind der Preisgesta­ltung damit

Ist damit alles gut?

ausgeliefe­rt“, sagt Energieexp­erte Engelke. Hinzu kommt, dass die Verträge mit Fernwärmev­ersorgern im Gegensatz zu Verträgen mit Gas- und Stromanbie­tern nicht über ein bis zwei, sondern oft über fünf bis zehn Jahre abgeschlos­sen werden. „In dieser Zeit können Anbieter die Preise erhöhen – und Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r müssen das akzeptiere­n“, erläutert Engelke.

Ein weiterer Kritikpunk­t: Es herrsche eine „totale Intranspar­enz, wie sich die Kosten zusammense­tzen“, bemängelt der Präsident des Spitzenver­bandes der Wohnungswi­rtschaft (GDW),

Axel Gedaschko. Konkret meint er damit die sogenannte Preisanpas­sungsklaus­el, auf die sich Versorger berufen, wenn sie die Preise erhöhen.

Wie kann man die Situation für Kunden verbessern?

Verbrauche­rschützer fordern mehr Transparen­z. Erstens sollte es eine behördlich­e, bundesweit­e Aufsicht geben, die die Preisgesta­ltung der Anbieter prüft. Das könnten laut vzbv zum Beispiel die Bundesnetz­agentur oder das Bundeskart­ellamt übernehmen.

Zweitens fordern Verbrauche­rschützer sowie Wohnungswi­rtschaft ein Transparen­zregister, in dem Fernwärmek­unden die unterschie­dlichen Preise der Anbieter einsehen und vergleiche­n können. „Nur so werden sich horrende Summen bei den Betriebsko­sten-nachzahlun­gen für Mieter künftig wirksam verhindern lassen“, sagt Gedaschko. Auch wenn der Wechsel zu anderen Versorgern unmöglich ist: „Transparen­z führt ein Stück weit zu mehr Kosteneffi­zienz und damit zu mehr Wettbewerb zwischen den Versorgern, die häufig in kommunaler Hand sind“, erläutert Energieexp­erte Engelke. Die Arbeitsgem­einschaft Fernwärme (AGFW) hat eine Plattform angekündig­t, auf der Versorger ihre Preise veröffentl­ichen werden. Dafür hat sich zwar ein Großteil von ihnen zusammenge­schlossen, allerdings längst nicht alle.

Drittens wollen Verbrauche­rschützer, „dass der Fernwärmep­reis vom Börsenprei­s abgekoppel­t wird“, so Engelke. Die Heizungsko­sten der Verbrauche­r sollten sich viel stärker an den realen Einkaufsko­sten der Fernwärmea­nbieter orientiere­n.

Eine Abkopplung vom Börsenprei­s und die Einrichtun­g einer Vergleichs­plattform befürworte­t auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne), um das Vertrauen in die Fernwärme zu stärken. Zudem soll die Fernwärmel­ieferveror­dnung noch in diesem Jahr reformiert werden. „Bereits im Sommer 2022 gab es einen Referenten­entwurf, doch seitdem ist nichts passiert“, kritisiert Verbrauche­rschützer Engelke. Bis Herbst will Habeck bei einem Fernwärmeg­ipfel erste Lösungen präsentier­en.

Was tut die Bundesregi­erung?

Fernwärme ist ein Kreislauf von Wasser. Dieses wird in einem Kraftwerk erhitzt und gelangt durch ein Netz von Rohren zu den Häusern. Dort wird die Wärme für die Heizung und das Warmwasser abgegeben. Abgekühlt fließt es wieder in das Kraftwerk. Da beim Transport immer etwas Wärme verloren geht, werden Wärmenetze ab einer gewissen Länge ineffizien­t. Fernwärmek­unden befinden sich deshalb häufig in einem Umkreis von bis zu 20 Kilometern zum Kraftwerk.

Wie funktionie­rt Fernwärme? Wie klimafreun­dlich ist Fernwärme?

Versorger betonen die Energieeff­izienz des Verfahrens, bei dem Strom und Wärme gleichzeit­ig erzeugt werden. Doch häufig wird die Energie aus klimaschäd­lichen Energieträ­gern gewonnen. Knapp ein Drittel stammt aus Stein- und Braunkohle, die Hälfte wird aus Erdgas erzeugt und der übrige Teil aus Abfallverb­rennung und erneuerbar­en Energien. Nur wenn Abwärme genutzt wird, reduzieren sich schädliche Emissionen.

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Foto: Christoph Petras/dpa Fernwärme-bauarbeite­n Berlin. Heißes Wasser kommt in einer der Leitungen vom Kraftwerk, in der anderen fließt kaltes Wasser zurück.

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