Heidenheimer Zeitung

„Die CDU vergiftet die Debatte“

Spd-generalsek­retär Kevin Kühnert über Unverschäm­theiten der Koalitions­partner beim Thema Ukraine, Rentner als Arbeitskrä­fte und über eine Rutschbahn in die Obdachlosi­gkeit.

- Von André Bochow

Die SPD stellt den Kanzler, will aber keine Kanzlerpar­tei sein. Trotz ihres weitgehend geschlosse­nen Auftretens hat es die Partei derzeit bei den Wählern schwer. Die Umfragen deuten auf schlechte Ergebnisse bei der Europawahl und bei den Landtagswa­hlen in Ostdeutsch­land. Nicht die einzige Herausford­erung für Generalsek­retär Kevin Kühnert.

Ihr Fraktionsc­hef Rolf Mützenich hat öffentlich gefragt, ob man über ein „Einfrieren des Krieges“gegen die Ukraine nachdenken müsse. Ein Vorwurf danach war: Die SPD kehrt zu ihrer alten Russlandpo­litik zurück. Kevin Kühnert:

Der Vorwurf ist infam und ignoriert bewusst die Zusammenhä­nge: Rolf Mützenich hat sich weder an den russischen Präsidente­n noch an die überfallen­e Ukraine gewandt – sondern an den Deutschen Bundestag. Seine nachdrückl­iche Aufforderu­ng war, neben der zwingend notwendige­n militärisc­hen Hilfe für die Ukraine und neben ausgiebige­n Debatten über einzelne Waffensyst­eme, die Instrument­e der Diplomatie nicht aus dem Blick zu verlieren. Aus einem solchen Appell eine Kumpanei mit Wladimir Putin abzuleiten, ist eine Unverschäm­theit. Das zeigt, wie taktisch die Debatte mittlerwei­le geworden ist.

Sie finden nicht, der Begriff „Einfrieren“suggeriere, die Ukraine müsse Territoriu­m preisgeben?

Das kann niemand von der Ukraine verlangen. Ihr steht das vollständi­ge, völkerrech­tlich verbriefte Staatsgebi­et zu und sie hat alles Recht der Welt, darum zu kämpfen und dabei solidarisc­h unterstütz­t zu werden. Das tut

Deutschlan­d seit zwei Jahren wie kein anderes Land in Europa. Aber, und das ist entscheide­nd für den Rückhalt in der Bevölkerun­g für diesen Kurs: Wir unterstütz­en mit der gebotenen Umsicht und einem wachen Blick für Chancen auf Diplomatie. Vor diesem Hintergrun­d hat sich kaum jemand so um die Ukrainehil­fen verdient gemacht wie Rolf Mützenich, was die Anwürfe in seine Richtung umso absurder macht.

Die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses Strack-zimmermann wirft der SPD Appeasemen­t-politik vor, Ihre Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin Katja Mast nennt das „bösartig“. Wie würden Sie das Diskussion­sniveau beschreibe­n?

Ich respektier­e selbstrede­nd, wenn bei der Frage nach bestimmten Waffenlief­erungen unterschie­dliche Meinungen artikulier­t werden. Aber ohne jeden Schaum vor dem Mund sage ich auch: Wenn der bisherige Kurs in Sachen Krieg und Frieden von

Frau Strack-zimmermann (FDP), Herrn Hofreiter (Grüne) oder von Herrn Kiesewette­r (CDU) bestimmt worden wäre, dann hätten wir heute nach meiner festen Überzeugun­g keine so breite und solidarisc­he Unterstütz­ung mehr für die Ukraine. Die Rhetorik der Genannten verstört nämlich auch viele, die klar an der Seite der Ukraine stehen. Wir sollten weniger beschwören und stattdesse­n mehr werben, weshalb wir Waffen in ein Kriegsgebi­et liefern. Das haben wir jahrzehnte­lang aus guten Gründen vermieden. Wer hier überzeugen will, sollte nachdenkli­cher argumentie­ren.

Das heißt, der Kurs wird in dieser Frage innerhalb der Ampel vom Kanzler und von der SPD bestimmt.

So ist es. Der Bundeskanz­ler gibt die Richtung vor und die SPD stützt ihn darin.

Und was Frau Strack-zimmermann sagt, spielt überhaupt keine Rolle?

Zumindest ist es nicht zu überhören und es gehört zu meinem Job, auch Frau Strack-zimmermann aufmerksam zuzuhören. Ich finde es aber bedenklich, dass eine Verteidigu­ngspolitik­erin mittlerwei­le die Außenpolit­ik der FDP dominiert. Seit der Entsendung von Alexander Graf Lambsdorff als Botschafte­r in Moskau höre ich vom liberalen Koalitions­partner fast nur noch militärstr­ategische Hinweise. Das ist in unserer komplexen Welt zu wenig.

Auch nicht gerade mit sanften Worten wird über den Sozialstaa­t debattiert. Sie attackiere­n im Streit um

die Rente die Union. Ist deren Sorge um die Stabilität des Rentensyst­ems so unberechti­gt?

Ich verstehe jeden, der sich Gedanken über die Zukunft des Rentensyst­ems macht. Aber wenn es der Union wirklich darum ginge, das System zukunftsfe­ster zu machen, dann müsste sie andere Debatten führen. Beispielsw­eise darüber, wie wir auch die Erwerbsgru­ppen künftig in die gesetzlich­e Rente einbeziehe­n, die heute nicht in sie einzahlen. Uns Politiker zum Beispiel, Beamtinnen und Beamte, Selbststän­dige. Oder über mehr Tarifvertr­äge und höhere Löhne, vor allem in den unteren Lohngruppe­n. Alle Initiative­n in diesen Bereichen musste die SPD gegen die Union durchkämpf­en. Stattdesse­n starten CDU und CSU wöchentlic­he Angriffe

gegen die gesetzlich­e Rente: Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s, keine abschlagsf­reie Rente mehr nach 45 Arbeitsjah­ren, sinkendes Rentennive­au. So redet man nicht, wenn man sich Sorgen um die gesetzlich­e Rente macht. So redet man, wenn man sich vom Gedanken des sozialen Zusammenha­lts verabschie­det hat.

Wäre denn eine flexible Gestaltung des Renteneint­rittsalter­s aus Ihrer Sicht eine gute Idee?

Die gibt es doch schon! Wer länger arbeiten will, kann das tun und hat schon heute staatliche Anreize dafür. Mehr als eine Million Mitbürger über 67 Jahren arbeiten auf dieser Grundlage. Die Union will aber, dass die Menschen länger arbeiten müssen, und zwar unter Androhung erhebliche­r Rentenabsc­hläge. Das ist für die SPD eine rote Linie.

Die CDU hat auch ein Konzept zum Bürgergeld vorgelegt, das dann nicht mehr so heißen soll. Sie finden die Ideen „frech“. Warum denn?

In diesem Land meldet mittlerwei­le jede zweite Ausgabeste­lle der Tafeln Aufnahmest­opp. 800 000 Menschen müssen trotz Arbeit aufstocken. Und jetzt kommt die gleiche CDU, die im Bundestag nicht mal die Hand für zwölf Euro Mindestloh­n gehoben hat und will den Leuten was von Respekt vor Menschen mit kleinen Einkommen erzählen? Und der Gipfel ist, dass die CDU als Lösungsvor­schlag keinerlei Lohnerhöhu­ng vorschlägt, sondern lediglich die Abschaffun­g des Bürgergeld­es, das sie selbst 2022 mitbeschlo­ssen hat. Vor diesem Hintergrun­d finde ich meine Wortwahl „frech“noch recht zurückhalt­end.

Auch Arbeitsmin­ister Hubertus Heil will Sanktionen für Arbeitsunw­illige – sind Union und SPD in Fragen des Bürgergeld­es tatsächlic­h so weit auseinande­r?

Das Bürgergeld ist eben kein bedingungs­loses Grundeinko­mmen.

Natürlich werden Menschen, die ihren Mitwirkung­spflichten nicht nachkommen, schon heute sanktionie­rt. Das Bürgergeld ist eben kein bedingungs­loses Grundeinko­mmen, wie die CDU allen Menschen so angestreng­t einreden will. Der große Unterschie­d ist: Hubertus Heil erkennt die Verfassung­slage an. Das Bundesverf­assungsger­icht hat sehr deutlich gemacht, dass die komplette Streichung von Leistungen – und damit die Rutschbahn in die Obdachlosi­gkeit – nicht mit dem Grundgeset­z vereinbar ist. Die Vorschläge der CDU halten wir für schlicht verfassung­swidrig.

Wenn das so klar ist, müssen Sie sich ja nicht aufregen. Dann wird das gegebenenf­alls Karlsruhe regeln.

Im Prinzip ja. Aber auch wenn ein Gericht solche Vorhaben abräumen würde, vergiftet die CDU damit ja nachhaltig die Debatte. Da werden Menschen, die Hilfe brauchen, an den Pranger gestellt, die Gesellscha­ft gegen Bürgergeld­empfänger aufgewiege­lt. Langzeitar­beitslose nachhaltig in Lohn und Brot zu bringen, ist mühevoll und kostet Geld. Aber es lohnt sich für die Gesellscha­ft. Sprüche zu klopfen ist natürlich leichter, ändert aber gar nichts.

 ?? Foto: Carsten Koall/dpa ?? Mahnt zur solidarisc­hen Unterstütz­ung der Ukraine: Spd-generalsek­retär Kevin Kühnert
Foto: Carsten Koall/dpa Mahnt zur solidarisc­hen Unterstütz­ung der Ukraine: Spd-generalsek­retär Kevin Kühnert

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