„Die CDU vergiftet die Debatte“
Spd-generalsekretär Kevin Kühnert über Unverschämtheiten der Koalitionspartner beim Thema Ukraine, Rentner als Arbeitskräfte und über eine Rutschbahn in die Obdachlosigkeit.
Die SPD stellt den Kanzler, will aber keine Kanzlerpartei sein. Trotz ihres weitgehend geschlossenen Auftretens hat es die Partei derzeit bei den Wählern schwer. Die Umfragen deuten auf schlechte Ergebnisse bei der Europawahl und bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Nicht die einzige Herausforderung für Generalsekretär Kevin Kühnert.
Ihr Fraktionschef Rolf Mützenich hat öffentlich gefragt, ob man über ein „Einfrieren des Krieges“gegen die Ukraine nachdenken müsse. Ein Vorwurf danach war: Die SPD kehrt zu ihrer alten Russlandpolitik zurück. Kevin Kühnert:
Der Vorwurf ist infam und ignoriert bewusst die Zusammenhänge: Rolf Mützenich hat sich weder an den russischen Präsidenten noch an die überfallene Ukraine gewandt – sondern an den Deutschen Bundestag. Seine nachdrückliche Aufforderung war, neben der zwingend notwendigen militärischen Hilfe für die Ukraine und neben ausgiebigen Debatten über einzelne Waffensysteme, die Instrumente der Diplomatie nicht aus dem Blick zu verlieren. Aus einem solchen Appell eine Kumpanei mit Wladimir Putin abzuleiten, ist eine Unverschämtheit. Das zeigt, wie taktisch die Debatte mittlerweile geworden ist.
Sie finden nicht, der Begriff „Einfrieren“suggeriere, die Ukraine müsse Territorium preisgeben?
Das kann niemand von der Ukraine verlangen. Ihr steht das vollständige, völkerrechtlich verbriefte Staatsgebiet zu und sie hat alles Recht der Welt, darum zu kämpfen und dabei solidarisch unterstützt zu werden. Das tut
Deutschland seit zwei Jahren wie kein anderes Land in Europa. Aber, und das ist entscheidend für den Rückhalt in der Bevölkerung für diesen Kurs: Wir unterstützen mit der gebotenen Umsicht und einem wachen Blick für Chancen auf Diplomatie. Vor diesem Hintergrund hat sich kaum jemand so um die Ukrainehilfen verdient gemacht wie Rolf Mützenich, was die Anwürfe in seine Richtung umso absurder macht.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Strack-zimmermann wirft der SPD Appeasement-politik vor, Ihre Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast nennt das „bösartig“. Wie würden Sie das Diskussionsniveau beschreiben?
Ich respektiere selbstredend, wenn bei der Frage nach bestimmten Waffenlieferungen unterschiedliche Meinungen artikuliert werden. Aber ohne jeden Schaum vor dem Mund sage ich auch: Wenn der bisherige Kurs in Sachen Krieg und Frieden von
Frau Strack-zimmermann (FDP), Herrn Hofreiter (Grüne) oder von Herrn Kiesewetter (CDU) bestimmt worden wäre, dann hätten wir heute nach meiner festen Überzeugung keine so breite und solidarische Unterstützung mehr für die Ukraine. Die Rhetorik der Genannten verstört nämlich auch viele, die klar an der Seite der Ukraine stehen. Wir sollten weniger beschwören und stattdessen mehr werben, weshalb wir Waffen in ein Kriegsgebiet liefern. Das haben wir jahrzehntelang aus guten Gründen vermieden. Wer hier überzeugen will, sollte nachdenklicher argumentieren.
Das heißt, der Kurs wird in dieser Frage innerhalb der Ampel vom Kanzler und von der SPD bestimmt.
So ist es. Der Bundeskanzler gibt die Richtung vor und die SPD stützt ihn darin.
Und was Frau Strack-zimmermann sagt, spielt überhaupt keine Rolle?
Zumindest ist es nicht zu überhören und es gehört zu meinem Job, auch Frau Strack-zimmermann aufmerksam zuzuhören. Ich finde es aber bedenklich, dass eine Verteidigungspolitikerin mittlerweile die Außenpolitik der FDP dominiert. Seit der Entsendung von Alexander Graf Lambsdorff als Botschafter in Moskau höre ich vom liberalen Koalitionspartner fast nur noch militärstrategische Hinweise. Das ist in unserer komplexen Welt zu wenig.
Auch nicht gerade mit sanften Worten wird über den Sozialstaat debattiert. Sie attackieren im Streit um
die Rente die Union. Ist deren Sorge um die Stabilität des Rentensystems so unberechtigt?
Ich verstehe jeden, der sich Gedanken über die Zukunft des Rentensystems macht. Aber wenn es der Union wirklich darum ginge, das System zukunftsfester zu machen, dann müsste sie andere Debatten führen. Beispielsweise darüber, wie wir auch die Erwerbsgruppen künftig in die gesetzliche Rente einbeziehen, die heute nicht in sie einzahlen. Uns Politiker zum Beispiel, Beamtinnen und Beamte, Selbstständige. Oder über mehr Tarifverträge und höhere Löhne, vor allem in den unteren Lohngruppen. Alle Initiativen in diesen Bereichen musste die SPD gegen die Union durchkämpfen. Stattdessen starten CDU und CSU wöchentliche Angriffe
gegen die gesetzliche Rente: Erhöhung des Renteneintrittsalters, keine abschlagsfreie Rente mehr nach 45 Arbeitsjahren, sinkendes Rentenniveau. So redet man nicht, wenn man sich Sorgen um die gesetzliche Rente macht. So redet man, wenn man sich vom Gedanken des sozialen Zusammenhalts verabschiedet hat.
Wäre denn eine flexible Gestaltung des Renteneintrittsalters aus Ihrer Sicht eine gute Idee?
Die gibt es doch schon! Wer länger arbeiten will, kann das tun und hat schon heute staatliche Anreize dafür. Mehr als eine Million Mitbürger über 67 Jahren arbeiten auf dieser Grundlage. Die Union will aber, dass die Menschen länger arbeiten müssen, und zwar unter Androhung erheblicher Rentenabschläge. Das ist für die SPD eine rote Linie.
Die CDU hat auch ein Konzept zum Bürgergeld vorgelegt, das dann nicht mehr so heißen soll. Sie finden die Ideen „frech“. Warum denn?
In diesem Land meldet mittlerweile jede zweite Ausgabestelle der Tafeln Aufnahmestopp. 800 000 Menschen müssen trotz Arbeit aufstocken. Und jetzt kommt die gleiche CDU, die im Bundestag nicht mal die Hand für zwölf Euro Mindestlohn gehoben hat und will den Leuten was von Respekt vor Menschen mit kleinen Einkommen erzählen? Und der Gipfel ist, dass die CDU als Lösungsvorschlag keinerlei Lohnerhöhung vorschlägt, sondern lediglich die Abschaffung des Bürgergeldes, das sie selbst 2022 mitbeschlossen hat. Vor diesem Hintergrund finde ich meine Wortwahl „frech“noch recht zurückhaltend.
Auch Arbeitsminister Hubertus Heil will Sanktionen für Arbeitsunwillige – sind Union und SPD in Fragen des Bürgergeldes tatsächlich so weit auseinander?
Das Bürgergeld ist eben kein bedingungsloses Grundeinkommen.
Natürlich werden Menschen, die ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, schon heute sanktioniert. Das Bürgergeld ist eben kein bedingungsloses Grundeinkommen, wie die CDU allen Menschen so angestrengt einreden will. Der große Unterschied ist: Hubertus Heil erkennt die Verfassungslage an. Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht, dass die komplette Streichung von Leistungen – und damit die Rutschbahn in die Obdachlosigkeit – nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Vorschläge der CDU halten wir für schlicht verfassungswidrig.
Wenn das so klar ist, müssen Sie sich ja nicht aufregen. Dann wird das gegebenenfalls Karlsruhe regeln.
Im Prinzip ja. Aber auch wenn ein Gericht solche Vorhaben abräumen würde, vergiftet die CDU damit ja nachhaltig die Debatte. Da werden Menschen, die Hilfe brauchen, an den Pranger gestellt, die Gesellschaft gegen Bürgergeldempfänger aufgewiegelt. Langzeitarbeitslose nachhaltig in Lohn und Brot zu bringen, ist mühevoll und kostet Geld. Aber es lohnt sich für die Gesellschaft. Sprüche zu klopfen ist natürlich leichter, ändert aber gar nichts.