Suizid einer Ärztin wirft Fragen auf
Jahrelang hat die Frau auf Missstände auf einer Intensivstation im Klinikum Friedrichshafen hingewiesen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen entsprechender Vorwürfe.
Eine Oberärztin am Klinikum Friedrichshafen hatte lange darum gekämpft, gehört zu werden. Aus ihrer Sicht gab es in der internistischen Intensivstation, in der sie als Leitende Oberärztin tätig war, eklatante Missstände. Sie informierte den Chefarzt und die Geschäftsleitung der Klinik am Bodensee, dass Patienten sterben würden, weil Assistenzärztinnen und -ärzte überfordert und das medizinische Personal überlastet seien. Sie wurde nicht gehört. Im Gegenteil. Offenbar war geplant, sie fristlos zu entlassen.
Als der Betriebsrat davon erfuhr, informierte er die Oberärztin. Die reagierte emotional. „Die Arbeit in dieser Intensivstation war ihr Leben“, sagt ihr Anwalt Detlef Kröger. Sie habe ihren Beruf geliebt und für ihn gelebt. Mit der fristlosen Kündigung hätte man ihr alles genommen. Die Oberärztin nimmt sich Anfang Dezember in ihrer Wohnung in Friedrichshafen das Leben. Für Detlef Kröger ist klar, dass sie nur deshalb Suizid begangen hat, damit die Missstände am Klinikum ans Licht kommen „und nicht weiter unter den Teppich gekehrt werden und nicht noch mehr Patienten sterben. Da bin ich mir zu fast 100 Prozent sicher“.
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Ravensburg gegen fünf Ärztinnen und Ärzte, „die teilweise noch im Klinikum Friedrichshafen beschäftigt sind“, teilt die Pressestelle des Klinikums mit. Der Chefarzt, den die Oberärztin immer wieder kontaktiert hat, arbeitet aktuell nicht.
Für die interne Aufarbeitung der Vorwürfe hat der Aufsichtsrat der Klinik eine Anwaltskanzlei beauftragt. „Mit der Durchführung einer eigenen umfassenden Compliance-untersuchung möchte der Aufsichtsrat des Klinikums feststellen, welche Vorwürfe hierbei konkret erhoben wurden und ob diese zutreffend waren“, heißt es in einer Pressemitteilung. Zudem soll ermittelt werden, welche Reaktionen durch Vorgesetzte und die Klinikleitung auf diese Hinweise erfolgten und ob diese zulässig waren.
Die Untersuchung dauert nach Auskunft einer Kliniksprecherin an. Wesentliche Elemente der Untersuchung seien Aufklärungsgespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie die Auswertung von elektronischen Daten und Akten in Papierform. „Die durch die ehemalige Oberärztin des Klinikums erhobenen Vorwürfe sowie die darauf erfolgten
Reaktionen sollen somit möglichst umfassend ermittelt werden“, sagt die Kliniksprecherin. Der Bericht der Anwaltskanzlei wird für Ende Juli 2024 erwartet.
Auch die polizeilichen Ermittlungen gegen fünf Ärztinnen und Ärzte wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, der unterlassenen Hilfeleistung, der Körperverletzung und des Abrechnungsbetrugs sind nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Ravensburg noch nicht abgeschlossen. Die Auswertung der sichergestellten Beweismittel, insbesondere von Daten und Akten, werde noch mehrere Monate andauern, sagt eine Sprecherin. Konkret sollen 250 Patientenakten geprüft werden. Die Kriminalpolizei hat bereits 50 Zeugen vernommen.
Die Oberärztin sei in der Klinik „außerordentlich beliebt“gewesen, sagt Anwalt Detlef Kröger, der seine Kanzlei im bayerischen Illertissen hat. Zu ihrer Beerdigung in Friedrichshafen seien mindestens 200 Trauergäste gekommen. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten positiv über sie gesprochen: „Wenn sie da war, war klar, dass nichts schiefgeht“, hätten viele gesagt. Die Oberärztin habe begonnen, die Vorfälle und Todesfälle in der Intensivstation zu dokumentieren, sagt der Anwalt und berichtet von „nicht hinreichend ausgebildeten“und deshalb völlig überforderten Assistenzärztinnen und -ärzten, die falsche Entscheidungen getroffen hätten. „Deswegen sind Patienten gestorben“, sagt Detlef Kröger. Seine Mandantin habe immer wieder auf die Missstände hingewiesen, geschehen sei nichts, außer dass sie gemobbt worden sei.
Er, Detlef Kröger, habe die von der Oberärztin dokumentierten Fälle an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Er sei an einer seriösen Aufarbeitung der Fälle interessiert, „damit meine Mandantin nicht umsonst gestorben ist“. Die Familie der Oberärztin habe ihn beauftragt, weiter tätig zu sein und dafür zu sorgen, dass die Fälle aufgeklärt werden.