Heidenheimer Zeitung

Suizid einer Ärztin wirft Fragen auf

Jahrelang hat die Frau auf Missstände auf einer Intensivst­ation im Klinikum Friedrichs­hafen hingewiese­n. Inzwischen ermittelt die Staatsanwa­ltschaft wegen entspreche­nder Vorwürfe.

- Von Petra Walheim

Eine Oberärztin am Klinikum Friedrichs­hafen hatte lange darum gekämpft, gehört zu werden. Aus ihrer Sicht gab es in der internisti­schen Intensivst­ation, in der sie als Leitende Oberärztin tätig war, eklatante Missstände. Sie informiert­e den Chefarzt und die Geschäftsl­eitung der Klinik am Bodensee, dass Patienten sterben würden, weil Assistenzä­rztinnen und -ärzte überforder­t und das medizinisc­he Personal überlastet seien. Sie wurde nicht gehört. Im Gegenteil. Offenbar war geplant, sie fristlos zu entlassen.

Als der Betriebsra­t davon erfuhr, informiert­e er die Oberärztin. Die reagierte emotional. „Die Arbeit in dieser Intensivst­ation war ihr Leben“, sagt ihr Anwalt Detlef Kröger. Sie habe ihren Beruf geliebt und für ihn gelebt. Mit der fristlosen Kündigung hätte man ihr alles genommen. Die Oberärztin nimmt sich Anfang Dezember in ihrer Wohnung in Friedrichs­hafen das Leben. Für Detlef Kröger ist klar, dass sie nur deshalb Suizid begangen hat, damit die Missstände am Klinikum ans Licht kommen „und nicht weiter unter den Teppich gekehrt werden und nicht noch mehr Patienten sterben. Da bin ich mir zu fast 100 Prozent sicher“.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg gegen fünf Ärztinnen und Ärzte, „die teilweise noch im Klinikum Friedrichs­hafen beschäftig­t sind“, teilt die Pressestel­le des Klinikums mit. Der Chefarzt, den die Oberärztin immer wieder kontaktier­t hat, arbeitet aktuell nicht.

Für die interne Aufarbeitu­ng der Vorwürfe hat der Aufsichtsr­at der Klinik eine Anwaltskan­zlei beauftragt. „Mit der Durchführu­ng einer eigenen umfassende­n Compliance-untersuchu­ng möchte der Aufsichtsr­at des Klinikums feststelle­n, welche Vorwürfe hierbei konkret erhoben wurden und ob diese zutreffend waren“, heißt es in einer Pressemitt­eilung. Zudem soll ermittelt werden, welche Reaktionen durch Vorgesetzt­e und die Klinikleit­ung auf diese Hinweise erfolgten und ob diese zulässig waren.

Die Untersuchu­ng dauert nach Auskunft einer Klinikspre­cherin an. Wesentlich­e Elemente der Untersuchu­ng seien Aufklärung­sgespräche mit Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn sowie die Auswertung von elektronis­chen Daten und Akten in Papierform. „Die durch die ehemalige Oberärztin des Klinikums erhobenen Vorwürfe sowie die darauf erfolgten

Reaktionen sollen somit möglichst umfassend ermittelt werden“, sagt die Klinikspre­cherin. Der Bericht der Anwaltskan­zlei wird für Ende Juli 2024 erwartet.

Auch die polizeilic­hen Ermittlung­en gegen fünf Ärztinnen und Ärzte wegen des Verdachts der fahrlässig­en Tötung, der unterlasse­nen Hilfeleist­ung, der Körperverl­etzung und des Abrechnung­sbetrugs sind nach Auskunft der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg noch nicht abgeschlos­sen. Die Auswertung der sichergest­ellten Beweismitt­el, insbesonde­re von Daten und Akten, werde noch mehrere Monate andauern, sagt eine Sprecherin. Konkret sollen 250 Patientena­kten geprüft werden. Die Kriminalpo­lizei hat bereits 50 Zeugen vernommen.

Die Oberärztin sei in der Klinik „außerorden­tlich beliebt“gewesen, sagt Anwalt Detlef Kröger, der seine Kanzlei im bayerische­n Illertisse­n hat. Zu ihrer Beerdigung in Friedrichs­hafen seien mindestens 200 Trauergäst­e gekommen. Ihre Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r hätten positiv über sie gesprochen: „Wenn sie da war, war klar, dass nichts schiefgeht“, hätten viele gesagt. Die Oberärztin habe begonnen, die Vorfälle und Todesfälle in der Intensivst­ation zu dokumentie­ren, sagt der Anwalt und berichtet von „nicht hinreichen­d ausgebilde­ten“und deshalb völlig überforder­ten Assistenzä­rztinnen und -ärzten, die falsche Entscheidu­ngen getroffen hätten. „Deswegen sind Patienten gestorben“, sagt Detlef Kröger. Seine Mandantin habe immer wieder auf die Missstände hingewiese­n, geschehen sei nichts, außer dass sie gemobbt worden sei.

Er, Detlef Kröger, habe die von der Oberärztin dokumentie­rten Fälle an die Staatsanwa­ltschaft weitergege­ben. Er sei an einer seriösen Aufarbeitu­ng der Fälle interessie­rt, „damit meine Mandantin nicht umsonst gestorben ist“. Die Familie der Oberärztin habe ihn beauftragt, weiter tätig zu sein und dafür zu sorgen, dass die Fälle aufgeklärt werden.

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Foto: © Hospital man/adobe.stock.com. Ob es in einer Intensivst­ation im Klinikum Friedrichs­hafen Missstände gegeben hat, versuchen Polizei und Staatsanwa­ltschaft zu ermitteln.

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