Heidenheimer Zeitung

Tosen, brausen, wallen, wogen

Im vollen Karlsaal im Herbrechti­nger Kulturzent­rum Kloster glänzte Georg Michael Grau beim zweiten Konzert der Reihe sämtlicher Klavierson­aten von Beethoven. Das Publikum war begeistert.

- Von Marita Kasischke

Der gute Mond, der in einer Volksweise so stille geht, hat in Beethovens Mondschein­sonate eine ganz andere Gangart: Georg Michael Grau war am Sonntag bei seinem zweiten Konzert in der Reihe sämtlicher Klavierson­aten von Beethoven ganz schön gefordert. Das Konzert stand unter dem Titel „Mondschein“und hatte natürlich die gleichnami­ge Sonate, eine der bekanntest­en Beethoven-werke überhaupt, im Programm. Und der bekannte Titel, oder auch das bekannte Können des Pianisten, oder auch beides, sorgte dafür, dass der Karlsaal im Kloster Herbrechti­ngen dicht gefüllt war.

Und das Publikum wurde nicht enttäuscht: Georg Michael Grau gab wieder einmal alles, und wenn man auch seine großartige­n Fähigkeite­n mittlerwei­le kennt, so ist man doch erneut verblüfft, wie er förmlich hineinsink­t in die Kompositio­nen, um diese dann mit größter Intensität zu verströmen. Und dabei macht es Beethoven ja keinem Pianisten einfach: Voluminöse Wucht neben hauchzarte­r Feinheit, und immer wieder ein Tempo, das schon beim Zuhören herausford­ernd ist.

Paralysier­ende Schönheit

Und das gilt eben auch für die Mondschein­sonate, die Beethoven selbst ja gar nicht so benannt hat: Klagend, schwermüti­g und doch von paralysier­ender Schönheit ist der erste Satz, das bekannte Adagio sostenuto, von Georg Michael Grau mit viel Gefühl interpreti­ert, bei dem sich erahnen lässt, warum Beethoven selbst dieser seiner Klavierson­ate cis-moll op. 27 Nr. 2 den Beinamen „gleichsam einer

Fantasie“gab. Die Schönheit der Melancholi­e ist bestens geeignet, auch beim Zuhören, das einem Sog in die Getragenhe­it gleichkomm­t, Fantasien auszulösen, die durch den vergleichs­weise heiteren Hoffnungss­chimmer im Allegretto intensivie­rt werden. Doch Beethoven setzt den Schleuderg­ang ein: Das unglaublic­h hohe Tempo

im Presto agitato reißt sofort aus den eben noch gemütlich eingericht­eten Gedanken stürmisch heraus, fort ist jede Melancholi­e, es tost und braust und wallt und wogt – den Zuhörern im Karlsaal raubt es fast den Atem, so schnell, so kraftvoll und dabei so ausdruckss­tark brachte Grau das Werk auf den Punkt.

Der Mondschein­sonate voraus gingen im Programm drei weitere Sonaten, die nicht minder fordernd waren. Gleich mit der Klavierson­ate A-dur op. 2 Nr. 2 ging es richtig zur Sache. Das Allegro vivace, mochte es auch noch so weich und warm beginnen, mündete doch in aggressive­s Tempo, das auch im Scherzo allegretto gefordert war. Und das Largo appassiona­to zeigte nach dem streichelz­arten Auftakt eine leidenscha­ftliche Härte – auch hier erntete Grau großen Applaus für seine beeindruck­ende Umsetzung. Noch mehr Tempo, ja einen Ritt auf den Tasten erforderte die Klavierson­ate G-dur op. 31 Nr. 2: Das Allegro vivace schnell, expressiv, rhythmisch mit einem furiosen Überraschu­ngsmoment, das Adagio grazioso mit seinen perlenden Läufen und schließlic­h das so harmlos heiter beginnende Rondo Allegretto, das ein geradezu Funken sprühendes Finale bereithält. Es hätte durchaus nicht erstaunt, wenn auch aus Graus Fingern Funken gesprüht hätten, so unglaublic­h schnell wie er hier zu Werke gehen musste.

Zum Programm gehörte auch die Klavierson­ate e-moll op. 90, bei dem Beethoven für den ersten Satz „Mit Lebhaftigk­eit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck“vorsah – kein Problem für Grau, dem sowohl die filigranen wie auch die energiegel­adenen Passagen bestens gelangen. „Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetrage­n“will Beethoven den zweiten Satz haben: Tatsächlic­h liegt etwas Volksliedh­aftes in diesem Satz, und womöglich könnte man, wäre man Hochgeschw­indigkeits­sänger, sogar mitsingen. Denn auch die Unbeschwer­theit im Anfang führt letztlich zu voller Rasanz – und auch hier brilliert Grau abermals.

Tempo und Leidenscha­ft

Georg Michael Grau ist schon ein Phänomen: Nicht nur, dass er von einer Hochform zur anderen nur kurze Pausen benötigt – mal abgesehen von der größeren Pause, die auch die Zuhörer gut brauchen können, so sehr ist man von Tempo und Leidenscha­ft mitgerisse­n. Darüber hinaus ist Grau am Mittwoch zum dritten Mal Vater geworden, für andere mag es ein Grund sein, ein Konzert abzusagen, zumal ein so gehaltvoll­es, aber nicht für Grau.

Letztlich stellten sich nach dem Konzert noch drei Fragen, eine davon wurde von Georg Michael Grau sogleich durch schlüssige­s Handeln beantworte­t: Darf man nach solchen Höchstleis­tungen noch eine Zugabe verlangen? Und da trat der Gefeierte auch schon an den Flügel, um das Publikum mit einem weiteren Beethovenk­lassiker zu beglücken: Der langsame Satz aus der Klavierson­ate c-moll op. 13 war das Geschenk an das hingerisse­ne Publikum.

Die zweite Frage, wie denn das Umblättern bei Noten via Tablet funktionie­rt, ist schnell mit dem Verweis auf das Pedal beantworte­t, mit dem der Pianist die Noten selbst blättert. Und schließlic­h die dritte Frage: Warum heißt denn die Mondschein­sonate überhaupt Mondschein­sonate, wenn Beethoven selbst doch anders betitelt hatte? Tatsächlic­h hat Beethoven selbst diesen Namen nicht mehr erlebt. Zu seiner Zeit sprach man noch von der „Laubensona­te“, weil das Gerücht ging, Beethoven habe den ersten Satz in einer Laube improvisie­rt. Die heute populäre Bezeichnun­g geht auf den Musikkriti­ker Ludwig Rellstab zurück, der rund 30 Jahre nach der Veröffentl­ichung in der Kompositio­n eine Barke sah, mit der er bei Mondschein die wilden Seiten des Vierwaldst­ättersees in der Schweiz besuchte. Wo der Mond wohl auch nicht so stille geht.

 ?? ??
 ?? Foto: Markus Brandhuber ?? Mit Temperamen­t: Georg Michael Grau im Kulturzent­rum Kloster.
Foto: Markus Brandhuber Mit Temperamen­t: Georg Michael Grau im Kulturzent­rum Kloster.

Newspapers in German

Newspapers from Germany