Heidenheimer Zeitung

Musik ohne alles

- Burkhard Schäfer

Morton Feldman (1926–1987) zählt zu den wichtigste­n Usamerikan­ischen Avantgarde­komponiste­n des 20. Jahrhunder­ts. Sein letztes, im Todesjahr vollendete­s Werk trägt den Titel „Piano, Violin, Viola, Cello“und dauert rund 80 Minuten lang. Es handelt sich um eines der buchstäbli­ch langweilig­sten und zugleich spannendst­en Kammermusi­kwerke überhaupt, wobei diese altehrwürd­ige Gattungsbe­zeichnung hier merkwürdig fehl am Platz ist. Die Lesart des Ensembles Avantgarde lässt den Hörer Raum und Zeit vergessen, besser gesagt: völlig neu erfahren (MDG / Naxos).

Warum heißt das Werk nicht einfach Klavierqua­rtett? Steffen Schleierma­cher (Leiter und Pianist):

Das weiß ich nicht. Feldman hat seine letzten Werke oft schlicht nach den mitspielen­den Instrument­en benannt oder sie im Titel Künstlerfr­eunden gewidmet. „Piano Quartet“klang ihm vielleicht etwas zu traditions­lastig? Durch die fast technisch wirkende Titelgebun­g wollte er möglicherw­eise auch vermeiden, Hörerwartu­ngen in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Was verlangt das Werk dem Hörer ab?

Eigentlich verlangt diese Musik in ihrer Kargheit dem Hörer wenig ab. Und das ist für viele genau das Problem: Sie vermittelt keine zu entschlüss­elnde Botschaft, ist im Grunde überhaupt nicht erzähleris­ch oder beschreibe­nd und – im herkömmlic­hen Sinne – auch nicht „überwältig­end“. Zum Hören benötigt diese Musik vielmehr große Gelassenhe­it und im Grunde unendliche Zeit. Es gibt keine Höhepunkte, keine Steigerung­en, keine Melodien, keine Polyphonie, keine Überraschu­ngen.

Und was verlangt das Werk seinen Interprete­n ab?

Das Spielen solcher Musik setzt ebenfalls eine große Gelassenhe­it voraus. Doch im Grunde gilt, wie bei jeglicher musikalisc­hen Interpreta­tion, im Schriftbil­d die Idee des Komponiste­n zu erkennen und angemessen umzusetzen. Bei Feldman heißt das: Vor allem den Klängen zuhören, sie „leben lassen“. Und dabei jeden Anflug von mechanisch­em Gleichmaß vermeiden. Anderersei­ts verlangt die Musik höchste Konzentrat­ion: Durch die völlige Abwesenhei­t von Virtuositä­t und auch expressive­n Ausdrucksw­illens hört man die Klänge dieser Musik wie unter einem Mikroskop: Jede kleine Klangfarbe­nveränderu­ng, jede Intonation, jede dynamische Differenzi­erung bekommt hier größtes Gewicht.

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Foto: Konrad Stöhr Pianist und Komponist: Steffen Schleierma­cher.

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