Heidenheimer Zeitung

Narben, die noch immer schmerzen

In „Nochmal von vorne“schreibt Dana von Suffrin über modernes jüdisches Leben zwischen München und Tel Aviv.

- Kristina Schmidl

Die Geschichte der Familie Jeruscher, die Dana von Suffrin in ihrem Roman „Nochmal von vorne“erzählt, ist ein einziges Durcheinan­der aus Streiterei­en, versuchten und gelungenen Fluchten, enttäuscht­en Hoffnungen und dem vergeblich­en Versuch, irgendwo heimisch zu werden. Als ihr Vater an Krebs stirbt, ist die fulminante Ich-erzählerin Rosa mit dieser Familienge­schichte, die nie jemand erzählen wollte, plötzlich ganz alleine. Als sie die Wohnung des Vaters auflösen muss, kommen in ihr Gefühle und Gedanken hoch, von denen sie heilfroh war, dass sie geruht hatten.

Rosa ist, genau wie die Autorin, Tochter einer bayerische­n Mutter und eines jüdischen Vaters, und erinnert sich an ihre aberwitzig­e Kindheit in den 1990ern. An das Scheitern der Ehe ihrer Eltern, die Verwandtsc­haft in Israel, den Tod ihrer Mutter und an ihre ältere Schwester Nadja, die immer verschwund­en war, wenn man sie gebraucht hätte, und mit der Rosa mehrfach gebrochen hat. Auch als ihr Vater schwerkran­k war, musste Rosa sich alleine um ihn kümmern.

Es sind schwere Themen, die Dana von Suffrin tiefgründi­g, aber erstaunlic­h leichtfüßi­g behandelt, was die schmerzend­en Narben erträglich macht. Der Erzähldukt­us changiert zwischen Wehmut und Spott. Voll bitterer Ironie und stets brutal ehrlich, versucht die Autorin, die komplexe Dynamik einer deutsch-jüdischen Familie zu ergründen, die sich zwischen München und Tel Aviv fast verliert.

Vom Holocaust besessen

Im Titel klingt Rosas Vorhaben an, zumindest im Nachhinein Ordnung in ihre Familienge­schichte zu bringen. Sie versucht, aus traurigen Erinnerung­en und Lücken eine kohärente Familienge­schichte zu stricken. „Nochmal von vorne“– das lässt auch den paradoxen Wunsch anklingen, die Geschichte gar korrigiere­n zu können.

In ihrem gelungenen Roman, in den sie Anekdoten aus der Weltgeschi­chte einflicht, beschreibt die promoviert­e Historiker­in, wie sich Geschichte über Generation­en hinweg in Menschen einbrennt. Während Rosas Mutter ständig über den Holocaust und die Schuld der Deutschen spricht, ohne die Schuld ihrer Vorfahren ausdrückli­ch zu benennen, schweigt Rosas in Israel geborener Vater. Die Tochter kann nur erahnen, was seine Familie gebrochen hat.

 ?? ?? Dana von Suffrin: Nochmal von vorne. Kiepenheue­r & Witsch, 240 Seiten, 23 Euro.
Dana von Suffrin: Nochmal von vorne. Kiepenheue­r & Witsch, 240 Seiten, 23 Euro.

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