„Wir sind so eine Art Seeungeheuer“
Die Einstürzenden Neubauten reisen mit dem Album „Rampen“zurück in die eigene Zukunft. Ihr Sänger Blixa Bargeld erzählt, wie es dazu kam – und was „alien pop music“bedeutet.
Die Einstürzenden Neubauten sind seit ihrer Gründung am 1. April 1980 ein popmusikalisches Phänomen zwischen Melancholie und Kunstlärm, dem sogenannten Mainstream und Subkultur sowie Poesie und dem nie gesprochenen Wort. Im Interview erklärt Blixa Bargeld, Sänger des Berliner Quintetts, wie es im Studio bei den Aufnahmen für das Album „Rampen“auch ohne neu gebautes Instrumentarium gelang, zurück in die eigene Zukunft zu reisen, um dort ein Genre für andere Umlaufbahnen zu entwickeln: „apm – alien pop music“.
Eigentlich passen die „Neubauten“in keine gängige Schublade. Nun haben sie mit „apm – alien pop music“wieder selbst eine aufgezogen. Blixa Bargeld:
Zunächst einmal habe ich mit mir gehadert, ob das Album überhaupt „Rampen“heißen soll. Ich hatte ein wenig Angst, die Tür für Witzeleien wie Rudis Resterampe aufzumachen. Dann dachte ich, es wäre wieder einmal an der Zeit, einen neuen Genrebegriff zu kreieren wie einst die Genialen Dilettanten. Früher gab es einen Pop-mainstream, heute gibt es Popmusik, die durchaus an Populismus angrenzt. Und es gibt auf diesem Planeten Außerirdische, mich zum Beispiel, die ihre eigene Popmusik brauchen – eben apm.
Sind Sie, was die Popmusik betrifft, bisweilen auch von dieser Welt?
Ich habe von aktuellen Stars der Popmusik wie Adele oder Taylor Swift bisher nicht einen Ton Musik gehört. Nur Billie Eilish läuft bei Autofahrten mit meinem Sohn, und ihre Musik finde ich auch höchst interessant und gut gemacht.
44 Jahre sind eine lange Zeit für eine Band. Sind die „Neubauten“eine eingeschworene Bande oder eine Arbeitsgemeinschaft für immer neue Musikentdeckungen?
Alex Hacke hat das einmal ganz gut beschrieben: Wir sind so eine Art Seeungeheuer, das alle paar Jahre auftaucht, ein paar Schiffe verschlingt und hohe Wellen schlägt, um dann wieder in der Tiefsee zu verschwinden und keiner glaubt es, dass es uns überhaupt noch gibt.
Was steckt hinter dem Stück „Wie lange noch?“
„Alles schon geschrieben, alles schon gesagt. Wie lange noch?“Diese Zeilen beschreiben die Urangst des Künstlers, der nur aus sich selbst schöpfen kann, und mein Widerstreben gegen die bevorstehende Studio-gedankenKonzentrationsarbeit mit den Neubauten, auf die ich mich dann voll und ganz einlassen muss. Und vor einer Zeit, in der ich mich den ganzen Tag und in schlaflosen Nächten in einer anderen Welt befinde und auf Zeit auch für meine Familie verloren gehe.
Was gerade noch sicher schien, ist es nicht mehr. Die „Neubauten“greifen neonlichtnervös die Schwingungen
einer unsicheren Zeit und des sensitiv fühlbaren Wandels auf.
Wir sind ja auch in der Realität verankert. „Everything Will Be Fine“habe ich in einer Phase der totalen Insomnie geschrieben, in der mein Bewusstsein völlig perforiert war. Der größte Teil des Texts entstand am 7. Oktober nach der Tagesschau unter dem Eindruck des Grauens. Die Hamas überfällt Israel, dazu Putins Krieg, die AFD, der Rechtsruck in Europa und dem Rest der Welt, Donald Trump kommt zurück. Ich bin sowieso Pessimist, aber was denn bitte noch alles?
Die Sache ist noch viel verzwickter. Vor der Pandemie hatte Patricia Kaas mich gebeten, für eine deutschsprachige Platte ein Duett zu schreiben. Das habe ich abgeliefert, aber es wurde nichts daraus. In einer aktualisierten Version habe ich daraus die minimalste Version eines Breakupsongs gemacht. „Ich ohne dich, du ohne mich – besser isses“. Das hat sich am Ende inhaltlich so ausgewachsen, dass sich Blixa auch von Gott und dem Universum trennt.
Glaubt man dem Info zum Album, ist die Auffassung, dass der Mensch überwiegend von seiner biologischen Natur bestimmt wird, ein wichtiges Thema für Sie.
Die Biologie als Metaphernfeld hat mich ja schon immer beschäftigt, aber hier ist das durchaus ein Abrechnen mit dem biologischen Determinismus, gleichzeitig auch mit Gott und dem Universum. Die Menschheit hat einen Punkt erreicht, an dem es jeder und jedem freistehen sollte, das zu sein, was er will, jenseits aller biologischen Begebenheiten. Das heißt im Endeffekt auch, die Evolution zu verlassen.
Und doch findet genau diese Evolution nun bei den „Neubauten“statt.
Für mich heißt Musizieren immer: Erkenntnisse zu gewinnen mithilfe von Musik, zu denken mithilfe einer Band. Das ist das Höchste, was mir passieren kann. Die Überzeugung, in der Musik etwas zu finden, was ich vorher nicht wusste. Und etwas zu singen, was ich vorher nicht wusste und sich dann bisweilen auch als Wahrheit herausstellt. Dieses Album repräsentiert die nächste Stufe der Evolution, auf der man die bekannte Sprache schließlich hinter sich gelassen hat und an einen Ort zurückkehrt, der mit Worten nicht mehr fassbar ist.
Man kann sich zum Beispiel an der Religion festhalten. „Besser isses“scheint aber auch ein Stück über die Befreiung von Gott zu sein?
Für mich heißt Musizieren immer: Erkenntnisse zu gewinnen mithilfe von Musik.
Klingt nach einem Buch, das manch einer nach 20 Seiten zur Seite legt.
Vielleicht komme ich im Interview etwas intellektuell verquast rüber, aber am Ende des Tages sehe ich mich immer auch als eines der wenigen Exemplare des Avantgarde-entertainers. Ich möchte nichts in die Welt setzen, das langweilig ist. Und das ist ja bei Avantgarde nicht selten der Fall.
Sie stellen auf „Rampen“auch musikalische Bezüge zur legendären Band Can her. War diese ein musikalischer Nährboden für die „Neubauten“?
Ich habe Can dreimal live sehen dürfen. Wenn sie gut waren, improvisierten sie wie ein telepathischer Organismus. Dasselbe nehme ich für die „Neubauten“ebenfalls in Anspruch, denn auch bei uns gibt es diese Momente desimprovisierten Zusammenspiels, die einfach nur überirdisch sind.
Wenn Sie mit den „Neubauten“live auf die Bühne gehen, sind Sie dann Teil einer Inszenierung oder der lustund hingebungsvolle Sänger einer Band?
Ich betrachte die Bühne noch immer als einen sehr besonderen Raum. Ich betrete sie barfuß und erwarte, das normale Raum-zeitkontinuum zu verlassen. Als ich im Jahr 2014 in Rom von der Bühne stürzte und mir das Bein brach, bin ich trotzdem hochgehievt worden und habe das Konzert zu Ende gesungen. Ich erwarte, keinen Schmerz zu spüren. Ich erwarte über mir einen Kanal zu öffnen, durch den etwas entstehen und aus mir herauskommen kann. Manchmal fühle ich mich nicht einmal verantwortlich für das, was ich da singe oder mache. Das ist keine Inszenierung, das ist Schamanismus.