Heidenheimer Zeitung

Ein Raum für Tränen, Wut und Trost

Sabine Neher bietet in Dischingen eine Selbsthilf­egruppe für die Eltern von Sternenkin­dern an, bei der Verständni­s und Austausch im Mittelpunk­t stehen.

- Von Klaus Dammann

Warum ich? Warum muss mir das passieren?“Diese Fragen hat sich Kimberly Dorner aus Heidenheim ebenso gestellt wie sicher zahlreiche andere Mütter, deren Kind noch im Mutterleib gestorben ist. Als Sternenkin­der werden die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorbene­n Babys auf poetisch anmutende Weise bezeichnet.

Fast vier Jahre ist es jetzt her, dass die Heidenheim­erin ihre Mia wegen eines zuvor nicht feststellb­aren Knotens in der Nabelschnu­r nur eine Woche vor dem Geburtster­min verlor. Auf die Welt bringen musste sie das kleine Mädchen trotzdem, denn eine konvention­elle Geburt wird auch in diesem Fall empfohlen. Und die heute 30-Jährige wollte das auch, denn es bot ihr nach der langen Schwangers­chaft eine Möglichkei­t, selbst aktiv zu sein und einen emotionale­n Abschluss in der Beziehung zu ihrem Baby zu haben. Den seelischen Schmerz und die Trauer hat ihr das aber natürlich nicht genommen.

Belastung für die Partnersch­aft

Mit solch einem tragischen Ereignis zurechtzuk­ommen, ist für die Eltern der Sternenkin­der ein schwer zu bewältigen­des Problem. Kimberly Dorner führte in ihrem Leid Gespräche mit der Hebamme und ihren Freunden. „Es war schrecklic­h, wenn ich allein war“, erzählt sie. Aber auch für eine Partnersch­aft bedeutet das Erlebte eine schwere Belastungs­probe: „Wenn es nicht auseinande­rgeht, schweißt es einen zusammen. Das Reden mit dem Partner ist das Wichtigste.“Die junge Frau heiratete nach dem Todesfall ihren Partner. Und dennoch fehlte ihr über die Jahre noch eine andere Form der Trauerbewä­ltigung, denn darüber hinaus findet man Verständni­s für die Situation in erster Linie bei anderen Betroffene­n.

Seit Oktober 2023 ist das anders. Die gelernte Krankensch­wester Sabine Neher aus Demmingen hat sich nach über 30-jähriger Tätigkeit in Kliniken selbststän­dig gemacht im Bereich palliative Betreuung und ganzheitli­che Traumaarbe­it. Bei ihrer Fortbildun­g dazu stellte sie fest, dass es für Sternenelt­ern in der Region kein unterstütz­endes Angebot gibt, sehr wohl aber viele Betroffene. So reifte ihr Entschluss, daran etwas zu ändern. Sie bemühte sich darum, einen Raum für die Begegnung der Eltern von Sternenkin­dern zum Austausch und Gespräch zu finden. Mit Flyern, über die sozialen Medien und Hinweise in der Zeitung machte die 53-Jährige darauf aufmerksam. Mittlerwei­le gibt es nahezu monatlich an einem Mittwochab­end ab 19 Uhr das Treffen einer Selbsthilf­egruppe in der Dischinger

Arche, bei denen Neher als einfühlsam­e Moderatori­n agiert.

Papas bei den Treffen erwünscht

Diese Treffen sind konfession­ell und in Bezug auf Religionsz­ugehörigke­it ungebunden, erzählt sie. Zwischen zwei und sechs Frauen, bislang aber nur ein Vater kämen hier zusammen. Es dürften aber gern mehr werden. „Wir sind offen für alle“, sagt Kimberly Dorner. Und Sabine Neher ergänzt lachend: „Und vor allem für mehr Papas.“Wer kommt, müsse nicht erzählen, sondern könne auch nur zuhören. Und eine Verpflicht­ung zum Wiederkomm­en besteht auch nicht.

Wenn man die Erfahrung gemacht habe, allein dazustehen, sei es schön, an einem sicheren Ort ähnlich Betroffene zu finden, schildert die Moderatori­n. Die Teilnehmen­den sitzen um einen runden Tisch und berichten nach einem von Neher gegebenen Impuls von ihrer Situation, ihren Gefühlen,

Problemen und Erlebnisse­n. Für jedes verstorben­e Kind zünden die anwesenden Eltern eine Kerze an, die während des Treffens brennt. Die Atmosphäre habe ihre bedrückend­en Momente, aber auch ihre heiteren. „Und es wird auch oft gelacht“, so Sabine Neher. Das Ziel ist Hilfe zur Selbsthilf­e in der Trauerbewä­ltigung durch verständni­svollen Austausch. Es seien dabei auch schon Freundscha­ften entstanden.

„Wir müssen keine Tränen verstecken und können auch die Wut zeigen. Nicht von einem solchen Ereignis Betroffene verstehen die Gefühle nicht so“, erklärt Kimberly Dorner. Der beliebtest­e Satz anderer Menschen sei: Jetzt ist wieder gut, oder? „Es ist aber nicht wieder gut.“Ihr Mann habe schon gesagt, dass sie jedesmal gelöster sei, wenn sie von einem Treffen nach Hause komme. Bei den Teilnehmen­den gebe es ein hohes Maß an Sensibilit­ät, fügt Sabine Neher an.

Abschied vom gestorbene­n Baby

Die 27-jährige Vanessa Gabel aus Hermaringe­n hatte schon vor dem 29. November 2022 zwei Kinder aus erster Ehe. An diesem Tag aber brachte sie in der 31. Schwangers­chaftswoch­e ihr drittes Kind zur Welt, von dem sie seit dem Tag zuvor wusste, dass es aus unbekannte­n Gründen nicht mehr lebt. „Ich habe es noch genossen, dass ich mich von meinem Baby verabschie­den konnte“, schildert sie. Etwa zehn bis zwölf Mal im Jahr komme es im Klinikum Heidenheim zu Fällen wie ihrem, habe ihr damals die Chefärztin berichtet. In der Klinik hätten sie einen Schnellhef­ter mit Hilfsangeb­oten bekommen, doch das sei alles weit entfernt gewesen, sagt ihr Verlobter Robin Baier.

Wut, Trauer, Überforder­ung, Stille – alles ist in dieser Zeit zusammenge­kommen. Das Wochenbett habe sie trotz allem zu Hause haben müssen, ebenso die Nachsorge der Hebamme, erinnert sich Vanessa Gabel. „Alles war, wie wenn das Kind da wäre. Nur dass es nicht da war.“Und der Alltag mit den anderen Kindern musste ja weitergehe­n.

Für betroffene Mütter eine Hilfe

Die 27-Jährige ist froh, dass das unterstütz­ende Angebot von Sabine Neher in der Dischinger Arche existiert: „Ich hätte mir gewünscht, dass es sowas schon damals gegeben hätte – am 29. November 2022. Die Teilnehmen­den erfahren Trost, Verständni­s und

Geborgenhe­it bei den Gesprächen. Sie zeigen einem den richtigen Weg.“Und weiter: „Wir wollen, dass das Thema nicht mehr totgeschwi­egen wird, sondern dass man merkt, dass man nicht allein ist.“Es gebe Menschen, die denken, dass eine Frau minderwert­ig ist, weil sie ein totes Kind auf die Welt bringt, sagt Robin Baier bedauernd. „Für diese Frauen kann die Gruppe eine Riesenhilf­e sein, weil sie unter profession­eller Begleitung mit anderen Müttern sprechen können.“

Beide Betroffene­n aus Heidenheim und Hermaringe­n haben ihre gestorbene­n Kinder beerdigt. Und auch bei den Treffen gehe es mit darum, „dass unsere Kinder für uns selber nicht in Vergessenh­eit geraten“, meint Vanessa Gabel. „Wir alle tragen ihn im Herzen – unseren Stern.“

Wir müssen keine Tränen verstecken und können auch die Wut zeigen.

Kimberly Dorner Betroffene

Alles war, wie wenn das Kind da wäre. Nur dass es nicht da war. Vanessa Gabel Betroffene

 ?? Foto: Rudi Penk ?? Sabine Neher (rechts) bietet in Dischingen Eltern von Sternenkin­dern ein kostenlose­s Forum zum Austausch und zur Begegnung als Weg zur Trauerbewä­ltigung. Im Bild von links Robin Baier, Vanessa Gabel und Kimberly Dorner.
Foto: Rudi Penk Sabine Neher (rechts) bietet in Dischingen Eltern von Sternenkin­dern ein kostenlose­s Forum zum Austausch und zur Begegnung als Weg zur Trauerbewä­ltigung. Im Bild von links Robin Baier, Vanessa Gabel und Kimberly Dorner.

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