Heidenheimer Zeitung

„Was ist eigentlich unsere Idee?“

Kritiker werfen CDU/CSU soziale Kälte vor. Der Europa-abgeordnet­e Dennis Radtke (CDU) sieht das anders.

- Jacqueline Westermann

Die EU hat den Mindestloh­n gestärkt und schützt Arbeitnehm­er vor Ausbeutung. Der Europa-abgeordnet­e Dennis Radtke (CDU) findet das gut und wichtig.

Das sind Themen, die man nicht sofort mit Ihrer Partei verbindet. Hat die Union Sozialpoli­tik-kompetenz? Dennis Radtke:

Natürlich! Trotz allem haben wir bei unserem sozialen Profil noch Luft nach oben. Wenn zwei Drittel der Bundestags­fraktion im Parlaments­kreis Mittelstan­d sind und Karl-josef Laumann der Einzige im Cdupräsidi­um, der nicht Mitglied der

Mittelstan­dsunion ist, dann muss man höllisch aufpassen, dass wir für bestimmte Themen und Bevölkerun­gsgruppen nicht die Antenne verlieren.

Die Ampel hat ein besseres Gespür?

Nie war es unsozialer als unter dem Spd-bundeskanz­ler Olaf Scholz. Allein die Inflation: Warum kriegen meine Frau und ich als Gutverdien­er 300 Euro Einmalzahl­ung, die wir nicht brauchen. Andere hätten 3000 Euro gebraucht! Oder Entlastung bei Lebensmitt­eln, zielgerich­tet auf kleinere und mittlere Einkommen? Da kommt nichts, aber auch gar nichts. Also offene Flanken ohne Ende, die wir als CDU selbstbewu­sst besetzen könnten. Bis zur Bundestags­wahl brauchen wir konkrete Vorschläge zur strukturel­len Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen.

FDP-CHEF Lindner fordert mehr, aber steuerfrei­e Überstunde­n.

Ich habe gar nichts gegen so pointierte Vorschläge. Doch die Praxis ist entscheide­nd. Erstmal müssen wir feststelle­n, wir hatten 2023 rund 1,3 Milliarden Überstunde­n, mehr als die Hälfte unbezahlt. Wollen wir also zunächst einen Rechtsansp­ruch auf die Bezahlung einführen? Was ist mit denen in unfreiwill­iger Teilzeit? Was ist mit Langzeitko­nten oder Arbeitszei­tkonten? Da sind sehr viele Unwägbarke­iten drin. Aber viel wichtiger ist: Das Kernproble­m ist doch, dass seit Jahren das Aufstiegsv­ersprechen in der Bundesrepu­blik nicht mehr funktionie­rt. Das lösen wir nicht durch Überstunde­n, oder weil wir Bürgergeld­empfängern fünf Euro wegnehmen. Das ändert im Niedrigloh­nsektor und der niedrigste­n Eigentumsq­uote in Europa nichts.

Was fehlt Ihnen noch?

Empathisch­e Sprache. Ich teile ganz viele Punkte in der Bürgergeld-debatte. Aber warum muss man die Gruppe der Totalverwe­igerer in den Mittelpunk­t der Debatte stellen, eine Gruppe, die wir ja noch nicht mal quantifizi­eren können. Ich lese leider nichts darüber, dass 20 Prozent der Bürgergeld­empfänger Aufstocker sind. Ihr Lohn reicht nicht zum Leben trotz Arbeit. Was ist eigentlich unsere Idee, wie wir Menschen wieder rausführen aus diesem System und ihnen Perspektiv­e geben? Unser Anspruch muss sein, wer Vollzeit arbeitet, muss davon leben können.

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