Die Welt aufschneiden
Salman Rushdie erzählt in seinem neuen Buch „Knife“von dem Attentat, das er nur knapp überlebte – und von seinen geliebten Menschen.
Es ist der 12. August 2022, ein sonniger Freitagmorgen. Salman Rushdie hat gerade die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua (Usbundesstaat New York) betreten, um einen Vortrag zu halten über Amerika als Heimat für die kreative Freiheit. Ein 24-jähriger Usamerikaner libanesischer Abstammung springt im Publikum auf, rennt auf Rushdie zu und sticht brutal mit einem Messer auf ihn ein. Sollte sich 33 Jahre, nachdem der iranische Revolutionsführer Ayatollah Chomeini wegen dessen Roman „Die satanischen Verse“eine Fatwa gegen den Schriftsteller verhängt hatte, dieser Mordaufruf erfüllen?
Der Attentäter ist ein mutmaßlicher Sympathisant iranischer Revolutionsgarden. „Warum heute? Echt jetzt? Es ist so lang her. Warum heute? Warum nach all den Jahren? Die Welt hatte sich doch gewiss weitergedreht, dieses Kapitel war längst geschlossen. Was da kam und sich so rasch näherte, war jedoch eine Art Zeitreisender, ein mörderischer Geist aus der Vergangenheit.“
Rushdie überlebt knapp, die Ärzte retten ihn nach achtstündiger Operation. Ein weltweiter Aufschrei, eine Welle der Solidarität. Der Schriftsteller, mittlerweile 76, hat sich einigermaßen erholt; einer der 15 Messerstiche aber verletzte sein rechtes Auge derart, dass er erblindete. Vergangenen Herbst reiste er nach Frankfurt, nahm den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen – und zeigte sich in seiner Rede unverdrossen heiter, lakonisch. 22 Bücher hat Rushdie geschrieben, Und er forderte dazu auf, darunter 15 Romane – für die Meinungsfreiheit zu kämpfen: „Knife“ist sein persönlichstes. „schlechte Rede mit besserer Und absolut romanhaft lesensdwert. Rede kontern, falschen Narratin- Naturgemäß ist es eine ven bessere entgegensetzen, auf Selbsterkundung. Rushdie erHass mit Liebe antworten.“zählt, wie er das traumatische At
Auf Hass mit Liebe antworten: tentat verarbeitet; bald sei ihm Das hat Rushdie jetzt getan in seiklar gewesen, dass er darüber ein nem autobiografischen Buch Buch schreiben musste, um die „Knife – Gedanken nach einem Kontrolle über die Ereignisse zu Mordversuch“, das am Dienstag gewinnen. Und um mit Kunst auf weltweit in 15 Ländern erschienen die Gewalt zu antworten. ist. Rushdie schildert detailliert das Attentat – und seine Nahtoderfahrungen. Er erzählt ausführlich von seinen Krankenhausaufenthalten, von seiner
Genesung, von seiner Rückkehr ins Leben – und zwar mit seinem typischen Humor, seiner selbstironischen Larmoyanz: „Liebe Leserinnen und Leser, falls Ihnen noch nie ein Katheder in Ihr Geschlechtsorgan eingeführt wurde, belassen Sie es dabei.“Und die
Schmerzen: „Es hörte sich an, als würde mein Penis um Gnade winseln.“
Es schreibt ein auch in der Seele schwer verletzter Menschen, der aber unverdrossen optimistisch neue Kraft findet. „Wenn einem der Tod sehr nahekommt, weicht der Rest der Welt weit zurück, und man kann eine große Einsamkeit spüren“, weiß Rushdie – und erlebt das Gegenteil. Berührend berichtet er, wie seine Familie, seine Söhne, sich um ihn sorgt. Und erzählt eine Liebesgeschichte: wie er seine für ihn übernatürlich schöne, fünfte und 30 um Jahre jüngere Ehefrau Rachel Eliza Griffiths kennenlernte, eine Lyrikerin – ausgerechnet als er blutig gegen eine Glastüre knallte. Das Schicksal, in allen Spielarten. Erst 2021 hatten sie geheiratet, ein berauschendes Glück im Privaten – „dann kam das Messer und zerschnitt dieses Leben“. Aber nur das bisherige – mit Eliza erhielt er eine zweite Chance.
Das Buch ist aber noch viel mehr. Auch eine intelligente, mit vielen Lesefrüchten bestückte Poetologie. Starke Sätze. „Auch Sprache ist ein Messer. Sie kann die Welt aufschneiden und ihre Bedeutung zeigen, ihre inneren Mechanismen, ihre Geheimnisse, ihre Wahrheit. Sie kann von einer Wirklichkeit in eine andere stechen.“Die Sprache sei sein Messer, erklärt Rushdie.
Mit seinem Attentäter, der sein Werk gar nicht kannte, hat Rushdie eher Mitleid, er nennt ihn nur A. – wie „Arschloch“. Eine reale Begegnung im Gerichtssaal gibt es nicht, aber Rushdie arrangiert fiktive Gespräche, versucht A. zu erklären, dass er mit seinen islamistischen Motiven auf dem Holzweg ist. Und auch das bietet „Knife“: große politishe Reden zur Gegenwart. Rushdie, dieser rebellische Atheist, verurteilt das Moralisieren im Namen irgendeines Gottes. Auch dürfe in der rauen Welt des öffentlichen Lebens keine Idee unangreifbar und gegen jede Kritik gefeit bleiben. Ein Aufruf zum Dialog, in aller Freiheit.
Rushdie hat in seinen Büchern über das Dasein immer auch magisch-realistisch gespottet. Aber beim Humanismus versteht dieser Überlebende keinen Spaß.
Die große Liebesgeschichte mit Eliza.