Heidenheimer Zeitung

Ein genialer Gangster

Die Jagd nach dem Kaufhaus-erpresser „Dagobert“gehört zu den spektakulä­rsten Kriminalge­schichten. Vor 30 Jahren wurde er gefasst.

- Von Marion van der Kraats, dpa

Guten Morgen, hier ist Onkel Dagobert“, sagt der Anrufer mit fisteliger Stimme. „Es tut mir leid, dass ich ihre Firma erpressen musste, aber es war nicht anders möglich“, ergänzt er und hört sich dabei gehetzt an. Drei Tage nach dieser Aufnahme, die heute in der Polizeihis­torischen Sammlung in Berlin anzuhören ist, wird der Mann an einer Berliner Telefonzel­le gestellt, als er neue Anweisunge­n für die Übergabe von mehr als 1,4 Millionen D-mark stellen will. Rund zwei Jahre hat Kaufhaus-erpresser „Dagobert“Polizisten in Berlin und Hamburg mit seinen ausgeklüge­lten Tricks genarrt. Am 22. April 1994 knallen bei der Polizei die Sektkorken – und auch der Gejagte ist letztlich erleichter­t.

„Dass es sich über zwei Jahre hinzieht, habe ich selbst nicht gedacht“, sagt Arno Funke 30 Jahre nach seiner Festnahme. „Die Luft war raus. Ich wollte auch nicht mehr. Aber ich hatte kein Geld“, schildert der inzwischen 74-Jährige. Zuletzt habe er damals darüber nachgedach­t, jemanden zu beauftrage­n, ihn zu verraten – und sich dann mit dieser Person die auf ihn ausgesetzt­e Geldsumme zu teilen.

Letztlich gelang es aber der Po- damals als Abteilungs­leiter im lizei selbst, einen der spektaku- Landeskrim­inalamt (LKA) für lärsten Kriminalfä­lle Deutsch- den monatelang­en und aufwendila­nds aufzulösen. Eine Genugtun- dgen Polizeiein­satz verantwort­lich, ung. Denn nach vielen gescheiter­ten bei dem beispielsw­eise rund Geldüberga­ben waren die 3000 Polizisten Telefonzel­len in West-berlin beobachtet­en. Letztlich sei es der „kriminalis­tische Spürsinn“zweier junger Polizisten gewesen, der zu Funke führte, so Textor.

Als sich die Ermittler sicher waren, dass der gelernte Schilderun­d Lichtrekla­meherstell­er der

Beamten Häme ausgesetzt und der Erpresser zunehmend zum „Volkshelde­n“geworden. So gaben etwa 1993 bei einer Ard-umfrage 61 Prozent der Befragten an, den Erpresser sympathisc­h zu finden. Ein Grund war wohl die Raffinesse seiner technische­n Konstrukti­onen, mit denen er die Polizei bei versuchten Geldüberga­ben immer wieder in die Irre führte. „Dagobert“nannten Polizei und Medien ihn, weil er mit „Onkel Dagobert grüßt seine Neffen“in Zeitungsan­noncen das Signal für Übergaben geben wollte.

„Man ist mit Dagobert im Kopf eingeschla­fen und mit Dagobert im Kopf aufgewacht“, berichtet der pensionier­te Polizist Martin Textor. Der heute 79-Jährige war

Gesuchte ist, observiert­en sie ihn. Am 22. April 1994 vormittags um kurz vor halb zehn ist es so weit: Mit quietschen­den Reifen fahren Zivilautos in der Hagedornst­raße in Berlin-treptow vor, Beamte springen aus zwei Fahrzeugen und schreien: „Halt, stehen bleiben, Polizei“. Zeugen berichten später, Funke habe gelächelt. Er beschreibt den Moment heute so: „Da macht man dicht. Das lässt man über sich ergehen. Das ist wie beim Zahnarzt: Mal sehen, wie schlimm es wird.“

Es war das Ende eines jahrelange­n Katz- und Maus-spiels zwischen Erpresser und Polizei. Bereits im Mai 1988 war es Funke gelungen, vom berühmten Berliner Luxuskaufh­aus Kadewe 500 000 D-mark zu erpressen, ohne gefasst zu werden. Doch das Geld war schnell ausgegeben – und der Berliner setzte seine Kaufhaus-erpressung­en fort.

„Die Art, wie er vorgegange­n ist, war genial“, sagt Ex-polizist Textor mit Blick auf die technische­n Fähigkeite­n, die Kreativitä­t und die taktische Vorsicht Funkes. „Er ist ein Tüftler und handwerkli­ch sehr begabt.“Zugleich betont er: „Das hat nichts mit Bewunderun­g zu tun. Er war ein Verbrecher.“

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Foto: Sebastian Gollnow/dpa Arno Funke, besser bekannt als Dagobert.

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