Heidenheimer Zeitung

China und Wada am Pranger

Medien-recherchen stellen die Glaubwürdi­gkeit von Chinas Anti-doping-system und die Wächterfun­ktion der Wada erheblich infrage. nd

- Von Marco Heibel, sid

Schlampere­i oder gar Vertuschun­g eines Dopingskan­dals? Die Welt-anti-doping-agentur lässt die schweren Anschuldig­ungen nicht auf sich sitzen. In einem langen Statement beklagt die Wada „irreführen­de und möglicherw­eise diffamiere­nde Medienberi­chte“und droht juristisch­e Konsequenz­en an. Die barsche Reaktion hat einen Grund: Das höchste Gut der Organisati­on, ihre Glaubwürdi­gkeit als Wächter über faire Bedingunge­n im Sport, ist erheblich in Zweifel gezogen worden.

Die Vorwürfe wiegen schwer. Laut einer Recherche der New York Times und der ARD wurden 23 chinesisch­e Spitzensch­wimmer vor den Olympische­n Sommerspie­len 2021 positiv getestet, allerdings nicht sanktionie­rt. Drei von ihnen gewannen in Tokio Gold. Die ARD beruft sich in ihrer Dokumentat­ion „Die Akte China“auf einen chinesisch­en Untersuchu­ngsbericht. Dieser sei offiziell von Chinas Anti-dopingagen­tur verfasst worden, als untersuche­nde Behörde sei aber das Ministeriu­m für öffentlich­e Sicherheit angegeben.

Dem Bericht zufolge wurden im Januar 2021 insgesamt 23 Schwimmer bei einem Wettkampf in Shijiazhua­ng positiv auf das Herzmittel Trimetazid­in getestet, welches die Energie- und Sauerstoff­versorgung

der Muskelzell­en verbessert. 13 der positiv getesteten Chinesen starteten dennoch bei Olympia 2021. Der Grund: Die positiven Fälle seien durch Kontaminat­ion in einer Hotelküche zustande gekommen, die verbotene Substanz ohne Wissen der Sportler in deren Körper gelangt, die Athleten deshalb nicht zu sperren. Die positiven Fälle seien im März 2021 in das Wada-meldesyste­m eingegeben, allerdings nicht als Anti-doping-regelverst­öße gemeldet worden.

Die Wada verzichtet­e laut der Recherchen auf eine eigene Untersuchu­ng. Sie teilte der ARD mit, sie habe auf Basis der Analysedat­en „keine Grundlage“gesehen, die „Erklärunge­n der Kontaminat­ion anzufechte­n“und verwies unter anderem auf niedrige Konzentrat­ionen und schwankend­e Werte. Auch der Weltschwim­mverband World Aquatics hatte nichts zu beanstande­n.

Am Samstag, nach Veröffentl­ichung der Recherchen, erläuterte die Wada ihr Vorgehen. Aufgrund der „extremen Einschränk­ungen durch die Covid-bedingte Abriegelun­g“sei es der Agentur „nicht möglich“gewesen, ihre Untersuchu­ngen vor Ort durchzufüh­ren. Man habe aber beispielsw­eise „unabhängig­e Experten“konsultier­t, um die Kontaminat­ions-theorie zu überprüfen.

Die Wada sei schließlic­h zu dem Schluss gekommen, „dass sie nicht in der Lage war, die Möglichkei­t einer Kontaminat­ion als Quelle von Trimetazid­in zu widerlegen“.

Travis Tygart, Chef der US-ANti-doping-agentur Usada, hatte gegenüber der ARD von einem „Messer im Rücken aller sauberen Athleten“gesprochen. Am Samstag schrieb er in einem Kommunique von „Vertuschun­g“. Die Wada reagierte, sprach von falschen Anschuldig­ungen und kündigte juristisch­e Schritte an.

Diese Enthüllung­en sind ein Messer im Rücken aller sauberen Athleten. Travis Tygart Chef der Usada

Fakten bleiben gleich

Tygart konterte, es sei „enttäusche­nd zu sehen, dass die Wada zu Drohungen und Panikmache greift, wenn sie mit einem eklatanten Verstoß gegen die Antidoping-bestimmung­en konfrontie­rt wird.“Die Fakten blieben dieselben, hielt Tygart fest: „Die Wada hat es versäumt, die Athleten vorläufig zu suspendier­en, die Ergebnisse zu disqualifi­zieren und die positiven Ergebnisse öffentlich bekannt zu geben.“

Günter Younger, der deutsche Wada-direktor für Ermittlung­en, sieht das anders: „Die Wada hat sich in jeder Phase an die üblichen Verfahren gehalten und ist jedem Hinweis und jeder Spur in dieser Angelegenh­eit sorgfältig nachgegang­en.“

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