Gemeinsam fremd
Die Goldenen Löwen gehen an indigene Künstler aus Neuseeland und Australien. Traditionen und Erinnerung sind wichtige Themen in Venedig.
Schon bei dem ersten Blick auf das farbenprächtige Gebäude der Hauptausstellung bei der Kunstbiennale in Venedig wird klar, worum es den Organisatoren geht: Zeichen setzen. Eine brasilianische Gruppe, deren Künstler zu dem südamerikanischen indigenen Stamm Huni Kuin gehören, hat die Fassade gestaltet. Was die Biennale beim Betreten der Giardini verspricht, hält sie nun auch bei der Preisverleihung. Indigene Künstler haben am Samstag bei der offiziellen Eröffnung die wichtigsten Preise erhalten.
Die Tore des Kunstereignisses in der Lagunenstadt sind nun bis zum 24. November für alle Besucherinnen und Besucher geöffnet. Bei der Preisverleihung wurden der Australier Archie Moore und die neuseeländische Künstlergruppe Mataaho Collective von der Jury mit zwei Goldenen Löwen ausgezeichnet. Bei ihren Arbeiten beschäftigen sie sich mit Geschichte und Traditionen der Ureinwohner Australiens und Neuseelands. Das Gefühl des Fremdseins, das Indigene in ihren eigenen Ländern häufig verspüren, nimmt bei ihnen eine herausragende Stellung ein.
Die Arbeiten von Moore und dem Mataaho Collective fügen sich in das Motto der Hauptausstellung der Biennale ein. Unter dem Titel „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“(zu Deutsch: „Fremde überall“) befasst diese sich mit Fremdheit und marginalisierten Gemeinschaften. Auch die Themen Migration und Exil stehen dabei im Fokus, wie der Kurator der Hauptausstellung, Adriano Pedrosa, sagt.
Unter dem Titel „kith and kin“(zu Deutsch aus dem Mittelenglischen etwa: „Freunde und Familie“) gestaltete Archie Moore den australischen Pavillon. Er erhielt den Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag. In seiner ndausstellung beschäftigt sich Moore mit der Geschichte der Aborigines, zu denen er selbst gehört: An den Wänden und der Decke der Ausstellung ist handschriftlich mit Kreide ein Stammbaum aufgezeichnet.
Erinnerung an Unterdrückung
Es ist sein persönlicher. Er reicht Jahrhunderte zurück und umfasst fast 3500 Personen. Mit seinem Projekt wolle er frühere Familienmitglieder in die Gegenwart und Zukunft bringen, wo sie menschlicher behandelt würden, so Moore. So will er die Unterdrückung der Aborigines durch europäische Siedler anprangern. „Wir sind alle eins und tragen gemeinsam die Verantwortung für alle Lebewesen – jetzt und in der Zukunft“, sagte Moore bei der Preisverleihung.
Den Preis für den besten Künstler erhielt das Mataaho Collective. Die Künstlergruppe besteht aus vier Maori-frauen. Als Maori werden die Ureinwohner Neuseelands bezeichnet. Im Arsenale zeigen die vier Künstlerinnen großformatige Faserinstallationen, die sich mit den Feinheiten des Lebens und den Wissenssystemen der Maori befassen.
Mit diesen knüpfen die vier Künstlerinnen Bridget Reweti, Erena Baker, Sarah Hudson und Terri Te Tau an die Maori-tradition des sogenannten Takapau an. Darunter versteht man eine fein gewebte Matte, die bei Zeremonien, insbesondere Geburten, verwendet wird. Takapau markiert den Moment der Geburt und steht für den Übergang zwischen Licht und Dunkelheit, wie sie erklärten.
Bei der 60. Ausgabe der Kunstbiennale Venedig stellen in verschiedenen nationalen Pavillons indigene Künstler aus. In dem Pavillon der USA präsentiert sich etwa erstmals ein Native American. Jeffrey Gibson gehört den Cherokee an – dem heute größten noch existierenden indigenen Volk Nordamerikas. Der grönländische Künstler Inuuteq Storch vertritt Dänemark und Glicéria Tupinambá zeigt im brasilianischen Pavillon in den Giardini ihre Arbeiten.
Am Samstag wurden noch weitere Künstler ausgezeichnet. Den Silbernen Löwen für den besten Nachwuchskünstler erhielt Karimah Ashadu, die in Hamburg und Nigeria lebt. Die italienisch-brasilianische Malerin und Bildhauerin Anna Maria Maiolino sowie die türkische Grafikerin und Fotografin Nil Yalter erhielten den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.
Kurator Pedrosa hat 330 internationale Künstler eingeladen. Daneben sind mehr als 80 Länder mit eigenen nationalen Beiträgen Teil der Biennale. Weltpolitik und Kriege überschatteten die Biennale: Der israelische Pavillon blieb geschlossen. Künstlerin Ruth Patir will ihn erst öffnen, wenn es im Gaza-krieg einen Waffenstillstand gibt und die Hamas-geiseln befreit sind. Russland ist erneut nicht vertreten, der russischen Pavillon wird von Bolivien bespielt.
Wir sind alle eins und tragen gemeinsam die Verantwortung für alle Lebewesen. Archie Moore Australischer Löwen-gewinner