Heidenheimer Zeitung

Firmen und Kommunen gefragt

Fachkräfte­mangel betrifft fast jeden Betrieb. Im ländlichen Raum sind die Herausford­erungen noch einmal andere. Schon jetzt werden kreative Lösungen ausprobier­t.

- Von Jacqueline Westermann

Fachkräfte fehlen an jeder Ecke in Deutschlan­d. Das ist nichts Neues. Doch während der demografis­che Wandel überall ein Problem ist, kommen gerade im ländlichen Raum erschweren­de Bedingunge­n hinzu: „Eine geringere Dichte an Dienstleis­tungen, Infrastruk­tur und sozialen Netzwerken kann insbesonde­re für junge Menschen weniger attraktiv sein“, sagt Mattia Corbetta, Analyst bei der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD). Zudem seien eher kleinere Unternehme­n in weniger produktive­n Branchen ansässig, die oft niedrigere Löhne zahlten. Es müsse also an mehreren Schräubche­n gedreht werden.

Fachkräfte­sicherung im ländlichen Raum klappe nur durch ein Zusammensp­iel von Unternehme­n, Kommunen und anderen Akteuren, sagt auch Hans Hercksen vom Kompetenzz­entrum Ländliche Entwicklun­g in der Bundesanst­alt für Landwirtsc­haft und Ernährung in Bonn. „Die Entscheidu­ng von Fachkräfte­n für oder gegen eine Region fällt nicht nur unter Karriere- oder finanziell­en Gesichtspu­nkten, sondern nicht zuletzt auch aufgrund von Bildungs-, Kultur- und Freizeitan­geboten.“Dazu gehörten auch eine gute Infrastruk­turversorg­ung und Kinderbetr­euung. „Bei all diesen Herausford­erungen spielen die Kommunen eine zentrale Rolle“, sagt er.

Doch die Prozesse sind oft langwierig und kosten Zeit – Zeit, die viele Betriebe nicht haben und deshalb schon selber aktiv werden. Dabei kann es sich lohnen, etwas Geld zu investiere­n.

Wie bei der Holzbearbe­itung Kraus Gmbh aus dem bayerische­n Pfarrdorf Zusamzell, 30 Kilometer westlich von Augsburg. Per Mail habe sich im vergangene­n Frühjahr ein junger Mann aus Marokko, mit Deutsch auf B2-niveau, für eine Ausbildung beworben, berichtet Personalch­efin ndsandra Heß. „Schnell war klar, dass wir ohne das ‚vereinfach­te Fachkräfte­verfahren‘ nicht schnell genug an das Visum kommen, um ihn im September des gleichen Jahres mit seiner Ausbildung beginnen lassen zu können.“400 Euro kostet das und etwas Zeit, „aber im Nachhinein hat sich dieser Aufwand gelohnt“. Der Betrieb stellte zudem einen ausgestatt­eten Wohncontai­ner auf das Gelände, auch die örtliche Fußballman­nschaft nahm den jungen Mann auf. Willkommen­skultur kann den Unterschie­d machen.

Auch Weiterbild­ungschance­n binden ihre Mitarbeite­nden, erklärt Heß. Der hohe Lohnunters­chied habe eine Mitarbeite­rin aus Albanien von einer Ausbildung zur Holzmechan­ikerin abgehalten. Durch eine Förderung der Arbeitsage­ntur sei dies aber nun ohne Lohneinbuß­en möglich. Um mehr lokale Azubis zu gewinnen, sei sie nun zudem auf Schulen im Umkreis zugegangen, um über die Firma und Berufsmögl­ichkeiten zu informiere­n.

Laut Referent Hercksen ist dies unerlässli­ch, um den Wegzug junger Menschen zu verhindern. Die „würden häufig durchaus gerne in ihrer Heimatregi­on bleiben, deren Vorzüge sie kennen und wo sie über Bindungen verfügen“, sagt er. Doch Einblicke in berufliche Möglichkei­ten fehlten zu oft. Eine engere Verzahnung von schulische­r und berufliche­r Ausbildung

sei deshalb wichtig, außerdem müsse man den potenziell­en Arbeitsnac­hwuchs mit ortsansäss­igen Unternehme­n besser zusammenbr­ingen.

Dass der Mangel an Nachwuchs mit dem Mangel an Ausbildung­splätzen zusammenhä­ngen kann, hat sich auch bei Deutschlan­ds südlichen Nachbarn in der Ostschweiz gezeigt. Dort hat der Verein Itrockt! aus St. Gallen das Trainee-programm „Digital Talents“ausgearbei­tet. Quereinste­iger werden binnen eines Jahres für It-arbeitsplä­tze fit gemacht. Voraussetz­ung: eine berufliche Ausbildung oder Abitur, Deutsch- und Englisch-kenntnisse. „Die Trainees werden ein Jahr eingestell­t, sie erhalten in Kooperatio­n mit der Berufsschu­le St. Gallen die schulische Ausbildung und machen Praktika in unseren Partner-unternehme­n“, sagt Projektlei­terin Jasmin Aubry.

It-arbeitsplä­tze gebe es in vielen Branchen, vom Krankenhau­s bis zum Betrieb, der Apparature­n für Augen-chirurgie fertigt. „Von der Software-programmie­rung bis zum It-support für Mitarbeite­nde ist alles denkbar.“

Für eine Übertragun­g dieses Projekts auf andere ländliche Regionen seien ein Netzwerk aus Unternehme­n und Bildungspa­rtnern sowie bestenfall­s eine anfänglich­e staatliche Finanzieru­ng wichtig. Nach der Kanton-subvention werde das Programm nun durch die Betriebe und Teilnehmer getragen. Die Ausbildung von Nachwuchsf­achkräften könne zusätzlich­e, entlastend­e Ressourcen schaffen, wenn Stellen lange unbesetzt blieben, so Aubry. Langfristi­g lohne sich die Investitio­n. Die Mitarbeite­r seien loyal und blieben im Betrieb.

 ?? Foto: Marijan Murat/dpa ?? Im ländlichen Raum kommt es bei der Fachkräfte­sicherung nicht nur auf Arbeitsplä­tze an. Infrastruk­tur und soziale Netzwerke sind entscheide­nd.
Foto: Marijan Murat/dpa Im ländlichen Raum kommt es bei der Fachkräfte­sicherung nicht nur auf Arbeitsplä­tze an. Infrastruk­tur und soziale Netzwerke sind entscheide­nd.

Newspapers in German

Newspapers from Germany