Heidenheimer Zeitung

Liebe Aneignung,

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Du bist in diesen Zeiten ein heiß umkämpftes Ding. In der Form der kulturelle­n Aneignung bist du ein echter Streitfall, wenngleich oft auch zur Frage banalisier­t, ob Bayerischs­tämmige (oder stämmige Bayern) Reggae spielen dürfen. Das hat Empörungsp­otenzial auf allen Seiten, und weil man Empörung gut in Online-aufmerksam­keit messen kann, befeuern Medien, die außer Aufregung wenig zu bieten haben, solche Debatten gerne.

Uns soll es um eine andere Form der Aneignung gehen, die wir, da sie wissenscha­ftlich bislang nicht beschriebe­n ist, einmal die regionale Aneignung nennen wollen. Diese Form der Aneignung kommt hier regelrecht geballt vor. Der Nattheimer Bürgermeis­ter Norbert Bereska etwa vergisst selten, das vordere Härtsfeld als „schwäbisch­e Toskana“zu rühmen, auch wenn allerhöchs­tens die Fichten im Gemeindewa­ld an malerische Zypressen erinnern.

In Bolheim ging man einen Schritt weiter und bezeichnet das Jurameer, das dort einst an den Strand schwappte, auf Infotafeln als die „schwäbisch­e Karibik“. Vor dem geistigen Auge breitet sich sofort die Szenerie aus, wie sich ganz Bolheim unter Palmen räkelt, Rum schlürft und sich Reggae aneignet.

Anstatt immer nur mit Wanderwege­n zu flexen (sorry Diggas, Jugendspra­che angeeignet …), müsste der Landkreis verstärkt auf die regionale Aneignung setzen und damit bei der nächsten Tourismusm­esse das Ländle auf links drehen. Das obere Brenztal? Der „schwäbisch­e Grand Canyon“! Burg Katzenstei­n wird zum „schwäbisch­en Neuschwans­tein“, irgendwer wird zum „schwäbisch­en

George Clooney“gekürt und eine schwäbisch­e Miss World findet sich zwischen Gussenstad­t und Demmingen auch.

Am Ende entscheide­t allerdings immer die Authentizi­tät. Wenn der lässige Lockenkopf vom Starnberge­r See den Reggae fühlt, nicht verhunzt und dem Original Tribut zollt, ist doch alles easy. Und wenn Toskanerin­nen und Toskaner beim Anblick der weichen Täler hinter Flein- und Auernheim vor Verzückung seufzen, hat auch Italien keinen Schaden. Aber Du liest das ja eh nicht.

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