Heidenheimer Zeitung

Oasen auf der Ostalb

Mit einem Verbund diverser Habitate quer über den Landkreis verteilt, fördern Landwirte unter Anleitung des Landschaft­serhaltung­sverbands Heidenheim die Artenvielf­alt in Flora und Fauna. Wie funktionie­rt das?

- René Rosin

Ein großer Unterstand für Traktoren und landwirtsc­haftliches Gerät etwas außerhalb von Eselsburg. Ganz hinten unter einer Plane steht seit 30 Jahren unbeachtet ein Gerät herum, das sich „Aufbereite­r“nennt. Es gehört Landwirt Hans Bosch, der seit 1984 einen Hof in Eselsburg bewirtscha­ftet. Dass er dieses Gerät seit sehr langer Zeit nicht mehr benutzt, sagt einiges über Bosch aus. Es sagt aber auch sehr viel über den Bewusstsei­nswandel in der Landwirtsc­haft im Allgemeine­n aus.

Boschs Hof ist ein Mischbetri­eb, das heißt, er betreibt nicht nur Ackerbau, bei ihm stehen auch Tiere im Stall oder auf der Weide. „Wir haben Rinder, Schafe, Ziegen und Wasserbüff­el – alles, was man hier im Prinzip halten kann“, erläutert Bosch. Auf einer Fläche von 130 Hektar baut er zudem Getreide an, „alle Arten, die hier wachsen. Dazu Linsen und Buchweizen. Und außerdem haben wir einen Gemüseanba­u“. Und das alles „bio“.

Geschätzt 5000 Quadratmet­er – ein knappes halbes Prozent seiner Anbaufläch­en – bewirtscha­ftet Hans Bosch allerdings gar nicht, er überlässt sie der Natur. Dort gedeiht, was immer ihr gerade beliebt und was die jeweiligen Standortbe­dingungen erlauben. „Das sind bestimmt 30 verschiede­ne Arten, die man da findet“, sagt Bosch. Dabei konzentrie­rt sich diese sogenannte „Altgrasflä­che“nicht auf einen Ort, sondern sie verteilt sich auf ein gutes Dutzend verschiede­ner „Öko-oasen“: Inseln der Biodiversi­tät, auf denen Pflanzen und Tiere Habitate finden, die in unserer nutzenmaxi­mierten Landschaft rar geworden sind.

Massenster­ben bei der Mahd

Sensibilis­iert für die Idee der „Wildnis-oasen“wurde Bosch durch ein Forschungs­projekt der Universitä­t Ulm, an dem er sich vor sechs Jahren beteiligt hat. Untersucht wurde, wie man Wildbienen retten kann. „Das hieß ,Bienabest‘. Wir haben eine Wildbienen­weide angesät, das war ein ganzer Hektar“, sagt er. Dabei hat Bosch erfahren, dass im Eselsburge­r Tal „noch eine unglaublic­he Vielfalt an Insekten vorhanden ist“. Und dass es so etwas wie Blühstreif­en, Altgrasstr­eifen, aber auch Nisthügel und offene Erde braucht, damit diese Biodiversi­tät erhalten bleibt.

Und hier kommt der Aufbereite­r von Hans Bosch ins Spiel. In diesem Gerät sind mehrere große stählerne Schlegel verbaut. An einen Traktor angeschlos­sen, „zerschlage­n“sie die Wachsschic­ht des frisch gemähten Grases, es trocknet dadurch schneller. „Ich hab das zwei oder drei Jahre gemacht“, sagt Bosch. Bis er erfahren hat, dass dabei auch sehr viele Tiere erschlagen werden, Insekten, Amphibien, Spinnen, bodenbrüte­nde Vögel, Raupen

und Heuschreck­en. Schätzunge­n gehen davon aus, dass sich die Zahl der getöteten Tiere bei der Nutzung eines Aufbereite­rs verdoppelt, die Zahl der getöteten Bienen steigt sogar um das Siebenfach­e. Und deshalb steht sein Aufbereite­r seit 30 Jahren ungenutzt herum, sagt Bosch.

Nun war das Wissen um die Bedeutung von Blüh- und Altgrasflä­chen für Hans Bosch nichts Neues, die biologisch­e Landwirtsc­haft baut seit jeher auf diese Erfahrunge­n. „Aber je mehr Informatio­nen man dazu bekommt, umso mehr Gedanken macht man sich darüber“, sagt Bosch. Er zögerte deshalb auch nicht, als vom Landschaft­serhaltung­sverband Heidenheim (LEV) die Anfrage kam, ob er nicht beim Projekt „Landesweit­er Biotopverb­und Badenwürtt­emberg“mitmachen möchte. Ziel des Biotopverb­undes ist die Schaffung eines über das Land verteilten Naturnetzw­erks, das Lebensräum­e für Tiere und Pflanzen schafft und gleichzeit­ig miteinande­r verbindet, sodass diese wandern und sich genetisch austausche­n können.

Einfach mal nichts tun

Je weniger Landwirt Hans Bosch tut, umso besser gedeihen seine Biotope, denn er mäht diese Flächen jetzt nicht mehr. Das ist das komplette Gegenteil von dem, was er bislang praktizier­t hat. Denn dieses Wachsenlas­sen der Pflanzen entsprach früher nicht den Vorstellun­gen einer „ordnungsge­mäßen Landbewirt­schaftung. Man musste immer mähen, mindestens einmal im Jahr“, so Bosch. Ansonsten hätten solche Areale ihren Status als landwirtsc­haftliche Fläche verloren. Erst seit diesem Jahr ist es möglich, sie zu Altgrasstr­eifen werden zu lassen.

Es gibt aber auch Biotope, auf denen noch einmal im Jahr gemäht wird. Denn auch das trägt zur Biodiversi­tät bei. Zwischen Hürben und Burgberg zieht sich links von der Hürbe ein etwa zehn Meter breiter, 1,7 Hektar großer Altgrasstr­eifen den Fluss entlang, „da habe ich so um den 20. Juni einmal abgemäht. Und dann mähe ich nächstes Jahr im Juni wieder“, sagt Hans Kolb, Bio-landwirt aus Hürben. Hier mindert die Mahd die Biodiversi­tät nicht, sondern fördert sie sogar. Denn nur so entwickelt sich auf diesem Streifen die standortty­pische Mischung aus Gräsern, Blumen und Kräutern und finden Insekten und Kleintiere das für sie notwendige

Habitat. Ansonsten würde dieser Uferstreif­en entlang der Hürbe sehr schnell verbuschen. „Hier kommen wir auf bis zu 40 Schmetterl­ingsarten“, ergänzt Holger Müller, Mitarbeite­r beim Landschaft­serhaltung­sverband.

Auf insgesamt vier Hektar landwirtsc­haftlicher Fläche – er baut ansonsten hauptsächl­ich Kartoffeln und Getreide an – gedeihen bei Kolb diese Biotope. „Das passt mir“, sagt er und ergänzt: „Ich habe auch 100 Streuobstb­äume, da mache ich das gleiche.“Einen weiteren Altgrasstr­eifen hat er direkt an der Autobahn am südlichen Ende des Herbrechti­nger Industriep­arks A7. Sein Biotop an der Hürbe war Kolb übrigens so wichtig, dass er das komplette Saatgut auf den 1,7 Hektar per Hand ausgebrach­t hat, „denn das ging durch keine Sämaschine. Das war ein riesiges Problem“. Einen ganzen Tag lang hat er für die Aussaat gebraucht.

Trittstein­e in der Landschaft

Vor wenigen Jahren sah der Streifen an der Hürbe noch wie eine Staubwüste aus. „2019 gab es hier Engerlings­schäden“, erläutert Corinna Semle vom Landschaft­serhaltung­sverband, dort seit 2020 Biotopverb­and-botschafte­rin. Der LEV ist ein gemeinnütz­iger Verein, der mit dem Landkreis, den Kommunen, privaten Grundstück­seigentüme­rn und örtlichen Naturschut­zverbänden im Sinne eines regionalen Natur- und Landschaft­smanagemen­ts zusammenar­beitet. Zu seinen Aufgaben gehört der Erhalt von Kulturland­schaften – zum Beispiel Heiden und Magerrasen –, Biotop- und Landschaft­spflege sowie die Umsetzung der Natura-2000-management­pläne.

Ziel des Biotopverb­undes ist es, „Trittstein­e in der Landschaft zu schaffen“, so Semle, also eine Kette von Habitaten zu schaffen. Hier an der Hürbe ist das sehr gut zu erkennen, denn nur wenige Meter weiter erhebt sich in Richtung Burgberg eine große Magerwiese – das nächste Biotop. Erfreulich­erweise hat Corinna Semle in ihrem Job als Biotopverb­and-botschafte­rin nicht nur mit Bio-landwirten positive Erfahrunge­n gemacht. Denn auch konvention­ell arbeitende Bauern haben „oft ein offenes Ohr dafür“. Allerdings liegt die Gesamtfläc­he aller Biotopverb­undareale im Landkreis Heidenheim unter einem Prozent der gesamten landwirtsc­haftlichen Nutzfläche, ergänzt Holger Müller,

„das ist verschwind­end gering“.

Hans Bosch jedenfalls freut sich nicht nur über seine vielen kleinen Biotope, sondern auch über den Bewusstsei­nswandel, der in Politik und Gesellscha­ft bezüglich einer naturnahen Landwirtsc­haft stattgefun­den hat. Für ihn ist das auch eine Generation­enfrage, wie er festgestel­lt hat. Er selbst ist durch eine konvention­elle Ausbildung als Landwirt gegangen, „ihr könnt mit Chemie alles machen, ihr habt einen besseren Gewinn als ein Apotheker“, hat er damals an der Landwirtsc­haftsschul­e gesagt bekommen. Bei seinen Kindern ist das mittlerwei­le anders. Sie werden von ihm nicht nur den Hof übernehmen, sondern auch das Bewusstsei­n, wie er naturnah bewirtscha­ftet werden kann. „Mein Sohn steht voll hinter diesem Konzept“, so Bosch, „der hat ökologisch­en Landbau studiert.“

 ?? ?? Bio-landwirt Hans Kolb aus Hürben (von rechts), Corinna Semle und Holger Müller vom Landschaft­serhaltung­sverband Heidenheim und Andrea Kolb auf einem Altgrasstr­eifen entlang der Hürbe unterhalb von Burgberg.
Bio-landwirt Hans Kolb aus Hürben (von rechts), Corinna Semle und Holger Müller vom Landschaft­serhaltung­sverband Heidenheim und Andrea Kolb auf einem Altgrasstr­eifen entlang der Hürbe unterhalb von Burgberg.
 ?? ?? Bis zu 30 verschiede­ne Arten besiedeln die Altgrasstr­eifen entlang der Hürbe bei Burgberg oder der Brenz im Eselsburge­r Tal.
Bis zu 30 verschiede­ne Arten besiedeln die Altgrasstr­eifen entlang der Hürbe bei Burgberg oder der Brenz im Eselsburge­r Tal.
 ?? ?? Neben einem Altgrasstr­eifen direkt an der Autobahn hat Hans Kolb einen weiteren in Hürben selbst angelegt.
Neben einem Altgrasstr­eifen direkt an der Autobahn hat Hans Kolb einen weiteren in Hürben selbst angelegt.
 ?? ?? Trittstein­e der Biodiversi­tät: Altgrasstr­eifen an der Hürbe und Wacholderh­eide bei Burgberg (Hintergrun­d).
Trittstein­e der Biodiversi­tät: Altgrasstr­eifen an der Hürbe und Wacholderh­eide bei Burgberg (Hintergrun­d).
 ?? ?? Käfer, Spinnen, Schmetterl­inge, Heuschreck­en und kleine Amphibien: Altgrasstr­eifen sind kleine Oasen der Artenvielf­alt.
Käfer, Spinnen, Schmetterl­inge, Heuschreck­en und kleine Amphibien: Altgrasstr­eifen sind kleine Oasen der Artenvielf­alt.
 ?? ?? Seit Hans Bosch erfahren hat, wie viele Tiere den stählernen Schlegeln eines „Aufbereite­rs“zum Opfer fallen, setzt er das Gerät nicht mehr ein.
Seit Hans Bosch erfahren hat, wie viele Tiere den stählernen Schlegeln eines „Aufbereite­rs“zum Opfer fallen, setzt er das Gerät nicht mehr ein.
 ?? ?? Seitdem Hans Bosch seine Altgrasstr­eifen entlang der Brenz im Eselsburge­r Tal nicht mehr mäht, vermehren sich die Gräser, Blumen und Wildkräute­r auf natürliche Weise. Und bilden auf diese Weise ein willkommen­es Biotop für eine üppige Fauna.
Seitdem Hans Bosch seine Altgrasstr­eifen entlang der Brenz im Eselsburge­r Tal nicht mehr mäht, vermehren sich die Gräser, Blumen und Wildkräute­r auf natürliche Weise. Und bilden auf diese Weise ein willkommen­es Biotop für eine üppige Fauna.
 ?? ?? Hans Bosch mäht seine Altgrasstr­eifen entlang der Brenz im Eselsburge­r Tal nicht mehr. Er hat dadurch weniger Arbeit und zahlreiche Insekten, Spinnen und Kleinstleb­ewesen ein Zuhause.
Hans Bosch mäht seine Altgrasstr­eifen entlang der Brenz im Eselsburge­r Tal nicht mehr. Er hat dadurch weniger Arbeit und zahlreiche Insekten, Spinnen und Kleinstleb­ewesen ein Zuhause.
 ?? ?? Steht seit 30 Jahren ungenutzt in der Garage: der „Aufbereite­r“von Hans Bosch.
Steht seit 30 Jahren ungenutzt in der Garage: der „Aufbereite­r“von Hans Bosch.
 ?? Fotos: Rene Rosin ?? Verwildert? Eine Infotafel informiert über die Hintergrün­de.
Fotos: Rene Rosin Verwildert? Eine Infotafel informiert über die Hintergrün­de.

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