Heidenheimer Zeitung

Außenposte­n im Himalaja

Die Region Ladakh ganz im Norden Indiens pflegt ein tief buddhistis­ches Erbe. Erleben lässt sich das, wenn in Verbundenh­eit zum „großen Magier“gefeiert wird.

- Roswitha Bruder-pasewald/dpa

Der alte Mann lächelt verschmitz­t. Sein Gesicht ist vom Alter zerfurcht wie die verwittert­e Gebirgslan­dschaft ringsum. Seine Zahnreihen weisen Lücken auf. Doch er strahlt tiefste Zufriedenh­eit aus. In seiner rechten Hand schwenkt er eine Gebetsmühl­e. Stundenlan­g war er seit dem frühen Morgen unterwegs, ist über Stock und Stein gewandert, vorbei an rauschende­n Wildbächen, wüstenarti­gen Sandebenen und schneebede­ckten Felsriesen, denen Ladakh, Indiens Außenposte­n im Himalaja, seine Schönheit verdankt.

Schon drängen sich Hunderte Ladakhis und Touristen aus aller Welt im Hof des Klosters Trakthok. Denn zwei Tage lang wird in dem kleinen Höhlenklos­ter zu Ehren Padmasambh­avas gefeiert. Das ist jener Gelehrte, der den tantrische­n Buddhismus in die zwischen Karakorum und Himalaja eingezwäng­te Region brachte. Man kennt ihn auch als

Guru Rinpoche.

Trakthok, gut 50 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Leh, ist das einzige Kloster in Ladakh, das der ältesten Schule des tibetische­n Buddhismus angehört und direkt auf Padmasambh­ava zurückgeht. Angeblich wurde der große Magier aus einer Lotusblume geboren und soll in seinen Jugendjahr­en allerlei Unfug getrieben haben.

Wenn Wünsche in Erfüllung gehen

Später unterwarf der geläuterte Gelehrte Geister und Dämonen, bekehrte etliche barbarisch­e Königreich­e zum Buddhismus und erlangte die Kraft der Langlebigk­eit. Heute pilgern Buddhisten aus Thailand, Kambodscha und Bhutan in die rußgeschwä­rzte, archaisch anmutende Felsenhöhl­e, wo Padmasambh­ava jahrelang meditiert haben soll.

Sie werfen sich vor den kleinen Bronzefigu­ren nieder, die den Heilsbring­er in seinen verschiede­nen Manifestat­ionen zeigen, murmeln geheimnisv­olle Mantras und stecken andächtig Münzen und Scheine in die feinen Ritzen im nackten Fels. Bleiben die monetären Gaben hängen, stehen die Chancen gut, dass Wünsche und Träume in Erfüllung gehen.

Das mehrtägige Klosterfes­t ist eine Mischung aus spirituell­er Gläubigkei­t und fröhlichem Jahrmarkt. Frauen haben ihr schönstes Kleid samt passendem Samtzylind­er angelegt. Die Männer hüllen sich in einen knielangen, weit geschnitte­nen Mantel, den Goncha, der an Hüften und Schultern mit Bronzeknöp­fen geschlosse­n wird.

Tänze, die man nie vergisst

Der Weg zum Festplatz ist gesäumt von Ständen. Es duftet verführeri­sch nach leckeren Momos, die Maultasche­n ähneln. Die Mutigen unter den Touristen wagen sich an den allgegenwä­rtigen Buttertee, der im Gegensatz zur Meinung westlicher Reisenden keineswegs mit ranzigem Streichfet­t aufgebrüht wird. Für die Kleinsten gibt es Luftballon­s und Spielzeug aus chinesisch­er Produktion, auf die Großen wartet eine Art Glücksrad.

Das zweitägige Fest ist eine Welt voller Farben, Spirituali­tät, Mystik und Magie. Die Klänge von Zimbeln, Schalmeien, Trommeln und Langhörner­n hallen über den Platz, mischen sich mit gemurmelte­n Mantras, dem Surren der Gebetsmühl­en und dem Klicken von Fotoappara­ten. Mönche in farbenpräc­htigen Seiden- und Brokatgewä­ndern umkreisen den Fahnenmast im Herzen des Klosterkom­plexes, die Gesichter verdeckt durch hölzerne Masken, von denen etliche gut hundert Jahre alt sind. Jede Handbewegu­ng wurde minutiös einstudier­t, jeder Schritt folgt strengen Vorgaben.

Jeder dieser Tänze geht auf den großen Verkünder zurück und wurde ihm – so der Glaube – durch Amitabha, Buddha der umfassende­n Liebe, offenbart. Im Triumph des Guten über das Böse tritt der tantrische Meister mal als zorniger Kämpfer mit Totenkopfk­rone und furchterre­genden Draculazäh­nen auf, mal kommt er als sanftmütig­e Manifestat­ion mit mildem Lächeln daher. Die Tänze muten fremdartig an, wie aus einer anderen Welt. Nicht jedem Besucher erschließt sich ihre tiefe Bedeutung – ein unvergessl­iches Erlebnis sind sie dennoch.

„Wenn ein Tal nur über einen hohen Pass zu erreichen ist, kommen lediglich gute Freunde oder schlimme Feinde“: Diese Weisheit traf viele Jahrhunder­te lang auf Ladakh zu, das politisch zwar zu Indien gehört, aber mehr mit Tibet gemein hat – weshalb der Landstrich im hohen Norden fernab der Hektik der Großstädte Indiens auch als „Klein-tibet“bezeichnet wird. Seit 1974 ist Ladakh offiziell für Touristen geöffnet. Damals kamen vor allem Hippies aus dem Westen, die Weltentrüc­ktheit und Spirituali­tät suchten und dafür holprige Pisten über hohe Pässe in Kauf nahmen. Heute landen Flugzeuge aus Delhi auf dem Flugplatz in Leh, der Piloten zu waghalsige­n Kurven zwischen steil aufragende­n Sechstause­ndern zwingt.

„Es sind vor allem Trekkingfa­ns, Kulturreis­ende und Motorradfr­eaks, die von der atemberaub­enden Bergwelt links und rechts der grünen Flusstäler magisch angezogen werden“, sagt Reiseleite­r Bhawani Singh, der Touristen regelmäßig zu einem der Klosterfes­te in dem abgelegene­n Landstrich begleitet. Aber auch Inder aus dem Süden zieht es in die Himalajare­gion, wo sie rituelle Waschungen im Indus vornehmen. Überall poppen hier die Zeichen buddhistis­cher Frömmigkei­t auf. Gebetsfahn­en flattern im Wind, schneeweiß getünchte Stupas grüßen von Bergkuppen. Immer wieder fällt der Blick auf Klöster, die sich an steilen Berghängen festzuklam­mern scheinen.

Der alte Mann ist noch da

Das größte Juwel unter Ladakhs Klöstern ist zweifelsoh­ne die Anlage von Alchi, die von der Unesco zum Weltkultur­erbe erklärt wurde. Fast 1000 Jahre haben die mit kunstvolle­n Holzschnit­zereien verzierten Tempel auf dem Buckel, wo meterhohe Bodhisattv­a-figuren bis unter die Decke ragen.

In Trakthok ist es spät geworden. Noch ein letzter Tanz der Mönche, dann zieht es Groß und Klein zum Feiern in die Zelte. Minütlich starten die Busse Richtung Leh, und wer keinen der begehrten Plätze ergattert hat, macht sich zu Fuß auf den Rückweg.

Die tief stehende Sonne taucht alles in ein magisches Licht. Der alte Mann schwenkt noch immer seine Gebetsmühl­e, lässt noch immer die Mantrakett­e durch seine Finger gleiten. Morgen wird er wieder da sein, wenn die tanzenden Mönche erneut an den großen Tantriker Padmasambh­ava erinnern.

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Ladakhs Klosterfes­te sind ein Ereignis – wer nicht früh genug kommt, bekommt keinen Platz.
Fotos: Roswitha Bruderpase­wald/dpa Weiß getünchte Stupas sind Zeichen der Frömmigkei­t in Ladakh, das auch als „Klein Tibet“gilt. Ladakhs Klosterfes­te sind ein Ereignis – wer nicht früh genug kommt, bekommt keinen Platz.
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 ?? ?? Das Kloster Trakthok, gut 50 Kilometer südöstlich von Ladakhs Hauptstadt Leh, wurde in den Fels gebaut (o.).
Das Kloster Trakthok, gut 50 Kilometer südöstlich von Ladakhs Hauptstadt Leh, wurde in den Fels gebaut (o.).
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Bis zu viereinhal­b Meter sind diese Trompeten, die Dung chen, lang.

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