Forscher in Sorge
Wissenschaftler befürchten, für Experimente bald eingesperrt zu werden und kritisieren ein geplantes Gesetz.
Droht Forschern, die an Tierversuchen beteiligt sind, bald eine Gefängnisstrafe? Medizinische Forschungsgesellschaften schlagen auf jeden Fall Alarm. Der Grund: das neue Tierschutzgesetz von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).
„Rechtliche Unsicherheiten, die durch das geplante Gesetzesvorhaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entstehen, führen nach unserer Auffassung dazu, dass Tierversuche in Deutschland in der Krebsforschung nur stark eingeschränkt oder gar nicht mehr durchgeführt werden“, schreibt die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) in einer Stellungnahme. Dabei seien Tierversuche gerade in der Krebsforschung nach wie vor ein unverzichtbarer Bestandteil des experimentellen Methodenspektrums.
Die Aufregung der Forscher ist auf den ersten Blick bemerkenswert, weil Tierversuche in dem überarbeiteten Entwurf zum Tierschutzgesetz, der dieser Zeitung vorliegt, kaum Erwähnung finden. Özdemir will nur die Strafen für das Töten von Tieren erhöhen. In besonders schweren Fällen drohen künftig bis zu fünf Jahre Gefängnis, statt bisher drei.
1,5 Millionen getötete Mäuse
Was das mit Tierversuchen zu tun hat? Das große Problem dreht sich um kleine Mäuse. Knapp 1,5 Millionen der Nager wurden 2022 als „Überschusstiere“getötet. Dazu kommt es, wenn die für Versuche gezüchteten Tiere nicht die erforderlichen genetischen Merkmale haben. Theoretisch könnten die Tiere zwar in Zoos verfüttert werden, aber rechtliche Hürden machen das nahezu unmöglich, wenn Gentechnik im Spiel war. Die Forscher befürchten, das Töten der Tiere könnte ihnen als „beharrlich wiederholt“ausgelegt werden. Diese Klausel gilt aber bereits jetzt, lediglich die Strafe wäre höher.
Wie berechtigt sind also die Sorgen der Forscher? Der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“sieht in seiner Stellungnahme „kein
Restrisiko“einer Strafverfolgung – sofern die Forscher sorgsam, professionell und streng gesetzeskonform mit Tieren umgingen. Aus Kreisen des Landwirtschaftsministeriums heißt es, zum Umgang mit Versuchstieren seien bereits zahlreiche Festlegungen getroffen. Die Forschung bleibe wie gehabt möglich, ohne dass Forschende Strafen fürchten müssten. Der Deutsche Tierschutzbund findet es gar enttäuschend, dass im Bereich Tierversuche „weiterhin keine Verbesserungen für die Tiere vorgesehen sind“.
Doch die FDP will die Bedenken der Forschungseinrichtungen „sehr ernst nehmen“, sagt die Fraktionsvize Carina Konrad dieser Zeitung. Insbesondere bei der Erforschung von Therapiemöglichkeiten für schwerste Erkrankungen seien die Versuche oftmals unerlässlich. Özdemir hat sich jedenfalls einen ambitionierten Zeitplan vorgenommen. Er will das Gesetz noch vor der Sommerpause vom Kabinett beschließen lassen.