Heidenheimer Zeitung

„Ich spürte eine unheimlich­e Last“

Serienstar Jonas Nay über Dreharbeit­en in Ss-uniform, seine Verkörperu­ng des Bösen in der Holocaust-serie „The Tattooist of Auschwitz“und die Umfrageerf­olge der AFD.

- Von Cornelia Wystrichow­ski

Seinen ersten Grimme-preis bekam Jonas Nay, als er gerade mal 21 war: In der Rolle eines Mobbingopf­ers im Tv-drama „Homevideo“wurde der Jungstar aus Lübeck 2011 bekannt, als Ddr-spion in der Serie „Deutschlan­d 83“startete er später so richtig durch. In der internatio­nalen Dramaserie „The Tattooist of Auschwitz“(ab 8.5., Sky) mit Stars wie Harvey Keitel spielt der 33-Jährige jetzt eine der Hauptrolle­n: den Ss-soldaten Stefan Baretzki, einen sadistisch­en Blockführe­r im Konzentrat­ionslager Auschwitz-birkenau. Der Sechsteile­r basiert auf den Erinnerung­en des Holocaust-überlebend­en Lale Sokolov, der in Auschwitz als Tätowierer arbeiten musste und dabei seine spätere Ehefrau kennenlern­te.

Herr Nay, wie ist das, als deutscher Schauspiel­er in eine Ss-uniform zu schlüpfen und einen Nazi zu spielen? Jonas Nay:

Es ist ein sehr beklemmend­es Gefühl, eine Nazi-uniform anzuziehen, in diesem Fall die eines Ss-soldaten, der in Auschwitz als Blockführe­r tätig war. Ich habe an vielen Drehtagen als Einziger in Uniform und Stiefeln das Set in der Nähe Bratislava betreten, das dem Konzentrat­ionslager sehr authentisc­h nachgebaut war, während die anderen Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er Häftlingsk­leidung trugen. Es war eine unheimlich­e Last, die ich da auf den Schultern spürte. Ich habe nach den Dreharbeit­en wirklich lange gebraucht, diese Verkörperu­ng des Bösen ganz abzustreif­en und wieder frei atmen zu können.

Der von Ihnen gespielte Stefan Baretzki war Wachmann in Auschwitzb­irkenau und wurde 1965 im ersten Frankfurte­r Auschwitz-prozess wegen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Es gibt Aufnahmen von ihm aus dem Frankfurte­r Gerichtspr­ozess. Da kann man sich anhören, wie er versucht, sich zu verteidige­n und davon überzeugt ist, dass seine Gräueltate­n eine Legitimati­on hatten, wie er die Verantwort­ung abschiebt. Die ganze Banalität des Bösen. Wenn man sich dann Aufnahmen

von Holocaust-überlebend­en über die sadistisch­en, tödlichen Spiele anhört, die Stefan Baretzki mit den Inhaftiert­en trieb, ergibt das zusammen ein verstörend­es Bild.

Hatten Sie anfangs Zweifel, ob Sie wirklich den sadistisch­en Ss-mann

verkörpern wollen, der so schrecklic­he Verbrechen begeht?

Ob ich es wollte, stand für mich eigentlich weniger zur Debatte. Gerade hat ja eine Studie ergeben, dass 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen AFD wählen würden, eine Partei, die unsere deutsche Geschichte verharmlos­t. Da fühle ich eine große Verantwort­ung, dass solche Stoffe erzählt werden, und um das zu tun, spiele ich auch einen real existieren­den Ssmann. Allerdings wusste ich lange Zeit nicht, wie ich diesens Monster spielen sollte. Ich kam immer wieder an Punkte, wo ich mir gesagt habe: Ich kann das nicht.

Was hat Ihnen über diese Momente hinweggeho­lfen?

Ich habe mich mit Heather Morris getroffen, der Autorin der Romanvorla­ge, der Lale Sokolov seine Lebenserin­nerungen erzählt hatte. Sie hat mir in einer langen Session anvertraut, was Sokolov ihr über Stefan Baretzki erzählt hatte. Er war wohl auf der Suche nach einem Rest von Menschlich­keit in sich und hat Sokolov bewundert als jemanden, der es schaffte, an diesem unmenschli­chen Ort Dinge wie Humor, Zuneigung, Liebe zu empfinden. Er hat deshalb versucht, Lale an sich zu binden, eine unmögliche Freundscha­ft herzustell­en, und das war mit ein Grund, warum Lale und seine spätere Ehefrau Gita Auschwitz überlebt haben.

Muss man als Schauspiel­er aufpassen, dass man einen Nazi nicht als Zerrbild anlegt?

Eine der Grundmessa­ges der Regisseuri­n an mich war: Wir dürfen kein eindimensi­onales Stereotyp zeichnen. Ich habe versucht, Baretzki als Menschen zu zeigen, der unberechen­bar ist und viele Gesichter hat. Natürlich wollte ich auf gar keinen Fall Sympathie erwecken, ich wollte auch keine Rechtferti­gung oder Verständni­s erzielen. Aber es wird der deutschen Geschichte nicht gerecht, wenn wir die Täter als Figuren zeichnen, die keine menschlich­en Facetten in sich tragen. Denn es waren ja Menschen, die all diese unmenschli­chen Dinge getan haben. Das müssen wir zeigen, so verstörend das auch ist.

Was für einen Background haben Sie selber denn?

Ehrlich gesagt kann ich über die Rolle meiner Urgroßelte­rn während des Zweiten Weltkriegs nichts sagen, weil sie darüber nie gesprochen haben.

Wie war es eigentlich, mit Superstar Harvey Keitel zu drehen, der in der Rahmenhand­lung den betagten Lale Sokolov spielt?

Harvey ist eine echte Legende, ich hatte am Anfang wirklich meine Momente, wo ich mich bewusst aus meiner Fan-boy-haltung entfernen musste. Er war wahnsinnig wohlwollen­d und respektvol­l, er hat es mir wirklich leicht gemacht.

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Foto: Sky UK Limited Jonas Nay als Ssmann in der Holocaust-serie „The Tattoist of Auschwitz“.

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