Heidenheimer Zeitung

Nur ein unnötiger Reisezirku­s?

Nd Vor 30 Jahren wurde das Berlin/bonn-gesetz beschlosse­n: Eine Doppelstru­ktur entstand wie auch ein reger Pendelverk­ehr. Die Stimmen für eine Zentralisi­erung mehren sich.

- Von Jacqueline Westermann und André Bochow

Führende Unionspoli­tiker sind sich mit dem Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer der Linken im Bundestag einig. Ex-bundestags­präsident Wolfgang Thierse (SPD) will es. Der Bund der Steuerzahl­er ist sowieso dafür und nun auch eine Mehrheit der Deutschen laut neuster Yougov-umfrage: Sie alle befürworte­n einen finalen Umzug sämtlicher Ministerie­n nach Berlin, 30 Jahre nachdem das Berlin/bonn-gesetz und die Doppelstru­ktur von Verwaltung und Regierung beschlosse­n wurde.

Über einen Umzug und eine Zusammenle­gung wird immer wieder debattiert. Gerne werden die Kosten für die Doppelstru­ktur angeführt, laut Teilungsko­stenberich­t fast 10 Millionen Euro pro Jahr, der Bund der Steuerzahl­er schätzt eher 20 Millionen. „Wir haben nach wie vor einen Reisezirku­s erhebliche­n Ausmaßes. Es muss einen Komplettum­zug geben“, fordert der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linken im Bundestag, Christian Görke. Erhebliche­r Treiber der Kosten seien die Dienstreis­en zwischen Bonn und Berlin, die 2023 mit fast 5,2 Millionen Euro fast schon wieder Vor-corona-niveau erreicht haben.

Diese Ausgaben sollten angesichts des Haushaltss­treits überdacht werden, forderte jüngst auch Cdu-präsidiums­mitglied Ronja Kemmer. „Ich habe für diesen Zirkus kein Verständni­s“, sagte Brandenbur­gs CDU-CHEF Jan Redmann der „Bild“. Brandenbur­g könne „kurzfristi­g ausreichen­d Platz für Außenstell­en der Ministerie­n“anbieten, falls Ersatz in Berlin nicht möglich sei. Denn Gegner eines Umzugs erklären regelmäßig, dieser rechne sich nicht aufgrund des fehlenden Büroraums in Berlin, der teuren Baukosten für Neubauten, und auch der Berliner Wohnungsma­rkt sei ein Problem.

Otto Fricke sieht das alles differenzi­erter. Der haushaltsp­olitische Sprecher der FDP will angesichts von 20 Millionen Euro Pendelkost­en gegen Milliarden für einen etwaigen Umzug das Haushaltsa­rgument nicht geltend machen. Aber: „Es kommt auf die Stellen und nicht auf die Personen

an. Am Ende zählt, wie effektiv man arbeiten kann.“Wenn etwa das maßgeblich­e Haushaltsr­eferat eines Ministeriu­ms in Bonn sitze und in jeder Haushaltsw­oche im Bundestag nach Berlin reist, „dann muss sich schon etwas ändern“, sagt der Rheinlände­r. Ginge es um die Gesetzgebu­ng, ist er für die Verlegung der Stellen nach Berlin. Reines Verwaltung­shandeln könne anderorts geleistet werden.

„Wir sind nicht Frankreich, wo alles zentralisi­ert ist.“Bundesgeri­chte,

Bundesämte­r, all das könne durchaus verteilt sein, so Fricke. „Nicht ohne Grund sitzt die größte Agentur des Bundes, die Arbeitsage­ntur, in Nürnberg. Da sagt auch niemand, die muss nach Berlin kommen.“Auch eine Rückverleg­ung des Bundesamts für Auswärtige Angelegenh­eiten aus Brandenbur­g nach Berlin, damit dann dort entschiede­n werde, ob in einer Botschaft eine neue Heizung eingebaut werde, brauche es nicht.

Und dass schon jetzt weniger als die vereinbart­en zwei Drittel der Beamten in Bonn beschäftig­t sind? „Ich nenne das praktische Konkordanz. Bisher klagt niemand, die Lösungen scheinen für alle Seiten in Ordnung und es funktionie­rt ohne weitere Gesetzgebu­ng“, so Fricke.

Neue Regelungen gingen im Zweifel gegen den Haushalt. Fricke plädiert für „wirkungsor­ientierte Haushaltsf­ührung“. Bei einer neuen Standorten­tscheidung müsse abgewogen werden; Bonn habe einen Vernetzung­svorteil, „der ein effiziente­s Arbeiten ermöglicht“und könnte günstiger sein. „Aber wenn eine Ansiedlung beispielsw­eise in Freiburg 40 Prozent günstiger wäre, dann stellen sich dem Haushälter in mir natürlich die Nackenhaar­e auf.“

Etablierte­r Standort

Während der Bund der Steuerzahl­er auf ein Ende des Berlin/ Bonn-gesetzes pocht, weil sich die Region Bonn seit Jahren „prächtig“entwickele, plant die Bundesregi­erung derzeit eine Zusatzvere­inbarung zum Gesetz. „Status quo plus“nennt das Bauministe­rin Klara Geywitz (SPD). Im April stellte sie Eckpunkte für die weitere Stärkung der Bundesstad­t vor. „Das Gesetz ist weiter wichtig, um die sehr positive Entwicklun­g dank der Bundesunte­rstützung weiter fortsetzen zu können“, sagt Bonns Oberbürger­meisterin Katja Dörner (Grüne) am Telefon. „Da ist definitiv viel investiert worden“– dadurch sei Bonn nun etablierte­r Standort für die Vereinten Nationen, internatio­nale Organisati­onen, Wissenscha­ft und Forschung sowie Cyber-security. „Gerade diese Cluster brauchen die Ministerie­n als Ansprechpa­rtner weiter vor Ort“, bekräftigt Dörner.

Die Vorzüge der Dezentrali­sierung würden zudem deutlicher: „Das ist in Krisenzeit­en ein Resilienzf­aktor, außerdem können wir so an zwei Standorten um Fachkräfte werben.“Und auch sie sagt: Die Kosten eines Umzugs würden sich erst nach Jahrzehnte­n amortisier­en. Wie teuer jedoch die neu verhandelt­e Unterstütz­ung ist, das ist noch offen. „Unsere Aufgabe bis zum Herbst ist es nun, Projekte zu konkretisi­eren und die Finanzieru­ng zu klären“, so Dörner.

 ?? Foto: Oliver Berg/dpa ?? Die Hardthöhe, Sitz des Verteidigu­ngsministe­riums in Bonn. Auch andere Ministerie­n haben ihren ersten Dienstsitz in der Stadt am Rhein.
Foto: Oliver Berg/dpa Die Hardthöhe, Sitz des Verteidigu­ngsministe­riums in Bonn. Auch andere Ministerie­n haben ihren ersten Dienstsitz in der Stadt am Rhein.

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