Nur ein unnötiger Reisezirkus?
Nd Vor 30 Jahren wurde das Berlin/bonn-gesetz beschlossen: Eine Doppelstruktur entstand wie auch ein reger Pendelverkehr. Die Stimmen für eine Zentralisierung mehren sich.
Führende Unionspolitiker sind sich mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Linken im Bundestag einig. Ex-bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) will es. Der Bund der Steuerzahler ist sowieso dafür und nun auch eine Mehrheit der Deutschen laut neuster Yougov-umfrage: Sie alle befürworten einen finalen Umzug sämtlicher Ministerien nach Berlin, 30 Jahre nachdem das Berlin/bonn-gesetz und die Doppelstruktur von Verwaltung und Regierung beschlossen wurde.
Über einen Umzug und eine Zusammenlegung wird immer wieder debattiert. Gerne werden die Kosten für die Doppelstruktur angeführt, laut Teilungskostenbericht fast 10 Millionen Euro pro Jahr, der Bund der Steuerzahler schätzt eher 20 Millionen. „Wir haben nach wie vor einen Reisezirkus erheblichen Ausmaßes. Es muss einen Komplettumzug geben“, fordert der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Christian Görke. Erheblicher Treiber der Kosten seien die Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin, die 2023 mit fast 5,2 Millionen Euro fast schon wieder Vor-corona-niveau erreicht haben.
Diese Ausgaben sollten angesichts des Haushaltsstreits überdacht werden, forderte jüngst auch Cdu-präsidiumsmitglied Ronja Kemmer. „Ich habe für diesen Zirkus kein Verständnis“, sagte Brandenburgs CDU-CHEF Jan Redmann der „Bild“. Brandenburg könne „kurzfristig ausreichend Platz für Außenstellen der Ministerien“anbieten, falls Ersatz in Berlin nicht möglich sei. Denn Gegner eines Umzugs erklären regelmäßig, dieser rechne sich nicht aufgrund des fehlenden Büroraums in Berlin, der teuren Baukosten für Neubauten, und auch der Berliner Wohnungsmarkt sei ein Problem.
Otto Fricke sieht das alles differenzierter. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP will angesichts von 20 Millionen Euro Pendelkosten gegen Milliarden für einen etwaigen Umzug das Haushaltsargument nicht geltend machen. Aber: „Es kommt auf die Stellen und nicht auf die Personen
an. Am Ende zählt, wie effektiv man arbeiten kann.“Wenn etwa das maßgebliche Haushaltsreferat eines Ministeriums in Bonn sitze und in jeder Haushaltswoche im Bundestag nach Berlin reist, „dann muss sich schon etwas ändern“, sagt der Rheinländer. Ginge es um die Gesetzgebung, ist er für die Verlegung der Stellen nach Berlin. Reines Verwaltungshandeln könne anderorts geleistet werden.
„Wir sind nicht Frankreich, wo alles zentralisiert ist.“Bundesgerichte,
Bundesämter, all das könne durchaus verteilt sein, so Fricke. „Nicht ohne Grund sitzt die größte Agentur des Bundes, die Arbeitsagentur, in Nürnberg. Da sagt auch niemand, die muss nach Berlin kommen.“Auch eine Rückverlegung des Bundesamts für Auswärtige Angelegenheiten aus Brandenburg nach Berlin, damit dann dort entschieden werde, ob in einer Botschaft eine neue Heizung eingebaut werde, brauche es nicht.
Und dass schon jetzt weniger als die vereinbarten zwei Drittel der Beamten in Bonn beschäftigt sind? „Ich nenne das praktische Konkordanz. Bisher klagt niemand, die Lösungen scheinen für alle Seiten in Ordnung und es funktioniert ohne weitere Gesetzgebung“, so Fricke.
Neue Regelungen gingen im Zweifel gegen den Haushalt. Fricke plädiert für „wirkungsorientierte Haushaltsführung“. Bei einer neuen Standortentscheidung müsse abgewogen werden; Bonn habe einen Vernetzungsvorteil, „der ein effizientes Arbeiten ermöglicht“und könnte günstiger sein. „Aber wenn eine Ansiedlung beispielsweise in Freiburg 40 Prozent günstiger wäre, dann stellen sich dem Haushälter in mir natürlich die Nackenhaare auf.“
Etablierter Standort
Während der Bund der Steuerzahler auf ein Ende des Berlin/ Bonn-gesetzes pocht, weil sich die Region Bonn seit Jahren „prächtig“entwickele, plant die Bundesregierung derzeit eine Zusatzvereinbarung zum Gesetz. „Status quo plus“nennt das Bauministerin Klara Geywitz (SPD). Im April stellte sie Eckpunkte für die weitere Stärkung der Bundesstadt vor. „Das Gesetz ist weiter wichtig, um die sehr positive Entwicklung dank der Bundesunterstützung weiter fortsetzen zu können“, sagt Bonns Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Grüne) am Telefon. „Da ist definitiv viel investiert worden“– dadurch sei Bonn nun etablierter Standort für die Vereinten Nationen, internationale Organisationen, Wissenschaft und Forschung sowie Cyber-security. „Gerade diese Cluster brauchen die Ministerien als Ansprechpartner weiter vor Ort“, bekräftigt Dörner.
Die Vorzüge der Dezentralisierung würden zudem deutlicher: „Das ist in Krisenzeiten ein Resilienzfaktor, außerdem können wir so an zwei Standorten um Fachkräfte werben.“Und auch sie sagt: Die Kosten eines Umzugs würden sich erst nach Jahrzehnten amortisieren. Wie teuer jedoch die neu verhandelte Unterstützung ist, das ist noch offen. „Unsere Aufgabe bis zum Herbst ist es nun, Projekte zu konkretisieren und die Finanzierung zu klären“, so Dörner.